ACHTUNG, dieser Beitrag enthält massive Spoiler zu der aktuellen Episode 5×14, “Ozymandias”!
Holy Mother of God! Breaking Bad erklimmt zwei Folgen vor dem Serienende den Gipfel seit Bestehen der Serie und führt konsequent das zu Ende, was als beste TV-Kriminalgeschichte aller Zeiten in die Annalen eingehen könnte.
Nach der Episode "To’hajiilee" vergangene Woche, die uns wie ein Hitchcock-Thriller vor Spannung beinahe in Stücke riss, schlug "Ozymandias" nun einen etwas anderen Ton an: es war die Zeit für Konsequenzen gekommen, die uns in Schockstarre versetzen sollte. Doch bevor die ganze Welt von Walter White in sich zusammenbricht, versetzen uns Showrunner Vince Gilligan und Moira Walley-Beckett, die Autorin dieser Episode, in einen kurzen Flashback, der als Exposition für das Drama, das sich anschließend ereignen sollte, die tragische Entwicklung der Figur Walters noch einmal vorführt. Außerdem schont dieses Zwischenspiel nach dem gemeinen Cliffhanger in der letzten Folge unser Nervenkostüm und bereitet uns ganz behutsam auf das Szenario in der Wüste New Mexicos vor. "Ozymandias", der Titel der Episode, für den ein Gedicht aus dem Jahr 1817 über den Verfall eines ägyptischen Königreichs Pate stand, ist hier Programm: nicht nur, dass Walter White sinnbildlich für König Ozymandias steht, dessen Herrschaft buchstäblich im Sande verlief, nein, der gesamte Aufbau der Episode ist wie ein Gedicht.
Die ergreifende Rückschau auf die ersten Koch-Sessions zwischen Walter und Jesse, die an genau derselben Stelle ihren Wohnwagen abgestellt haben, an dem das verhängnisvolle Shootout erfolgen sollte, ist einer dieser besonderen Momente von Breaking Bad. Walter baut sich in dieser Rückblende in einem Telefonat mit Skyler, bei dem es um seinen Nebenjob in der Waschanlage geht, ein Kartenhaus aus Scheinheiligkeit und Lügen zusammen, das im weiteren Verlauf dieser Folge endgültig zusammenfällt. Anschließend verblassen erst Walt, dann Jesse und zuletzt der Wohnwagen (filmtechnischer Begriff: Fade-Out) vor der einsamen Wüstenkulisse, danach springt das Geschehen bei unveränderter Bildeinstellung wieder in die Gegenwart zurück, Jacks Deckung-suchende Nazi-Bande und die durchsiebten Vans werden unter pochender Gewehr-Akustik eingeblendet. Ein ganz einfacher tricktechnischer Kniff, so gut, so genial in das Gesamtbild eingesetzt. Ein Kunstwerk.
Dann ist nur noch Stille. Totenstille. Wir sehen Agent Gomez am Boden – tot. Hank ist am Bein getroffen, ihm ist die Munition ausgegangen. Ohne Hoffnung, aber mit Mut und Courage schleppt er sich zu dem Gewehr des gefallenen Gomez, ehe Jack ihn endgültig überwältigt. Ein Gänsehautmoment folgt dem nächsten, Walt versucht voller Verzweiflung Hanks Leben zu retten, bietet Jack und seinen Ergebenen sein gesamtes Vermögen von 80 Mio. Dollar an, das er mit viel Blut und Schweiß für seine Familie erworben hat. Und dann spricht Hank zu seinem Schwiegerbruder einen ganz einfachen Satz, der Walter Whites gesamtes Wesen umreißt: "You’re the smartest guy I ever met. And you’re too stupid to see… he made up his mind ten minutes ago." Walter wollte immer Heisenberg sein, die Vorgänge kontrollieren, dominieren, am Ende der Befehlskette stehen wie einst Don Eladio oder Gus, ohne dabei die Genialität seines früheren Ichs einzubüßen. Doch den naiven, schwachen Walter White in ihm konnte er nie verbergen, weshalb ihn Hank und viele andere auch nie verdächtigten, der Drahtzieher eines gewaltigen Meth-Imperiums zu sein.
Dann war es vorbei. Noch bevor Hank vor seinem Henker zu Ende reden konnte, fiel Jack ihm ins Wort und versetzte uns den wohl größten Schockmoment im Verlauf von Breaking Bad. Bevor wir jedoch Mitgefühl für Walt empfinden konnten, der bereit war seine Existenzgrundlage aufzuopfern und nun am Boden winselnd zusammenbrach, kam wieder Heisenberg ans Licht, der seinem boshaften Wesen das vielleicht letzte fehlende Puzzleteil einsetzte: Rache. Bisher tötete Walt (oder ließ töten) nur aus Zweckmäßigkeit, z.B. Gale, Gus, oder den kleinen Jungen, der Zeuge bei dem Zugüberfall war. Nach dem ersten Akt seines Niedergangs, dem Tod von Hank, findet er den Schuldigen für seinen Schmerz in Jesse. Jesse ist für ihn wie Familie, die für ihn, wie er oft genug betonte, unantastbar sei. Wie glaubwürdig sein Motiv ist, nach der Ermordung von Hank ein weiteres Familienmitglied ans Messer zu liefern, ist vielleicht Gegenstand einer psychologischen Untersuchung, mir persönlich ging diese jähe Verwandlung in Heisenberg etwas zu schnell, empirisch kann man Walters Lage aber natürlich nicht beurteilen. Wer war schon in dieser Situation? Zweifellos aber war Jesses Überleben und Walts Reaktion im Interesse der Autoren, um die titelgebende Message der Serie weiterzutragen.
Dessen ungeachtet waren die ersten zwanzig Minuten von "Ozymandias" mit dem Setting in der Wüste alleine schon eine astreine Bewerbung für die beste Regie-/Drehbuch-Arbeit bei den Emmy-Awards im kommenden Jahr (die anstehenden Awards am 22. September berücksichtigen nur die Staffelhälfte aus dem Vorjahr). Doch damit nicht genug: die Tragödie rührt noch weiter, Walter wird noch mehr demontiert, als schließlich Junior aufgeklärt wird und Skyler sich, in der Annahme, dass Walter ertappt wurde, entschließt, die Seiten zu wechseln. Die neuen Umstände gipfeln in einer gewaltigen emotionalen Explosion im Haus der Whites, als Walt mit seiner Familie zusammentrifft. Hier bricht Walters Lügenkonstrukt endgültig und unwiederbringlich in sich zusammen wie ein Haus aus Streichhölzern, als er angesprochen auf Hanks Verbleiben in Erklärungsnot kommt. Sein kurzes Schweigen auf Skylers beharrliches Nachbohren, "Where …IS…Hank?" und "You killed him!", besiegelt endgültig den Bruch mit seiner Familie. Der Tod eines Familienmitglieds ist für Skyler, die sich zuvor noch auf Walts Seite geschlagen hat und ihm nahelegte, Jesse zu entfernen wie eine Zecke, nicht mehr erträglich. Sie trifft eine Entscheidung gegen Walt, für Junior und ihre nunmehr verwitwete Schwester Marie.
Sie ist nun bereit, ihre Familie mit allen Mitteln zu verteidigen und greift sich ein Küchenmesser, um Walt klar zu symbolisieren, dass sie und Junior nicht mit Walter mitgehen werden. Nachdem sie Walter eine Schnittwunde hinzufügt, wird dieser erneut zum Berserker und greift Skyler an, ein heftiger Kampf auf Messers Schneide beginnt, in dem Walter ohne die Kurzschlussreaktion von Junior seine Gattin wohl erstochen hätte. In dem Moment ist vermutlich jeder Hoffnungsfunke für einen halbwegs versöhnlichen Abschluß und einer Abkehr Walts von der schiefen Bahn verloren. Sogar Tony Soprano besaß etwas mehr Anstand. Oder waren es doch die massiven Einwirkungen von außen, die ihn dazu gemacht haben und die den vernünftigsten Menschen, unter gegebenen Umständen und im entsprechenden Milieu, in ein Monster verwandeln können? Eine philosophische Fragestellung, die Breaking Bad anstößt und einen vor Stumpfinn triefenden Menschen wie mich zum Nachdenken anregt. Dafür kann man Vince Gilligan nur applaudieren.
Dass Walt noch einen ameisengroßen Fleck Moral und Anstand in sich hat, beweist sein letztes Telefonat mit Skyler, in dem Walt offensichtlich mit dem Wissen, dass die Polizei mithört, die Schuld auf sich nimmt und Skyler weitgehend entlastet, indem er sie als eingeschüchterte Mittwisserin bezeichnet , ohne den Bogen an Glaubwürdigkeit vor den Behörden zu überspannen. Dass auch ein Funken Ehrlichkeit in Walters fingierter Nachricht für Skyler steckt, ist aber wohl kaum anzuzweifeln. Seine letzte Handlung vor der Abreise mit Hilfe von Sauls "Invisible-Man" spielt dann wieder genussvoll mit unseren zwiegespaltenen Gefühlen für die Figur: Walter setzt die entführte Holly in einem Feuerwehrfahrzeug ab, nachdem er erkannt hat, dass die Kleine in den Händen ihrer Mutter besser aufgehoben ist. Ein Akt aus Liebe.
Derweil wird Jesse zum Spielball der Nazi-Bande. Mit dem Druckmittel Andrea und Brock wird er gezwungen, Todd beim Meth-Kochen zu attestieren. Auch Todds Figur hat wieder ein paar starke Momente, die soziopathische, emotionslose Struktur seines Wesens ist zum Gruseln, so unberechenbar und eiskalt, dass es einem wie ein Schauer über den Rücken runterläuft. In dessen Händen steht es um Jesse wahrlich nicht zum Besten. Vielleicht eilt ihm Walt in letzter Not doch noch zur Hilfe? Wir bleiben gespannt.
In jedem Fall ist für mich "Ozymandias" die beste Breaking Bad-Folge bisher. Ob das noch zu steigern ist? Ich wage nicht daran zu glauben. Aber wenn es einer schafft, dann Vince Gilligan.
Gute und passende Kritik (besser als die auf gewissen anderen Seiten…), mir gefallen einige der eingebauten Theorien sehr gut. Werd mir die kommenden Reviews dann auch mal anschauen.
So, jetzt erstmal mental sammeln und die Woche heil überstehen… Mein Kopf ist immer noch woanders.
Ein Ende ohne Cliffhanger. Wäre das die letzte Folge, ich würde das
so hin nehmen. Da es aber noch zwei Folgen gibt, wird es wohl noch viel
schlimmer kommen.
Die Rache an Jesse fand ich nicht
überraschend. Walt hat sich zu dieser Entscheidung schon vorher
durchgerungen. Zudem hat er mit dem Tod Hanks einen weiteren Grund an
seiner Entscheidung festzuhalten. Viel mehr Probleme hatte ich mit der
Tatsache, dass er die Nazies mit seinem Geld und dem Tod von Hank
einfach ziehen läßt.
Meine Theorie wie es weitergeht (natürlich nur ne Vermutung): Das blaue Meth (sein Produkt) kommt wieder auf den Markt und das ist für Walt Zeichen genug, dass Jesse noch lebt. Also kommt er aus der Versenkung zurück und kümmert sich um die Nazis.
Walt hatte aber auch keine andere Option, als die Nazis davonkommen zu lassen und Jack die Hand zu schütteln, sonst hätten sie ihn erledigt.
Falshback Gespräch mit Skyler. Sie reden über den Babynamen. Holly solls werden. Es wird aber erst in S01E02 klar, dass es ein Mädchen wird. Flashback spielt aber ganz klar im Pilot (keine Einschüsse in der Tür des RV´s)