Wir nähern uns der Schlussrunde. Zehn Tage Fantasy Filmfest und 30 Filme habe ich jetzt hinter mir. Die Verlängerung des Festivals auf 12 Tage erweist sich als ungemein anstrengend für Euren Autor, aber andererseits werde ich endlich meinen FFF-Filmerekord von 2009 schlagen. Damals habe ich 33 Filme beim Festival gesehen, diesmal dürften es auf jeden Fall einige mehr werden. Eine absolute Mega-Gurke wie Revenge for Jolly! ist mir bislang zum Glück erspart geblieben. Am zehnten Tag konnte ich wieder zwei Beiträge aus der Wettbewerbsreihe "Fresh Blood" sehen. Einer davon, Honeymoon, überraschte mich positiv, während ein anderer (Time Lapse) trotz seiner Ambitionen leider deutlich hinter den Erwartungen blieb. Eingestiegen bin ich in den Tag aber mit dem klassischen Horrorstreifen Oculus, der als einer der wenigen FFF-Filme dieses Jahr in den USA bereits breit im Kino lief. Hierzulande ist ein Kinostart leider nicht vorgesehen, weshalb ich froh bin, den Film beim Fantasy Filmfest gesehen zu haben, denn trotz einiger Mängel gehören seine Bilder auf die Leinwand. Mehr zu Oculus, Time Lapse und Honeymoon gibt es unten.
TAG 10
Elf Jahre ist es her, dass die Eltern von Tim (Brenton Thwaites) und Kaylee (Karen Gillan), von Wahnvorstellungen angetrieben, versucht haben, ihre Kinder zu töten und dabei selbst ums Leben gekommen sind. Besonders hart traf es Tim, der seinen eigenen Vater erschießen musste, um seine Schwester zu retten. War eine Folie à deux schuld am Wahnsinn der Eltern oder steckten dahinter sinistere Mächte eines uralten Spiegels. Kaylee ist vom Letzteren überzeugt und just als Tim die Ereignisse endlich verarbeitet hat und aus der Nervenheilanstalt entlassen wird, holt Kaylee ihn ab und erinnert ihn an das Versprechen, dass sie sich in jener schicksalsvollen Nacht gaben – den Spiegel eines Tages ein für alle mal zu vernichten. In dessen Besitz konnte Kaylee durch ihre Arbeit bei einem Auktionshaus gelangen und ein präzise ausgeklügeltes System aus Kameras, Wärmesensoren und Schutzvorrichtungen soll beweisen, dass der Spiegel wirklich ein böses Wesen beherbergt. Tim, mit der Vorstellung unglücklich, die Vergangenheit wieder auszugraben, willigt Kaylee zuliebe ein.
Horrorspiegel gab es beim Fantasy Filmfest das letzte Mal mit Alexandra Ajas mäßigem Mirrors-Remake. Mike Flanagans Oculus ist zum Glück ein etwas besserer Beitrag, der durch eine langsam, aber kontinuierlich steigernde unheimliche Atmosphäre besticht. Oculus ist Grusel alter Schule, der mehr auf Vorahnungen, Atmosphäre und Unsicherheit darüber, ob das, was man sieht, real ist, setzt. Der Nebeneffekt ist aber auch, dass der Film zwar durchgehend spannend und unheimlich, aber nur selten gruselig ist. Viel mehr stellt man sich ständig die Frage, ob es tatsächlich einen Dämon im Spiegel gibt, oder ob es sich wirklich nur um eine in Familie liegende psychische Störung handelt. In dieser Hinsicht gelingt es dem Film, dass man die Antwort auf die Frage nicht schnell herausfindet. Der Zuschauer steht hier schnell direkt neben den Protagonisten, die bald auch nicht mehr wissen, was real und was Einbildung ist. Spielt der Verstand ihnen Streiche oder der Spiegel. Tim und Kaylee wissen es nicht und wir auch nicht. Interessant ist auch die Darstellung der Ereignisse auf zwei Ebenen ("jetzige Zeit" und Tim und Kaylee als Kinder), die gegen Ende immer mehr konvergieren. Darstellerisch sind v. a. die in den Rückblenden von Rory Cochrane und "Battlestar Galactica"-Star Katee Sackhoff gespielten Eltern zu erwähnen, die den Abstieg in den Wahnsinn beängstigend gut spielen.
Wie viele ähnliche Filme, verliert Oculus aber gegen Ende seine Faszination, sobald dem Zuschauer sehr klar ist, woran er hier wirklich ist. Der finale Twist ist aber wiederum gelungen und das Ende hinterlässt beim Zuschauer einen bleibenden Eindruck und lässt die Tür für etwaige Fortsetzungen offen. 3,5/5
Time Lapse ist eigentlich ein Zeitreisefilm, nur dass hier niemand per se in der Zeit reist. Okay, das bedarf wohl etwas Erklärung. Finn (Matt O’Leary), seine Freundin Callie (Danielle Panabaker) und ihr gemeinsamer, wettsüchtiger Kumpel Jasper (George Finn) sind WG-Mitbewohner in einer großen Wohnanlage, in der Finn sich auch als eine Art Hausmeister betätigt. Als ein Nachbar vermisst wird, untersuchen die drei seine Wohnung und finden eine seltsame riesige Maschine vor, die genau auf das WG-Fenster der drei gerichtet ist. Diese schießt jeden Tag zu einer bestimmten Uhrzeit ein Polaroid-Foto des Apartments. Was auf dem Foto jedoch zu sehen ist, so können die drei Freunde schnell schlussfolgern, ist die Zukunft – und zwar genau 24 Stunden nachdem das Foto geschossen wurde. Nach anfänglichen Skrupeln, finden die drei schnell einen Weg, von der Maschine zu profitieren. Finn, der auch ein Hobby-Maler ist, überwindet so seine Schaffenskrise und Jasper gewinnt endlich seine Wetten. Dass der Nachbar selbst in einer Abstellkammer tot aufgefunden wurde, kann vorerst verdrängt werden. Die wichtigste Maxime der drei ist es, dass die auf dem Foto dargestellten Ereignisse genau so um die jeweilige Uhrzeit stattfinden müssen, denn "You don’t fuck with time".
Dem Debüt-Regisseur Bradley King, aus dessen Feder aus das Drehbuch zu Time Lapse stammt, gebührt Anerkennung dafür, dass er dem angestaubten Zeitreise-Subgenre tatsächlich einen neuen Aspekt abgewinnen kann. Zwar wird in der Zeit hier nie gereist und dennoch stellt sich immer die zentrale Frage, ob man die Ereignisse aus der Zukunft verändern kann oder ob alles vorbestimmt ist. Das führt durchaus zu einigen spannenden Passagen und interessanten Wendungen im letzten Akt der Geschichte. Doch noch mehr als in vielen herkömmlichen Zeitreise-Filmen hapert es hier an inhärenter Logik. Wie kann es sein, dass die Zukunft, wie auf den Fotos abgebildet, nur dadurch zustandekommt, dass die drei Freunde dieses Foto immer nachbilden müssen? Das ist ein interessantes Gedankenexperiment, das aber letztlich in einer Tautologie endet. Die Fotos zeigen die Zukunft, aber nur, weil die Freunde diese Fotos dann eben genau so nachstellen. Das tun sie aber auch nur, weil sie das Foto gesehen haben…
Ein weiteres Problem des Films ist die unglaubwürdige Charakterzeichnung, in der die Charaktermotive sehr skizzenhaft dargestellt werden und sich schnell eine "böse" Figur herauskristallisiert. Das sollen also langjährige Freunde und Mitbewohner sein?! 2,5/5
Neben dem Zusammenziehen und Kinderkriegen ist Heiraten der wichtigste Schritt, den ein Pärchen in einer Beziehung machen kann. Eigentlich eine rein formelle Bindung, läutet die Heirat dennoch in gewisser Hinsicht einen neuen Lebensabschnitt ein. Doch was ist, wenn sich nach der Hochzeit herausstellt, dass man die Person, der man das Ja-Wort gab, gar nicht so gut kennt, wie man dachte? Was ist, wenn es doch nicht der/die ideale Partner(in) ist? Dieses Thema, das vielen Pärchen Muffensausen vor der Hochzeit bereitet, verpackt Leigh Janiaks Debütfilm Honeymoon gekonnt in ein spannendes Horrorsujet. Bea (Rose Leslie) und Paul (Harry Treadaway) sind frisch vermählt und verbringen ihre Flitterwochen in einem abgelegenen Häuschen am See. Das Glück und die Liebe der beiden ist unermesslich und auch das plötzliche Treffen auf Beas alten Jugendfreund/potenzellen Ex-Freund können die Stimmung nicht trüben. Diese kippt jedoch schlagartig, als Bea eines Nachts aus dem Bett verschwindet und Paul sie nackt und desorientiert im Wald vorfindet. Die Schlafwandeln-Erklärung klingt wenig glaubwürdig und bereits ab dem nächsten Morgen benimmt sich Bea plötzlich sehr seltsam.
Honeymoon ist nicht gerade der subtilste aller Horrorfilme, die ein allzu reales und ernstes Thema symbolisch verarbeiten. Der hauptsächliche – und vielleicht einzige – Grund, weshalb es dennoch so toll funktioniert, ist das Darsteller-Duo Rose Leslie und Harry Treadaway. Anstatt sofort ins Horrorszenario einzutauchen, nimmt der Film sich reichlich Zeit, die beiden Hauptfiguren ausführlich vorzustellen und die Funken zwischen ihnen sprühen zu lassen. Man kauft ihnen einfach ein frisch verheiratetes Paar, voller bedingungsloser Liebe, Verspieltheit und vielleicht sogar kindlicher Naivität ab. Zum Glück haben die Darsteller auf Anhieb Chemie und die Szenen wirken so ungezwungen, dass sie beinahe improvisiert sein könnten. Insbesondere die bezaubernde "Game of Thrones"-Darstellerin Rose Leslie stellt hier ihr großartiges Talent zur Schau.
Gerade weil man das Pärchen so lieb gewonnen hat, wirken die späteren Veränderungen und der "Verfall" der Beziehung umso mehr auf die Zuschauer. In letzten Akt wandelt sich Honeymoon endgültig zu einem vollblütigen Horrorstreifen, der auch nicht ohne die eine oder andere eklige Szene auskommt. Das Mysterium hinter den Veränderungen wird zwar lange vor den Zuschauern verborgen gehalten, den Genrekenner wird die Auflösung aber nicht überraschen, da sie sich sehr stark bei einem bestimmten Genreklassiker bedient. Gerade diese sehr konventionellen Elemente sind es, die in Honeymoon schon beinahe antiklimatisch wirken. Am besten ist der Film, wenn Paul verzweifelt und selbst schon am Rande des Wahnsinns, versucht, zu seiner Frau durchzudringen. Liebe siegt über alles? Vielleicht, aber nicht jeder Sieg ist wünschenswert… 4/5
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Nur noch zwei Ausgaben unseres Tagebuchs zum Fantasy Filmfest 2014 erwarten Euch, also bleibt dran! Am 11. Tag stehen für mich drei weitere Filme an, die kaum unterschiedlicher sein könnten: das nüchterne Rache-Drama Blue Ruin, das bereits im Vorfeld stark umjubelte australische Horrordrama The Babadook und Werwolf-Trash Wolfcop. Die ersten beiden konkurrieren ebenfalls miteinander im Publikumswettbewerb "Fresh Blood". Ob einer der drei Streifen für einen guten Filmabend was taugt, erfahrt Ihr sehr bald bei uns.
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