The Perks of Being a Wallflower, USA 2012 • 103 Minuten • Regie: Stephen Chbosky • Darsteller: Logan Lerman, Emma Watson, Ezra Miller, Paul Rudd, Nina Dobrev, Mae Whitman, Kate Walsh • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 1.11.2012 • Deutsche Website
Unser Sein dreht sich im Kreis, Neues verfliegt im Achselzucken der Stagnation, Tag für Tag gehen wir gleichen Abläufen nach. Wir nennen dies: Leben. Unser Leben prasselt in einem Viereck von Ecke zu Ecke, ohne ausbrechen zu können. All das war einst anders, in jedem unserer Leben herrschte Freiheit über den Druck der Arbeit, über die Verpflichtung gegenüber den eigenen Kinder – unsere Jugend. Als Jugendliche schwebten wir über allem, lebten, erlebten, ließen unsre Seele baumeln stundenlang, tagelang, jahrelang. Wir waren frei, wir waren glücklich, wir waren unendlich – dachten wir jedenfalls.
Und so merkten wir damals schnell: alles ist endlich, begrenzt, ernst. Die Jugend verflog, oft unberührt von Problemen, doch wenn etwas zuschlug, dann waren es Dinge, die zu viel waren für einen Jugendlichen. Die Schönheit der Dinge kehrte nach jedem Morgen zurück ins Leben, offenbarte ihr Antlitz, an der kein Makel haftete, bis es zuschlug – das Schicksal. Oder: das Leben.
Charlie (Logan Lerman) kennt das nur zu gut: Eine unbeschwerte Kindheit und Jugend wich Leere im Kopf, im Herzen, im Alltag. Niemand ahnt es, seine Eltern nicht, seine Geschwister nicht. Mehr Menschen kommen nicht in Frage, Freunde hat Charlie keine. Nicht mehr. Jetzt geht er auf die Highschool, kehrt sein Ich nach innen, damit niemand ihn sieht, wenngleich eher unfreiwillig. Mit seinem Lehrer Bill (Paul Rudd) redet er – es bleibt die einzige Person am ersten Tag des neuen Lebensabschnitt.
In seiner Jugend sucht jeder nach dieser einen Sache, die niemand definieren oder benennen kann. Es ist das gewisse Etwas, das uns füllt mit Begehren morgens glücklich aufzustehen. Weniger sorgt die frische Liebe dafür oder die neuen Freunde, es ist mehr; es ist das Gefühl, uns unendlich zu fühlen, befreit von den Fesseln irdischer Probleme. Charlie sucht nach diesem Gefühl, sucht nach Glück, Freude, ja wenigstens einen verdammten Sinn für all das! Und tatsächlich, Charlie, dieser junge Mann, der noch ganz am Anfang steht, findet Glück, Freude, diesen verdammten Sinn. Schmerz und Trauer, das liegt längst hinter ihm und – für immer – vor ihm, egal wie glücklich er auch sein mag.
Vielleicht lieber morgen ist so ein Film, den man erst einmal verarbeiten und begreifen muss. Und tatsächlich: als Coming-of-Age-Drama zerrt der Film an einigen Klischees und trägt gen Ende vermutlich ein bisschen dick auf. Warum aber fließen dennoch Tränen, wenn alles vorbei ist? Das entscheidet jeder für sich selbst, doch wenn man persönlich eines der vielen Themen aus „Vielleicht lieber morgen“ kennt, kommt alles von alleine; man fühlt sich wieder frei und gleichzeitig voll von Schmerz, man fühlt sich eingeschränkt und dennoch unendlich.
Vieles spricht Vielleicht lieber morgen an, unter anderem Homosexualität. Patrick (Ezra Miller) witzelt gerne herum, spielt den Clown. Und er ist schwul, was kaum jemand weiß. Auch seine heimliche Beziehung zu einem Mitschüler gestaltet sich schwierig, weil gewisse Ansichten noch immer durch die Gesellschaft hallen. Da wäre noch Sam (Emma Watson), dessen Sexleben früh begann, vermutlich zu früh. Abgefüllt wurde sie auf Partys, jeder durfte mal ran, das sprach sich herum. Sam ist ein Psycho, Patrick auch und Charlie ebenso – deswegen werden sie Freunde, weil sie ähnliche Probleme teilen.
„Lass' uns gemeinsam Psychos sein“, sagt Sam zu Charlie und offenbart den Wert dieser Freundschaft. Doch es gibt Probleme, viel zu viele. Eines davon: Sam und Patrick sind älter als Charlie, verlassen noch in diesem Jahr die Highschool. Und überhaupt lebt hier niemand ein normales Leben: Charlie hat Halluzinationen, die er bis vor kurzem nicht kontrollieren konnte. Ein Grund wird dafür zunächst nicht klar, man kann es nur vermuten. Rückblenden offenbaren die Vergangenheit von Charlie, doch mehr als „nur“ ein Unfall scheint da nicht zu sein. Und doch steht am Ende von Vielleicht lieber morgen eine Tragödie ins Haus, die alles erklärt.
Über Charlies Verhalten kann man zeitweise nur rätseln. Man ahnt: Da steckt mehr dahinter als nur soziale Schwäche. Wenn er etwa seinen Kumpel Patrick aus einer Schlägerei herausholt, indem er selber zuschlägt, richten sich alle Augen auf ihn – denn so ist Charlie eigentlich nicht, niemand kennt ihn so; obgleich ihn nicht viele auf der Schule wirklich kennen. Im nächsten Moment stoßen Sam, Patrick und viele andere auf ihn an, weil sie wissen, dass er mehr durchgemacht hat als die meisten der Anwesenden zusammen.
So missmutig die Prämisse von Vielleicht lieber morgen klingt, so euphorisieren viele Gesten der Charakter, zaubern ein Lächeln ins Gesicht, weil diese Jugendlichen so viel erleiden mussten und doch ehrlich und lebensfroh weiter leben. Wenn eine Beziehung hier endet, dann wächst daraus etwas Neues, vielleicht etwas Besseres. Das erlebt Charlie, als er unbeholfen wie ein Hundebaby seine ohnehin ungewollte Beziehung zerstört – zumal es keine Beziehung mit Sam war, die Sam, die er mag und liebt und respektiert, es jedoch nicht verrät; die Sam, die solche Gefühle von anderen nicht kennt.
Obgleich ich Vielleicht lieber morgen als perfekten Film ansehe, aus Sicht eines Schreibers, der wenigstens ein bisschen Objektivität wahren soll, muss ich dennoch gestehen: Ja, Klischees gibt es, sogar einige, auch das Ende driftet ab in den „Zu dick aufgetragen“-Graben. Doch die drei Hauptdarsteller tragen den Film – so exzellent und scheinbar mühelos, dass man meinen könnte: Sie tragen den Film mit dem kleinen Finger! Logan Lerman als Charlie verleiht seinem Charakter dank seiner außergewöhnlich intensiven Mimik die nötige Tiefe, denn an seinem Gesicht erkennt man seine Freuden und Leiden, die weit über das normale Teenager-Gefühlsleben hinaus gehen. Emma Watson befreit sich leichtfüßig aus ihrem Zauber-Image – Gott sei Dank! – und Ezra Miller brilliert als verdrängender Homosexueller. Bis zum letzten Nebendarsteller sitzt die Besetzung bestens, etwa die zauberhafte Nina Dobrev als Charlies Schwester oder Paul Rudd als Lehrer.
Regisseur Stephen Chbosky meidet den Holzhammer und verlangt von seinen Schauspielern die genau richtigen Emotionen – liegt vermutlich auch daran, dass er das gleichnamige Buch und das darauf basierende Drehbuch schrieb und sich somit bestens mit den Charakteren auskennt. Man kann Vielleicht lieber morgen mit It’s kind of a funny Story vergleichen, Parallelen gibt es durchaus, letztlich aber hallen die Emotionen hier stärker nach. Hier wechseln sich Katastrophen und Wunder ab, verschmelzen manchmal, bis man gleichzeitig weint und lächelt.
Und so bleibt am Ende ein Film, der mich zutiefst gerührt hat. Ich fühlte mich wieder unendlich. Danke, liebe Filmemacher. Danke.