„Sie ist irre schön.“, heißt es in einer der schwärmerisch-verstiegenen Szenen von Rhys Grahams Coming-of-Age-Story über die jugendliche Billie (Ashleigh Cummings). So denken ihre beste Freundin Laura (Lily Sullivan) und Lauras Freund Danny (Toby Wallace), der ebenfalls etwas mit Billie hat. Laura ahnt nichts von dem doppelten Verrat. Um selbst weniger schäbig dazustehen und möglichst lange möglichst viel von Danny zu haben, versucht Billie Laura mit dem älteren Isaac (Aliki Matangi) zu verkuppeln. Doch die pubertären Launen der Hauptfigur der Teenie-Romanze der Berlinale Generation bringen das Quartett in eine Lage, die so brenzlig ist wie die Buschfeuer, die am Horizont schwelen.
Der Plot klingt nach einer Seifenoper – und ist auch eine: Eifersüchteleien, Lügen, Begierde und Tragödien Galore, wie der Titel in unfreiwilliger Ironie besagt. Der Hauptunterschied zu einer australischen Filmversion von „Melrose Place“ ist das gewöhnliche Aussehen der Protagonisten. Tatsächlich ist Billie mit ihren stumpfen Haare, groben Zügen und dem Babyspeck gar nicht schön. Aber da es auf den Vorstadt-Partys des Handlungsorts Tuggeranong wenig Auswahl gibt, liegt die Messlatte offenbar niedriger. Der Name des Orts am Rand Canberras klingt nach der miefigen Provinzialität und Eintönigkeit, in der die trivialen Typen, die in einer größeren Gemeinschaft die uninteressanten Außenseiter wären, auf einmal die Angesagten sind – und dabei immer noch uninteressant. Eine dieser Typen ist Billie. Aus der frühkindlichen Phase hängt ihr noch mehr Ballast an, der ihre Attraktivität auf Dauer weit mehr beeinträchtigt als die überflüssigen Kilos. Trotzigkeit, Egoismus und eine Unreife, die ihre impulsiven Entscheidungen an die Grenze des Albernen rückt. Humor ist in dem betont lässig abgefilmten Jugendmelodram hingegen Mangelware. In Grahams persönlichen Erinnerungen, die sein selbstverfasstes Drehbuch inspirierten, wurde augenscheinlich nicht gelacht. Dafür gibt es hämisches Grinsen, wenn die Figuren sich gerade besonders toll finden, und herablassendes Kichern, wenn sie jemanden nicht so toll finden. Bestenfalls solch ein abschätziger Ausdruck steht einem beim Verlassen des Kinos im Gesicht. Die Fiktion, die der Regisseur vor dem realen Hintergrund der Wildbrände von 2003 entwirft, ist ein Strohfeuer.
1,5/5 Sterne
„Arktisch“ bedeutet der Titel von Gabri Velázquez' episodischer Chronik der hoffnungslosen Existenzen seiner schroffen Figuren. Jeder der vier Jugendlichen lebt in einer Form von sozialem Gefängnis, dessen Fundament aus Armut, Verwahrlosung und Brutalität besteht. Kälter und dumpfer als die Wintertemperaturen in der spanischen Trabantenstadt von ärtico ist das Miteinander der Menschen.
Simon (Juanlu Sevillano) ist gerade 20 und Vater eines kleinen Sohns. Der Junge ist ihm genauso zuwider wie dessen Mutter (Alba Nieto), mit der er im Haus seiner Eltern mit den kleinen Geschwistern und der Großmutter lebt. Jede Chance der erstickenden Zwangsgemeinschaft für ein paar Stunden zu entfliehen, ist Simon willkommen. Mit seinem Kumpel Jota (Víctor García) stiehlt er von den umliegenden Gehöften Tauben, um sie zum Essen nach Hause zu bringen, sowie Schweine oder Pferde, um sie zu verkaufen. Geld machen lässt sich in der harten Lebensrealität der grob skizzierten Handlenden nur illegal. Man verkauft Diebesgut, zieht Gleichaltrige ab oder dealt mit Drogen. Was die kriminellen Geschäfte, die mal mit folkloristischen Bauern, mal mit markigen Gangsterbossen abgeschlossen werden, einbringen, reicht für ein Auto und haufenweise Dosenbier und Pizza. Um ein Heim einzurichten, reicht es nicht, erst Recht nicht, wenn ein Baby unterwegs ist. Das will Jotas 18-jährige Freundin Debi (Débora Borges) genauso wenig haben wie Simon seinen Sohn will, aber um ihre Entscheidung für eine Abtreibung durchzusetzen, kümmert Debi ihre Schwangerschaft augenscheinlich nicht genug. Ein Leben in die Welt setzen, das eigene verbauen oder eines beenden, dies tun die abgestumpften Protagonisten einfach so nebenbei. Die flachen Motivationen, die Velázquez dem Publikum des kargen Jugenddramas hinwirft, genügen nicht annähernd, um die drastischen Aktionen plausibel oder psychologisch nachvollziehbar zu machen. Die optische und dramatische Distanz, die Kamera und Regisseur zum Geschehen wahren, verhindert letztendlich jede Anteilnahme an den ineinander verzahnten Tragödien in der in diesige Farben getauchten Landschaft. Während monoton ein Klischee auf das nächste folgt, bleibt höchstens das über allem hängenden Gefühl der Gleichgültigkeit.
1/5 Sterne
„Was bedeutet das, ein authentisches Leben'?“, fragt Billie (Tilda Cobham-Hervey) und blickt ihrem Gegenüber herausfordernd ins Auge. Es ist das Auge der Digitalkamera, die zur stillen Komplizin von Billies offensiver Selbstergründung wird: die intimen Gespräche mit ihren neuen Freunden Jasmine (Imogen Archer) und Josh (Sam Althuizen), die sexuellen Experimente der drei, schließlich Billies aufgelösten Erklärungsversuche. Sie lassen ahnen, dass auch die junge Protagonistin im Zentrum von Sophie Hydes nuancierter Coming-of-Age-Story spürt, dass sie etwas verloren hat.
Es könnte die Kontrolle über ihr heikles Video-Experiment sein oder die enge Beziehung zu ihrer Mutter Jane, bei der Billie nach der Scheidung ihrer Eltern lebt. Aber am meisten scheint es ihre Identitätsperspektive. Viele Charaktere in der 14plus Kategorie von Berlinale Generation sind auf der Suche nach ihrem Platz im Leben. Nicht so Billie. Sie weiß, wo sie zu Hause ist: bei ihrer Mutter, deren beliebig kommenden und gehenden Bruder Harry (Mario Spate) und gelegentlich bei ihrem Vater Tom (Beau Travis Williams), der das halbe Sorgerecht hat. Aber Jane heißt jetzt James (Del Herbert-Jane), bekommt Hormoninjektionen und erwartet eine Brust-OP. „Transitioning“ nennt sie gegenüber Billie den langwierigen und nicht ohne Komplikationen ablaufenden Prozess ihrer Geschlechtsumwandlung, die Billie gelassen beobachtet. So scheint es auf den ersten Blick, dem bei Hyde fast immer ein präziserer zweiter folgt. Die Zielstrebigkeit der Mutter, die genau weiß, wer sie sein will, konfrontiert die Tochter mit der eigenen Ziellosigkeit. Dass Janes/James‘ Selbstgewissheit hart erkämpft ist und beständig neue behördliche, soziale und physische Hindernisse überwinden muss, begreift Billie erst durch ein schmerzliches Hin und Her zwischen Distanzierung und Annäherung. Um den innigen Kontakt zu bewahren, verspricht ihr Jane/James pro Woche einen Tag, der nur ihnen gehört. Es sind diese 52 Tuesdays, die den Plot strukturieren und Stichproben der Entwicklung der Figuren geben: wechselhaft, emotional und manchmal dramaturgisch unzureichend, dafür aber immer unverstellt. Eine befriedigende Antwort auf die Frage nach Authentizität? Nicht ganz, aber eine sehenswerte.
3/5 Sterne
Hier geht es zu den bisherigen Berichten:
Filmfutter auf der Berlinale – Teil 1
Solch einsichtige Filmkritiken hab ich noch nie erlebt. Ich bin vollkommen geschockt, wie hier Filme wie Galore, die bei der Berlinale das gesamte Publikum zu Tränen rührte, dermaßen in den Dreck gezogen wird! Ein Gespür für gute Filme ist hier absolut nicht zu erkennen und auch kein Gefühl für ausgezeichnete Regie-und Filmarbeit. Ich schäme mich gerade zu für die Beiträge auf dieser Seite.
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