Thanksgiving, USA 2023 • 107 Min • Regie: Eli Roth • Mit: Nell Velarque, Patrick Dempsey, Milo Manheim, Jalen Thomas Brooks, Addison Rae, Rick Hoffman, Gina Gershon, Gabriel Davenport, Jenna Warren • FSK: ab 18 Jahren • Kinostart: 16.11.2023 • Website
Handlung
Knuspriger Truthahn, saftige Maiskolben, festliche Paraden und große Familientreffen: Das sind unverwechselbare Elemente von Thanksgiving. Der Nationalfeiertag wird jeden vierten November-Donnerstag gefeiert und ist ein wichtiger Teil der US-amerikanischen Kultur und Identität. Einen besonders hohen Stellenwert hat Thanksgiving im beschaulichen Städtchen Plymouth, Massachusetts, wo vor 400 Jahren die Pilgerväter das allererste Erntedankfest gefeiert haben. Thomas Wright (Rick Hoffman) betreibt in Plymouth einen großen Supermarkt und beschließt, die Black-Friday-Aktion, die mit ihren drastischen reduzierten Preisangeboten inzwischen auch fest zur Thanksgiving-Tradition gehört, bereits am Donnerstagabend einzuläuten. Doch er unterschätzt den Lockruf der kostenlosen Waffeleisen für die ersten 100 Kunden und stellt nur zwei Sicherheitskräfte ein, die im Angesicht der konsumgeilen Massen hoffnungslos überfordert sind. Als Thomas' Tochter Jessica (Nell Velarque) sich gemeinsam mit ihrer Clique absetzt, um dem Familienessen mit ihrer unliebsamen Stiefmutter (Karen Cliche) zu entfliehen, legen sie einen kurzen Zwischenstopp am Supermarkt von Jessicas Vater ein, wo eine verhängnisvolle Kette von Ereignissen zu einem Massengedränge mit Toten und Verletzten führt. Weil alle Aufnahmen von Überwachungskameras daraufhin mysteriös verschwinden, wird niemand zur Rechenschaft gezogen. Doch ein Jahr nach der Tragödie, als Thomas die nächste Black-Friday-Aktion plant, wird Plymouth von einer Reihe grausamer Morde erschüttert. Ein Serienkiller, der sich als Pilgervater John Carver verkleidet, treibt sein Unwesen und hat es auf alle abgesehen, die an der Black-Friday-Katastrophe beteiligt waren, darunter Jessicas Familie und Freunde.
Kritik
Es kommt gelegentlich vor, dass die Marketing-Kampagne zu besonders großen und heiß erwarteten Filmen mehr als ein Jahr vor ihrer Veröffentlichung mit dem ersten Teaser beginnt. Dass 16 Jahre zwischen dem Trailer und dem dazugehörigen Film liegen, ist jedoch vermutlich präzedenzlos. Als die befreundeten Kult-Regisseure Quentin Tarantino und Robert Rodriguez 2007 mit ihrem Double-Feature Grindhouse ihrer Liebe für das dreckige Exploitation-Kino der Siebziger frönten, rundeten sie das dreistündige Gesamterlebnis, das in seiner ursprünglichen Form leider nur in nordamerikanischen Lichtspielhäusern, der Geburtsstätte des Grindhouse-Kinos, zu sehen war, mit Fake-Trailern für mehrere fiktive Genrefilme ab, die von unterschiedlichen Filmemachern eigens fürs Double Feature produziert wurden. Weil Trailer unweigerlich dazu dienen, den Appetit der Filmfans auf den Hauptgang zu wecken, wurden schnell Rufe nach entsprechenden Spielfilmversionen laut. Wo es Nachfrage gibt, kommt früher oder später auch das Angebot. Nur drei Jahre nach Grindhouse kam mit Robert Rodriguez' Machete die erste Trailer-Verfilmung in die Kinos und genießt inzwischen selbst Kultstatus. Ein Jahr später folgte Jason Eiseners Hobo with a Shotgun und 2013 kam Machete Kills.
Eli Roth ließ die Fans hingegen 16 Jahre auf die Ausweitung seines Fake-Trailers Thanksgiving warten und drehte in der Zwischenzeit verzichtbare Filme wie den Kannibalenhorror The Green Inferno, das maue Death-Wish-Remake und den unfreiwillig lustigen Erotikthriller Knock Knock. Dabei war Thanksgiving neben Machete vermutlich der filmreifste und beliebteste unter den Grindhouse-Trailern. Das Konzept dahinter war denkbar simpel. Mit seinem Trailer huldigte der bekennende Exploitation-Fan Roth den Feiertags-Slashern der Siebziger und Achtziger wie Black Christmas (bzw. Jessy – Die Treppe in den Tod), Halloween und Stille Nacht – Horror Nacht. Der Trailer zu Thanksgiving wirkte wie ein verloren geglaubter Achtziger-Slasher, in dem ein maskierter Mörder sein Unwesen in einer Kleinstadt an Thanksgiving treibt. Es war aber vor allem die berüchtigte Trampolinszene, bei der der Killer einer jungen Frau mit dem Messer direkt in die entblößten Genitalien sticht, die sich ins Gedächtnis eingebrannt hat.
Die besagte Trampolinszene hat es auch in die Spielfilmversion von Thanksgiving geschafft, wenn auch in etwas abgewandelter Form. Auch weitere Schlüsselmomente aus dem Fake-Trailer findet sich im Film wieder, doch der Gesamtton hat sich verändert. War der ursprüngliche Trailer eine Hommage an das Slasherkino der Siebziger und Achtziger, lehnt sich die Filmversion eindeutig an die nächste Slasherwelle an, die Scream Ende der Neunziger ausgelöst hat. In gewisser Hinsicht ergibt das auch Sinn und berücksichtigt die 16 Jahre, die zwischen dem Thanksgiving-Trailer und dem Kinofilm vergangen sind. In der Zeit hat sich Nostalgie für Teenie-Slasher aus den 1990ern und frühen 2000ern herausgebildet und das gesamte Genre ist seit den neuen Scream-Filmen wieder im Aufwind.
Es ist jedoch nicht Wes Cravens cleverer Meta-Slasher, den Thanksgiving imitiert, sondern dessen schlichtere Nachahmer. Ja, dieser Killer livestreamt einige seiner Gräueltaten, markiert seine künftigen Opfer in einem Instagram-Post und es gibt auch einen Kommentar zur Sensationsgeilheit im Internet (es entbehrt auch nicht einer gewissen Ironie, dass mit Addison Rae einer der größten TikTok-Stars der Welt in der Hauptbesetzung mitspielt), ansonsten hätte der Film glatt zwischen Düstere Legenden und Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast veröffentlicht werden können. Insbesondere letzterer spiegelt sich inhaltlich und inszenatorisch in Thanksgiving wider – bis hin zur Schlussszene.
So wie jeder durchschnittliche US-Amerikaner einen saftigen Truthahn am Thanksgiving-Tisch erwartet, weiß Eli Roth ganz genau, was sein Publikum sehen will und zieht die Gewaltschraube mächtig an. Bereits in der Supermarktszene zu Filmbeginn schafft er klare Verhältnisse und zeigt, dass sein Film nicht für Zartbesaitete ist. In diesem Ton geht es auch weiter: Hier wird geköpft, ausgeweidet und beim lebendigen Leibe geröstet, was das Zeug hält. Thanksgiving ist Roths sechster von acht Filmen, die hierzulande mit dem roten FSK-18-Siegel in die Kinos kommt, und die Freigabe hat er sich redlich verdient. Auch einige kreative und gelegentlich aufrichtig eklige Gewaltspitzen lässt er sich einfallen und seien wir mal ehrlich, als Slasherfan ist das schon die halbe Miete. Mit dem Axt-schwingenden, Hut-tragenden, unheimlich maskierten Bösewicht haben Roth und sein Drehbuchautor Jeff Rendell außerdem auf Anhieb einen neuen potenziell ikonischen Schlitzer erschaffen, auch wenn die Auflösung seiner Identität gleichermaßen vorhersehbar wie unlogisch ist.
Wohl oder übel finden neben heftigem Gore aber auch andere typische Merkmale von Eli Roth ihren Weg in den Film: zahlreiche unsympathische Charaktere, bescheuerte Dialoge, viele "Fuck"s und exzentrische Nebenfiguren, die letztlich keine Rolle spielen. An der schauspielerischen Front gibt es nicht viel zu vermelden, wobei Nell Velarque als Jessica ein ordentliches Final Girl abgibt. Für den Goldstatus der Scream Queens à la Sidney Prescott oder Laurie Strode reicht es nicht, liegt aber auch am Drehbuch, das ihr keinen großen Gefallen tut.
In einem Jahr von tollen Genrefilmen wie M3GAN, Scream VI, Evil Dead Rise und Talk to Me spielt Eli Roths Thanksgiving eine eher untergeordnete Rolle, bietet den Fans aber mehr oder weniger genau das, wofür sie ihr Kinoticket kaufen. Wer sehen möchte, wie ein rachsüchtiger Killer unsympathische Gestalten und austauschbare Teenager kreativ und brutal abmurkst, wird auf seine Kosten kommen. Neu ist daran gar nichts, verkehrt aber auch nicht. Es ist lediglich etwas bedauerlich, dass Roth nicht tatsächlich einen vollblütigen Achtziger-Slasher gedreht hat, was vermutlich noch besser zu ihm gepasst hätte.
Fazit
Auch wenn Eli Roths Thanksgiving mehrere Schlüsselszenen (in abgewandelter Form) aus dem Fake-Trailer übernimmt, ist die Spielfilmversion keine Hommage an Slasherfilme der Achtziger, sondern lehnt sich an die Slasherwelle an, die Scream Ende der Neunziger ausgelöst hat. Für Thanksgiving stand jedoch nicht Wes Cravens cleverer Meta-Slasher selbst Pate, sondern vielmehr dessen gradlinige Nachahmer wie Düstere Legenden, Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast und Schrei wenn du kannst. Der seit 16 Jahren aufgebauten Vorfreude wird der Film vielleicht nicht ganz gerecht, Roth leistet jedoch einen kompetent inszenierten, schnörkellosen und überaus blutigen Beitrag zum Horror-Subgenre, das dank den neuen Scream-Filmen aktuell wieder ein Revival erlebt.
Hätte er den dreckigen Look der Grindhouse Filme in entsprechenden Filter wie die Filme vor 16 Jahren gepackt, würde das ganze besser wirken.
Sollte er die Tode aus dem Trailer übernommen haben, bin ich schwer überrascht was die Freigabe angeht. Aber ich will mich nicht beschweren 😉