Wie ich bereits angekündigt habe, hatte ich im Rahmen der Kölner Premiere des Psychothrillers Stereo die Gelegenheit, die beiden Stars des Films, Moritz Bleibtreu und Jürgen Vogel, zu interviewen. Weitere Vorstellung brauchen die beiden eigentlich nicht, denn sie gehören schon seit geraumer Zeit zu den Größten der Größten in der deutschen Filmlandschaft. Seien es Kleine Haie, Nackt, Die Welle oder Der freie Wille (der mit einem Silbernen Bären prämiert wurde) von Vogel oder Das Experiment, Lammbock, Lola rennt und die zahlreichen Filme mit Fatih Akin von Bleibtreu – beide prägten das deutsche Kino über die letzten 20 Jahre. Nie hat sich einer der beiden in eine Schublade stecken lassen oder hat sich auf ein Genre festgelegt. Beide waren stets bereit Risiken einzugehen, Neues auszuprobieren. Es passt also sehr gut zur Experimentierfreudigkeit der beiden, dass ausgerechnet sie es sind, die im deutschen Psychothriller Stereo die Hauptrollen übernommen haben, einem Film, wie man sie aus Deutschland nicht gewohnt ist – einem waschechten Psychothriller der Extraklasse.
Überraschend ist hingegen, dass es überhaupt so lange gedauert hat, bis die privat gut befreundeten Schauspieler endlich gemeinsam in einem Film auftraten. Stereo ist ihre zweite Zusammenarbeit. In Oskar Roehlers Quellen des Lebens (2013) hatten die beiden nur wenige Szenen miteinander und Vogel, der darin den Vater von Bleibtreus Charakter spielte, agierte unter viel Makeup. In Stereo haben beide gleichwertige Hauptrollen und legen eine unglaublich intensive Dynamik an den Tag, die alleine schon den Film lohnenswert macht.
Diese Dynamik äußerte sich auch in unserem Interview mit den beiden, das wir in einem gemütlichen Kinosaal des Kölner Weißhaus-Kinos geführt haben. Anstelle eines ganz traditionellen Frage-Antwort-Interviews zu diversen Themen, zog sich ein Faden durch die gesamte spannende Diskussion – weshalb sind Filme die Stereo in Deutschland so selten und was sollte man an der deutschen Filmindustrie verändern? Die Ansichten und Meinungen der beiden dazu sind sehr lesenswert, weshalb wir Euch auch nicht länger auf die Folter spannen wollen.
Filmfutter: Stereo ist ein klasse Film. Es ist ungewöhnlich einen solchen Film aus Deutschland zu sehen – einen düsteren, spannenden Thriller mit Actionelementen. Auch Euch ist das sicherlich bewusst, dass Stereo sich von der deutschen Filmlandschaft deutlich abhebt. Wäre es dann nicht sehr wichtig, dass gerade ein Film wie Stereo viel Erfolg hat? Und woran liegt es überhaupt, dass solche Filme aus Deutschland nur selten sind?
Jürgen Vogel: Es ist eine schwierige Frage. Wenn die Journalisten viel darüber berichten und wollen, dass es mehr solche Filme gibt, dann müssen sie das auch offen sagen. Wenn die Presse nicht nur über Komödien schreiben möchte, sondern auch das Augenmerk auf das deutsche Genrekino lenken möchte, dann wäre auch das eine große Hilfe. Es sollte nicht alles auf den Schultern von Stereo lasten. Ein einziger Film kann eine solche Veränderung nicht herbeiführen. Jede Wochen kommen 20 Filme ins Kino und drücken auch gerne mal einen Film weg. Es wäre eine Tragödie, wenn sich dann keiner traut, weiterzumachen. Wir als Schauspieler haben sowieso Bock darauf, etwas anderes zu machen, sei es ein Abenteuerfilm oder ein Actionfilm. Wenn die Zeit jetzt so weit ist, dass auch die Zuschauer das wollen, dann sollten sie das zum Ausdruck bringen. Bei ihnen liegt die größte Macht.
Moritz Bleibtreu: Ich glaube hinzu kommt noch, dass oftmals gerade die Leute, die sich über die Armut der Genrevielfalt in Deutschland beschweren, diejenigen sind, die nie ins Kino gehen. Das ist auch ein Problem. Ich glaube, dass deutsches Kino etwas ist, wofür man sich ein Stück weit auch interessieren muss. Es ist kein Hollywood-Kino, das einem mit einer riesigen Marketing-Power vor die Füße gelegt wird. Wenn man nicht ein bisschen die Augen offen hält, sich nicht dafür interessiert, was im deutschen Kino gerade los ist, dann ist es auch gar nicht so leicht. Darüber hinaus ist „Thriller“ auch international ein schweres Genre. Aber der Hauptpunkt ist auch, dass die meisten, die sich über die mangelnde Vielfalt des deutschen Kinos beschweren, gar nicht wissen, was für tolle Sachen im deutschen Kino passieren.
JV: Aber leider oft mit geringen Zuschauerzahlen. Wir haben doch beide schon viele geile Filme gedreht, die einfach kein Publikum fanden. Wie Moritz schon sagte, die Leute wissen das nicht und sind es auch nicht gewohnt, interessante Filme aus Deutschland zu sehen. Ein solches Publikum muss man auch pflegen und bilden. Es ist ein Prozess und es dauert einige Zeit, bis die Zuschauer dann kapieren, dass es häufiger interessante und ungewöhnliche deutsche Filme gibt, als man denkt. Gerade Moritz und ich experimentieren gerne rum.
FF: Fällt Euch jeweils ein bestimmter Film ein, bei dem Ihr mitgemacht habt, der besuchertechnisch nicht gut gelaufen ist und Ihr das besonders schade findet?
JV: Unzählige! Gnade, nur 50,000 Zuschauer. Das war heftig, das hat der Film nicht verdient. Scherbentanz, damals auch nur 30,000. Sexy Sadie, Keine Lieder über Liebe…
MB: Vijay und ich, keine 15,000 Zuschauer. Die Liste ist endlos. Das ist, was ich eben meinte. Natürlich kann man niemanden dazu zwingen, sich für deutsches Kino zu interessieren. Kino ist ein Event. Man geht einmal alle 2-3 Wochen ins Kino und nimmt eben das, was nahe liegt. Man nimmt den Film, über den alle reden, einen mit Brad Pitt oder DiCaprio. Das ist der Punkt. Man muss ein Grundinteresse an deutscher Sprache im Film haben. Das wird wahnsinnig unterschätzt. Man darf nicht vergessen, dass das Kino unternehmerisch betrachtet wahrscheinlich ein einzigartiger Raum ist. Man stellt ein Produkt her, das in seiner Herstellung zwischen $20,000 für Paranormal Activity und $275 Mio für World War Z variiert. Am Point of Sale, also im Kino, kosten aber beide dasselbe. Das ist ein Problem. Das ist, wenn man in eine Bar geht und die Wahl zwischen einem Eimer voll mit Bier und einem Schnapsglas mit Bier hat – und beide kosten gleich. Was kaufst du? Du nimmst den Eimer. Dessen muss man sich bewusst werden und das wiederum setzt ein Grundinteresse voraus. Ich würde mir wünschen, dass mehr Leute sehen, wie viel doch ungewöhnliches und geiles Zeug im deutschen Kino stattfindet und sich dafür auch interessieren. Dass sie dann vielleicht denken: „Hey, wenn Jürgen Vogel einen Film macht, dann schau ich mir das an“.
JV: Man denkt, die Leute gehen ins Kino, weil der und der in einem Film mitspielt. Das funktioniert manchmal, aber wirklich selten. Meistens ist das Gesamtpaket entscheidend. Momentan sind romantischen Komödien ganz im Trend.
FF: Ich habe das Gefühl, dass dieser Trend schon ewig andauert.
JV: Ja, es ist auch so.
MB: Ich denke, das ist falsch beobachtet. Es ist ständiges Auf und Ab. Als wir angefangen haben, Filme zu machen fing es mit romantischen Komödien an. Ein Mann für jede Tonart, Stadtgespräch, Der bewegte Mann usw. Das waren allesamt Komödien oder romantische Komödien. Nach diesem Boom von romantischen Komödien hat es dann eigentlich eine Gegenbewegung zu den romantischen Komödien gegeben. Genau genommen gab es bis Keinohrhasen jahrelang kaum großen romantischen Komödien. Es gab mindestens sieben Jahre, in denen die romantische Komödie im deutschen Kino eine absolute Ausnahme dargestellt hat. Das war übrigens auch eine goldene Zeit für das deutsche Kino, in der dann Filme wie Der Untergang, Der Baader-Meinhof Komplex, die großen Eichinger-Produktionen, ins Kino kamen.
JV: Auch Die Welle, mit 2,7 Mio Zuschauern.
MB: In dieser Zeit gab es kaum deutsche Beziehungskomödien, weil man dachte, dass es nicht mehr funktioniert, da es zuvor einfach inflationär betrieben wurde. Dann hat aber Til (Schweiger) mit Keinohrhasen das Genre wieder neubelebt und jetzt ist es auf einmal der absolute Bringer. Das ist das Problem hierzulande. Die Wahrnehmung ist fast immer schwarz oder weiß, aber selten grau. Schaut man genauer hin, dann ist es grau.
FF: Also ist es wieder an der Zeit für eine Gegenbewegung?
MB: Sie ist mitten im Gange, auf jeden Fall. Das ist ja international eigentlich auch so. Die Komödie ist neben großen Actionspektakeln der Moneymaker Nummer 1. Der Großteil der Menschen geht nicht ins Kino, um sich Gedanken über die Welt zu machen, einen sozialkritischen Film oder unter Umständen ein abgefucktes Drama zu sehen. Sie wollen es meist leicht und schön haben, sie wollen aufgeheitert werden. Sie wollen was erleben, dann nach Hause gehen und sich gut fühlen. Das ist auch vollkommen in Ordnung und verständlich. Komödie macht einfach Kohle. Aber gerade jetzt passiert ganz schön viel im deutschen Kino, das auch wieder in eine andere Richtung geht. Zum Beispiel (der Hacker-Thriller) Who Am I mit Wotan (Wilke Möhring), Elyas (M’Barek) und Tom Schilling. Christian Alvert dreht Unter Brüdern, mit einer tollen Besetzung. Es hat dieses Gegengewicht eigentlich immer gegeben. Leider interessieren sich die Leute häufig nicht genug dafür. Wie Jürgen gesagt hat, es braucht Zeit, das dem Publikum nahe zu bringen. Die Presse ist da unglaublich wichtig. Dass wir jetzt ein zitty-Cover in Berlin mit Jürgen und mir haben, das ist einfach legendär. Ich weiß gar nicht, wann zitty das letzte Mal deutsche Schauspieler auf dem Cover gehabt hat Drunter steht noch „Endlich Action!“ (lacht).
FF: Wenn Ihr eine Sache an der aktuellen deutschen Filmindustrie ändern könntet, was wäre das?
JV: Ich würde sagen, wir machen jetzt 70% deutsche Filme und nur 30% ausländische.
MB: Ich würde vor allem die deutsche Sprache als Grundvoraussetzung des deutschen Förder- und Subventionssystems machen. Genau wie Jürgen sagt, dass die Subventionen primär an die deutsche Sprache gebunden sind, so ähnlich wie die Franzosen das über die Alliance française machen. Das heißt, nur ganz wenige Filme, die nicht in eigener Sprache produziert werden, sollen gefördert werden. Man hat dafür einen gesonderten Topf, wie Eurimages, der sich kümmert sich um alle nicht-französischsprachigen Koproduktionen wie Transporter und die anderen Produktionen von Luc Besson. Ansonsten gilt die Subvention nur der eigenen Sprache. Das wäre der erste große Schritt.
JV: Ja, da haben die Politiker aber Angst davor, dass das die Diskussion über Nationalismus lostreten würde. Das ist natürlich Quatsch, denn dadurch sichert man die gesamte Industrie und hilft, etwas aufzubauen und generellen Rahmen und Raum zu schaffen.
MB: Wenn bei uns Geld rumliegt, was für große internationale Filme verfügbar gemacht werden kann, dann werden diese Produktionen natürlich das Geld nehmen. So viel ist sicher. „Stupid German money“ ist ein Begriff, den es seit den Achtzigern gibt (lacht). Das haben wir jetzt wieder. Nur es ist ein wenig anders. Es sind jetzt nicht die Fonds, die das Geld in die Staaten tragen und da große schlechte Filme in den Sand setzen, sondern die kommen hierher und holen sich das Geld direkt von uns. Ich glaube tatsächlich, dass es helfen würde, wenn man die Subventionsstatuten an die deutsche Sprache binden würde und sagen würde, dass es um die deutsche Sprache geht. Das ist auch völlig normal. Jeder Filmpreis dreht sich ja auch um die eigene Sprache. Daher gibt es beim Oscar ja auch eine gesonderte Kategorie für Filme, die nicht in englischer Sprache sind.
JV: Man kann sich da ja auch Afrika anschauen. Wenn die Produkte, die dort hergestellt werden, auf dem internationalen Markt verkauft werden könnten, dann würde es den Afrikanern besser gehen. Da das aber von der „Mafia“ der Wirtschaft nicht zugelassen wird, haben sie keine Chance. Genau so ist es mit dem Kino auch. Du hast nur bedingt eine Chance, in deinem Land Filme herauszubringen, wenn der Druck der anderen Industrie so groß ist. Du hast kaum eine Chance mit einem Film, der 3 Millionen kostet gegen einen Film, der 280 Millionen verschlungen hat.
MB: Wenn jetzt Warner oder ein anderes Studio den neuen Superman-Film hat und man sich als Kinobetreiber weigert, den Film ins Programm aufzunehmen, dann bekommt man auch den nächsten Film von dem Verleiher nicht. So funktioniert die Verleihstruktur.
JV: Selbst wenn der deutsche Film dann erfolgreich ist und das Kino ist voll, gibt es eben diesen Druck. Das wäre komplett anders, wenn das Verhältnis anders wäre.
MB: Was die Franzosen beispielsweise über eine Quote regeln. Eine sensationelle Lösung. Das Problem ist nur, dass man dann in Deutschland direkt eine Debatte über Nationalismus hätte. Man versucht ja in Frankreich nichts anderes, als die eigene Kultur und die Sprache zu schützen. Die Franzosen haben über das Kino hinaus ja auch Quoten fürs Radio und für das Fernsehen.
JV: Die Amerikaner machen es doch genau so. Dort werden kaum fremdsprachige Filme geschaut. Du kannst ja auch keine deutschen Filme breit in den Kinos dort zeigen, außer vielleicht unter „ferner liefen“ in kleinen Arthouse-Kinos, wie Lola rennt.
MB: Deshalb machte auch The Artist Kasse, weil da nicht gesprochen wird. (lacht)
JV: Esa gibt Ausnahmen, aber es kommen eigentlich kaum deutsch- oder französischsprachige Filme groß ins US-amerikanische Kino. Stattdessen überlegen sie, ob sie die Filme nicht einmal neuverfilmen, wie beispielsweise Verblendung aus Schweden. Das ist natürlich geil, es schützt den eigenen Markt extrem. Und wir reden hier dann über Nationalismus…
MB: Ja, man besorgt sich die Remake-Rechte und macht das ganze neu, mit einem großen Star. Man macht z. B. aus Das Experiment so ein mieses Remake mit Adrien Brody und Forest Whitaker…
FF: Hast du das Remake gesehen?
MB: Ja, ich habe die ersten 20 Minuten gesehen und das hat auch gereicht.
JV: Man versucht in den meisten Ländern, den eigenen Filmen Vorrang zu geben. Das ist ja auch voll okay, dass amerikanische Filme in den deutschen Kinos laufen, aber vielleicht nicht in dieser Masse, sodass man einfach keine Kraft hat, sich dagegen zu stemmen.
FF: Deswegen wünsche ich Stereo auch sehr viel Erfolg, weil ich weiß anhand von Beispielen wie Anatomie, Die Welle, Das Experiment und anderen, dass das Publikum dafür prinzipiell schon da ist. Man muss das Potenzial rausholen.
MB: Aber da sind die Presse, aber natürlich auch die Zuschauer gefordert. Wenn man keinen Hype um die Filme macht, und zwar massiven Hype, dann ist es schwierig. Wir können das nicht, wir können nur einen geilen Film machen.
JV: Letztlich sitzen wir in einem Boot.
von Arthur Awanesjan
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In den deutschen Kinos läuft Stereo ab dem 15.05.2014. Verpasst nicht diesen spannenden Film, der zeigt, dass deutsches Kino, nicht nur aus Geschichtsaufarbeiten und romantischen Komödien besteht.