20 Feet From Stardom, USA 2013 • 91 Min • Regie: Morgan Neville • Mit: Darlene Love, Judith Hill, Lisa Fischer, Claudia Lennear, Merry Clayton, Bruce Springsteen, Sting, Stevie Wonder, David Bowie, Lou Adler • FSK: ab 0 Jahren • Kinostart: 24. April 2014 • Webseite • Offizielle deustche Facebook-Seite
„Vom Drummer bis nach vorne ist es ein langer Weg“ – Zitat: Bruce Springsteen. Dabei ist es auf der Bühne laut Titel der Oscar-prämierten Dokumentation „20 Feet From Stardom“ gar nicht so eine große Distanz. Die zum Teil gern unter den Teppich gekehrten Backgroundsängerinnen und Backgroundsänger stehen für diese wundervoll fotografierte Dokumentation im Mittelpunkt. Dies auch völlig zu Recht, wenn einem klargemacht wird, welch stilistischen Mammutanteil Backgroundsängerin Merry Clayton im Stones-Song „Gimme Shelter“ an den Textzeilen „Rape and Murder! It’s Just a Shot Away“ hat. Viele Diven, u. a. die junge Judith Hill, die klasse Darlene Love uvm., kommen zu Wort und berichten rund um das Musikbusiness und ihren Werdegang. Ob es eines Oscars würdig ist, ist angesichts politisch brisanterer Dokumentationen fraglich, aber Lohnenswertes und Gutes gibt es hier nicht nur für das Auge sondern auch auf die Ohren.
Backgroundgesang ist ein undankbarer Job. Man drückt in die Songs schließlich auch die eigene Interpretation, Ideen und Leidenschaft hinein, weil man für die Musik brennt. Kann es dann sein, dass nicht einmal der eigene Name auf dem fertigen Produkt erwähnt wird? Ja, das Geschäft mit der Musik ist hart. Besonders niederschmetternd war beispielsweise eine Gelegenheit, bei welcher sich Darlene Love in einem Haushaltsjob wiederfindet, um etwas Geld zu verdienen. Dabei spielte ihr Song („Christmas – Baby, Please Come Home“) im Radio. Manche fühlen sich nicht umsonst übergangen oder ausgenutzt. Die charmanten Ladies schwadronieren beispielsweise über raffgierige Produzenten, berühmte Songs, ihren Entstehungsgeschichte und ihr eigenes Mitwirken an der Geschichte des Rock ‚n‘ Roll. Anekdötchen, Schwierigkeiten und die persönliche Verbindung so wie Leidenschaft zur Musik werden auch mit Wortmeldungen von Musikikonen wie Sting, Stevie Wonder oder Mick Jagger angereichert. Sie alle huldigen den markanten Stimmen dieser Damen, die wie ein kraftvolles, rauhes Saxophon durch den Kinosaal schmettern.
In der zwanglosen Plauderei findet sich allerdings der Kritikpunkt der Dokumentation von Morgan Neville. Die Geschichten sind es nicht, die den Zuschauer packen, denn großartige Geschichten haben die Ladies einfach nicht zu erzählen. Du musst an dich glauben, gib nicht auf, so ist das eben im Musikbusiness, hau sie um mit deiner Stimme und anderes Geplänkel über verpasste Chancen, nicht ergriffene Chancen und wie schwer der Start einer Solokarriere ist, dominieren teilweise die Interviews, auf dass man den Eindruck gewinnt, die Dokumentation trabt manchmal auf der Stelle. Ein paar Dinge kommen somit fast etwas belanglos rüber. Dennoch ist es gut zu sehen, dass diesen außergewöhnlichen und herzensguten Talenten ein Medium zuteil wird, um mit aller Kraft ihrer Stimmen die wohlverdiente Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
Handwerklich macht Morgan Neville alles richtig. Die Schnitte im Intro sind wie in einem Musikvideo schnell und abgehackt, aber genau auf den Punkt. Direkt ist zu bemerken, dass diese Doku ein cooles Teil mit Flow wird. Auch spitzbübische Einfälle gibt es zu sehen. Es werden verschiedene Plattencover gezeigt, auf welchen die Gesichter der namensgebenden Stars wegschraffiert wurden, um zu zeigen, wer heute der echte Star ist. Licht und Kamera wirken wie aus einem Guss: warm und geschmeidig. Doch das eigentlich zündende Dynamit ist die Auswahl der Songs. Von Anfang bis Ende verwandelt sich der Kinosaal zu Kristallisierungspunkt außergewöhnlicher Performances. Wirklich, der Drang mitzusingen, mitzuklatschen, mitzuwippen oder zu tanzen ist ständig vorhanden. Ein spontanes Restless-Legs-Syndrom ist vorprogrammiert. Im Endeffekt ist es diese Garantie für gute Laune und genussvollen Rhythm and Blues, was die eine oder andere Passage des soeben erwähnten Geplänkels raketenartig aus der Warteschleife in Richtung des nächsten Hits emporschießen lässt. Es ist schon krass, wie groß der Anteil dieser Backgroundsängerinnen und Backgroundsänger an all unseren Evergreen-Hits ist. Was wären diese Songs ohne diese talentierten Menschen? „20 Feet From Stardom“ verfehlt seine Wirkungsabsicht also nicht. Wer die Songs bisher nicht kennt, tut gut daran, Musikerkennungsdienste als App im Dauerbetrieb ausrasten zu lassen. Ein Blick auf die Soundtrack-Liste reicht jedoch ebenfalls aus.
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