’71 (2014)

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71 (2014) Filmkritik

’71, GB 2014 • 100 Min • Regie: Yann Demange • Mit: Jack O’Connell, Sean Harris, Paul Anderson, Richard Dormer, Charlie Murphy • FSK: n. n. b. • Kinostart: n. n. b.

„Es war eine verworrene Situation.“, sagt ein Offizier in Yann Demanges filmischer Konzentration aus historischer Sektion und surrealem Alptraum. Die lakonische Analyse ist das ebenso harte wie treffende Fazit: des Films und seiner barbarischen Ära.

'71 (2014) Filmbild 1Die Jahreszahl, die Demange über sein verstörendes Debüt stellt, scheint eine schmerzvolle Mahnung daran, dass das Gezeigte nur ein Vorspiel der bestürzenden Ereignisse ist, die rund 500 Zivilisten im Folgejahr das Leben kosteten. Wenn der Irrweg des Rekruten Gary Hook (Jack O’Connell) durch eine von Schüssen und Explosionen zerrissene Finsternis dem Abstieg in ein danteskes Inferno gleichkommt, dann betritt der verwirrte Protagonist nie den letzten Kreis der Hölle. Was dort an Hass, Fanatismus und Brutalität lauern mag, lässt die unscharfe Kollage aus beklemmend dichten Kameraeinstellungen mit ihren schonungslos hässlichen Bildern erahnen. Alles Schöne scheint ausgemerzt in der nasskalten Krisenregion, in die Hook mit den anderen unerfahrenen Soldaten versetzt wird. Ihr Ziel ist nicht Deutschland, sondern, wie ihr Vorgesetzter sagt, „euer eigenes Land“ – das ist es jedenfalls aus Sicht der britischen Armee. Letzte schickt im Handlungsjahr Verstärkung nach Belfast, wo die nationalen Unruhen angestachelt durch die Politik des Internment außer Kontrolle zu geraten drohen. Selbst die malerische irische Landschaft zeigt sich trist durch das Fenster des klapperigen Busses, der die Soldaten ins Herz des Bürgerkriegs bringt.

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'71 (2014) Filmbild 2Der Abschied von seinem kleinen Bruder Darren (Harry Verity) unterstreicht nur noch mehr und wie später die reziproke Endszene eine Spur zu penetrant, was längst offensichtlich ist. Hook ist ungeachtet des harten Militärtrainings, das von der ersten Minute an die Handlung determinierende Thema der Brutalisierung und ideologischen Konditionierung etabliert, psychisch ein halber Junge. Das gleiche gilt für seine Kameraden und bis hin zu ihrem Lieutenant Armitage (Sam Reid), der keine Vorstellung davon hat, welch diffiziles Schlachtfeld seine Männer erwartet. Auf der Stadtkarte sind die knapp als Freund und Feind markierten Gebiete von klaren Grenzen strukturiert. Ein Spielzeugland, in dem es nur aufgebrachte Zivilisten zu beruhigen gilt, suggeriert die Einführung, die den Rekruten ebenso gilt wie den Zuschauern. Für beide kommt die Realität gleichermaßen als Schock. Über die ersten Attacken wütender Kinder lächelt Hook noch. Doch nach den Stinkbomben fliegen Straßensteine. Die brutalen Ausschreitungen der nordirischen Polizeibrigade RUC initiieren den kaltblütigen Gewaltakt, der zum Startschuss für die animalische Flucht durch das Labyrinth aus Hinterhöfen, Häuserfluchten und Gassen mit ausgebrannten Fahrzeugen und demolierten Fassaden wird.

Das unübersichtliche Straßennetz wird zur Metapher für das unentwirrbare Netz aus Verrat, Kollaboration und Infiltration. Hook und das Publikum wissen nie, ob die nächste Gestalt, die aus der von Molotow-Cocktails und Brandherden erhellten Nacht auftaucht, ein kameradschaftliches Bier reicht oder eine Waffe zieht. Der Name, die eigenen Schuhe oder die Straßenseite, auf der man sich befindet, können über Leben und Tod entscheiden. Am gespenstischsten aber ist das Leben, das inmitten des Horrors weitergeht. Spielende Schulmädchen, Mütter mit Kinderwägen und Paare in einem Pub erwecken für kurze Momente den Anschein, die Normalität sei zurückgekehrt und die panische Jagd zu Ende. Doch Stille ist in dem traumatischen Strudel aus Handkamera- und Digitalaufnahmen nur die vor dem Schuss und wer immer den Finger am Abzug hat, zögert besser nicht abzudrücken. Menschlichkeit ist mörderischer als Denunziation und Verschlagenheit. Die physischen Wunden, die Hooks Wahrnehmung zunehmend dämpfen und einen Schleier von geisterhafter Benommenheit über den Schrecken legen, sind nachrangig gegenüber denen an seiner Seele.

Fazit

„In solch einer Situation kann das, was du glaubst gesehen zu haben, etwas ganz anderes sein als was passiert ist.“, sagt das Abschlusswort. Die emotionale Wahrheit des Leids jedoch transzendiert die Subjektivität. Und die Fiktion.

Filmausschnitt

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