Oppenheimer (2023) Kritik

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Oppenheimer, USA/GB 2023 • 180 Min • Regie & Drehbuch: Christopher Nolan • Mit: Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon, Robert Downey Jr., Florence Pugh, Josh Hartnett, Casey Affleck, Rami Malek, Kenneth Branagh • Kamera: Hoyte van Hoytema • Musik: Ludwig Göransson • FSK: ab 12 Jahren • Verleih: Universal Pictures • Kinostart: 20.07.2023 • Deutsche Website

Als Christopher Nolan mit der Planung seines neuen Spielfilms „Oppenheimer“ begann, konnte er noch nicht ahnen, dass sein Biopic-Thriller über den gleichnamigen „Vater der Atombombe“ zu den thematisch brisantesten Werken des Kinojahres 2023 zählen würde. Denn anders als es der hier von Cillian Murphy („28 Days Later“) eindringlich verkörperte Physiker vermutet hat, sollte die Einführung dieser verheerenden Waffe mit dem damit verbundenen Wettrüsten der Weltmächte letztlich nicht das Ende aller Kriege bedeuten. Als der russische Präsident Wladimir Putin am 24. Februar 2022 den grausamen Angriff auf die Ukraine befahl, wurde plötzlich das bittere Realität, was sich die meisten Menschen damals wohl nicht einmal als schlimmsten Albtraum ausmalen konnten: Ein erneuter blutiger Krieg mitten in Europa.

Oppenheimer (2023) Filmbild 7

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Anders als NATO-Mitglieder, wie etwa Deutschland, genießt die nuklear abgerüstete Ukraine nicht den Schutz eines mächtigen Bündnisses, weshalb der Überfall dann auch ohne unmittelbare Einmischung eines Drittlandes stattfinden konnte. Waffen wurden vor allem vom Westen geliefert mit der vehementen Bitte um noch mehr und noch weitreichendere Formate. Doch hier kommt nun J. Robert Oppenheimer und seine Atombombe ins Spiel, die heute doch eigentlich nur noch die Rolle einer Abschreckungswaffe erfüllen sollte: Wenn der Westen sich nun doch in den Augen Russlands zu stark mit Kriegsmaterial hervorwagt, ab wann wird er als echte Kriegspartei wahrgenommen und könnte daraus womöglich gar der reale Einsatz einer Nuklearwaffe gegen einen der Bündnispartner resultieren? Allein der Gedanke daran ist erschreckend. Oder wie Matt Damon als Leslie Groves, Direktor des geheimen Manhattan-Projekts, auf Oppenheimers Berechnung – es bestünde eine Chance von etwas über null Prozent, dass die Zündung der Bombe die gesamte Welt auslöschen könnte – erwidert: „Null Prozent wären akzeptabel.“

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Nolans Adaption der Biografie „American Prometheus“ von Kai Bird und Martin J. Sherwin beginnt relativ konventionell mit dem kometenhaften Aufstieg des Studenten Oppenheimer, erzählt von dessen kommunistischer Neigung, seinen Beziehungen zu anderen Forschern und schließlich, wie er die Quantenphysik in die USA brachte. Mit etwas Romantik und Sex erinnert dieser Start an Ron Howards Oscargewinner „A Beautiful Mind“, wenn es dann auch noch Komponist Ludwig Göransson manchmal zu gut mit der Untermalung von Emotionen meint. Doch der britische Starregisseur und Drehbuchautor zieht nach der vielleicht zu lang geratenen Vorstellung der wesentlichen Beteiligten glücklicherweise die (Polit-)Thrillerschraube an und spätestens wenn es an die Vorbereitung und letztlich Durchführung des berühmten Trinity-Tests – der ersten Kernwaffenexplosion – in der Wüste New Mexicos geht, befinden sich der von praktischen Effekten besessene Nolan und sein IMAX-erprobter Kameramann Hoyte van Hoytema in ihrem Element. Selten wurde eine zerstörerische Kraft von so hypnotischer Schönheit auf Film gebannt, um dann mit tosendem Lärm das Publikum aus den Sitzen zu fegen.

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Ganz sicher ist der Trinity-Test das spektakuläre Herzstück von „Oppenheimer“, zumal der Film abgesehen von dieser Szene auf weiteren Bombast – für Nolans neueres Kino sehr ungewöhnlich – gänzlich verzichtet und sich voll seinem Cast hingibt. So wird etwa auch die Zerstörung Hiroshimas durch die US-Bombe zwar thematisiert, doch wird auf explizite Bilder des Schreckens verzichtet, damit sich dieser nur im Gesicht des grandiosen Cillian Murphy manifestieren kann. Neben Oppenheimer stellt der von Robert Downey Jr. gespielte Politiker Lewis Strauss eine Schlüsselfigur in der Geschichte dar, deren in monochromen Aufnahmen (ein Novum im IMAX-Format) eingefangener Blickwinkel intermittierend mit dem des Wissenschaftlers verläuft.

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Dass Oppenheimer nicht als glänzender Held missverstanden werden soll, macht bereits eine knappe Zusammenfassung der Prometheus-Mythologie ganz am Anfang deutlich: Wie der griechische Titan dem Menschen das Feuer brachte und zur Strafe an einen Felsen gekettet wurde, soll auch J. Robert Oppenheimer für die Kreation und Weitergabe seiner fürchterlichen Waffe büßen – in doppelter Hinsicht. Vor allem hat er sich in seiner Einschätzung getäuscht, dass diese eine Lösung und nicht etwa ein neues Problem in die Welt bringen würde. Seine innere Zerrissenheit und die damit einhergehenden Horrorvisionen sind wie die Vögel, die täglich Prometheus' Leber zerpflücken. Doch auch in wissenschaftlicher Tätigkeit soll Oppenheimer in einer von Strauss initiierten, berüchtigten Anhörung die Beraterrolle in der US-Atomenergie-Kommission und damit die Möglichkeit, weitere Katastrophen wie die Wasserstoffbombe zu verhindern, entzogen werden. Als Argument gegen Oppenheimer wird vor allem seine Verbindung zu kommunistischen Kreisen herangezogen – der neue US-Gegner nach Nazi-Deutschland.

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Um Macht und nichts anderes geht es schließlich in Nolans packender Aufbereitung einer alten Geschichte, die aber offensichtlich nie an Aktualität verloren hat und in der über die Jahrzehnte lediglich die Feindbilder gewechselt haben. Betrachtet man es ganz nüchtern, reicht der Knopfdruck eines irren Kriegsherren, um die ganze Menschheit auszulöschen. Deshalb wird die Welt nach der Erfindung der Atombombe nie wieder sein wie die zuvor. Die Guten scheinen nur gesiegt zu haben, denn so satirisch überzeichnet hat man US-Flaggen lange nicht mehr in einer großen Hollywood-Produktion gesehen. Zusammen mit Gary Oldmans derart diabolisch verkörpertem Präsidenten Harry S. Truman, dem nur Hörner und Schwanz für den wahrhaftigen Beelzebub fehlen.

Oppenheimer (2023) Filmbild 2

„Oppenheimer“ ist ein Film, der satt macht und mit seinen drei Stunden Laufzeit vermutlich auch etwas übersättigt. Das erste Drittel kommt etwas träge als Leinwand-Geschichtsstunde daher, nach welchem Nolan seinen Groove aber mit diesem für seine Verhältnisse ungewöhnlichen Stoff findet und mit einem sehr pointierten Ende abschließt. Eindeutig zu satt geraten ist übrigens noch der bis in kleinste Nebenrollen mit A-Namen besetzte Cast: Cillian Murphy sticht in jeder Szene heraus und wird mit seiner Performance ein starker Oscar-Anwärter sein. Auch Robert Downey Jr. wird als quasi Bösewicht hängenbleiben, so wie Matt Damon als etwas offensichtlicher Mahner für das Publikum und die beiden weiblichen Begleiterinnen Oppenheimers in Gestalt von Emily Blunt als Katherine Oppenheimer und Florence Pugh (die Nolan hier mit ihren Nacktszenen das erste R-Rating seit „Insomnia“ eingebracht hat) als Jean Tatlock. Doch während man Stars wie Kenneth Branagh („Tenet“), Rami Malek („Bohemian Rhapsody“) oder Casey Affleck („A Ghost Story“) noch irgendwie wahrnimmt, tummeln sich viele Gesichter wie David Dastmalchian („The Boogeyman“), Jack Quaid („The Boys“) oder Alex Wolff („Hereditary“) irgendwo im Hintergrund. Und die Liste der Nichtgenannten ist nochmal mehr als doppelt so lang.

Oppenheimer (2023) Filmbild 1

Im Vergleich mit Christopher Nolans vorherigen Arbeiten will „Oppenheimer“ etwas zu viel mit seiner Mischung aus Charakterstudie und Historienthriller und schweift gelegentlich zu weit aus oder wiederholt sich. Es ist ein guter Nolan, aber sicher nicht das beste Werk des visionären Regisseurs, der hier immer dann Stärke zeigt, wenn er auf den Punkt kommt und Ballast beiseite lässt.

Im Kern ist das Dilemma in „Oppenheimer“ so simpel wie niederschmetternd: Prometheus brachte dem Menschen das Feuer. Doch wie wird der Mensch das Feuer wieder los?


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