Still Alice, USA 2014 • 101 Min. • Regie und Drehbuch: Richard Glatzer, Wash Westmoreland • Mit: Julianne Moore, Alec Baldwin, Kristen Stewart, Kate Bosworth, Hunter Parrish, Stephen Kunken • FSK: ohne Altersbeschränkung • Kinostart: 5.3.2015 • Deutsche Website
Handlung
Dr. Alice Howland (Julianne Moore) ist eine angesehene Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Linguistik. Zusammen mit ihrem Mann John (Alec Baldwin), der auf medizinischem Gebiet tätig ist, lehrt sie an der Columbia University. Sowohl in ihrer Karriere als auch familiär scheint alles rund in ihrem Leben zu laufen. Doch plötzlich merkt die 50-jähige Alice, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Zunächst fallen ihr nur ein paar Wörter nicht ein, doch als sie beim Joggen die Orientierung verliert, ahnt sie das Schlimmste. Schließlich sucht sie einen Neurologen auf und bekommt eine verstörende Diagnose: Sie hat eine sehr seltene Form der Alzheimer-Krankheit im Frühstadium. Als ihre Familie erfährt, was mit ihr los ist und dass die Krankheit vererbbar ist, beginnt vor allem das Verhältnis zwischen Alice und ihrer ältesten Tochter Anna (Kate Bosworth) zu bröckeln. Dafür wächst die Verbindung zu ihrer Jüngsten Lydia (Kristen Stewart), die sich neben John bis zuletzt um Alice kümmert.
Kritik
Das Schlimmste, was den Machern eines Dramas passieren kann, ist, es allzu pathetisch zu inszenieren. Wenn man, wie bei einem Ampelsystem, gesagt bekommt, wann man weinen soll, wann man lachen darf und wann man einfach ruhig dasitzen soll und folgen. Sobald man merkt, dass man emotional vorgeführt wird, möchte man sich nicht mehr auf den Film einlassen. Und dann gibt es Dramen wie Still Alice. Nur äußerst selten bekommt man einen so ruhigen und unaufgeregten Film in Zeiten der budgetär aufgeblähten Unterhaltungsstreifen made in Hollywood noch zu sehen. Das lässt nicht nur Zeit zum Nachdenken, sondern auch Zeit zum Mitfühlen, da fast die kompletten 100 Minuten darauf verwendet werden, sich intensiv mit Alice’ Situation auseinanderzusetzen.
Das Regie-Gespann Richard Glatzer und Wash Westmoreland inszeniert das sensible Thema Alzheimer so subtil, dass jeder Zuschauer gezwungen ist, sich ohne Vorwissen mit der Krankheit zu beschäftigen. Das funktioniert so erschreckend gut, dass man an drei, vier Stellen schwer zu kämpfen hat, nicht aufrichtig loszuweinen. Dazu trägt vor der Kamera allen voran Julianne Moore bei. Sie stellt die Figur der an einer seltenen Form der Alzheimer-Krankheit leidenden Professorin fast schon erschreckend glaubwürdig dar. Man kann sich zwangsläufig mit ihr identifizieren. Durch diesen Realismus fällt es mitunter schwer, sie und ihre Familie bei ihrem unaufhaltsamen geistigen Verfall zu begleiten. Vor allem die Gewissheit, dass es jeden Moment zur nächsten Verschlechterung ihres geistigen Zustands kommen wird, lässt einige Szenen emotional schwer ertragbar werden.
Neben Moore sind einige andere namhafte Schauspieler im Cast vertreten. Beispielsweise Alec Baldwin als Alice’ Mann John, Kristen Stewart als ihre jüngste Tochter und Kate Bosworth als ihre Älteste. Diese drei haben bereits in verschiedensten Filmen schauspielerisches Talent bewiesen. Doch in Still Alice reicht keiner von ihnen an die Leistungen von Julianne Moore heran. Am Anfang des Films scheint das verwunderlich, besonders Alec Baldwin wirkt zunächst alles andere als authentisch. Doch je weiter die Handlung voranschreitet und je mehr man begreift, dass der Film extrem auf die Rolle der Alice Howland zentriert ist, desto mehr weiß man auch die Nebencharaktere zu schätzen. So wirkt Kristen Stewart als fürsorgliche Tochter, die ihr eigenes Glück für ihre kranke Mutter hintanstellt, zum Ende hin sehr überzeugend.
Die Dramatik der Geschichte steigert sich stufenartig mit dem Verlauf der Krankheit, also dem Abbau von Alice’ Gedächtnis. Stück für Stück ändert sich die Persönlichkeit und das Leben einer ehemals sehr erfolgreichen und hochgebildeten Frau. Das Ende des Films zeigt eine der markantesten Folgen der Krankheit und wirkt dadurch besonders feinsinnig. Die Kamera von Denis Lenoir folgt diesem Lebensabschnitt mit ruhigen Bildern, unterstützt von einer pointiert eingesetzten musikalischen Untermalung. Somit wirkt die Umsetzung des Romans „Mein Leben ohne Gestern“ von Lisa Genova nicht nur inhaltlich, sondern auch filmtechnisch ruhevoll. Die Zeitlosigkeit des Stoffs und die Konfrontation mit dem Thema animieren, über das „Was, wenn?“ bezogen auf das eigene Leben nachzudenken. Auch das lässt den Film in keiner Minute langweilig wirken.
Hintergrund
Die Buchvorlage zu dem Film lieferte mit Lisa Genova eine Neurowissenschaftlerin aus den USA. Ihr Roman war 41 Wochen in der Bestseller-Liste der „New York Times“ und wurde knapp eine Million Mal weltweit verkauft. Richard Glatzer und Wash Westmoreland wurden 2011 gefragt, ob sie das Buch für die Leinwand adaptieren wollen. Da bei Glatzer kurz vorher ALS (Amytrophe Lateralsklerose) festgestellt wurde, wie auch Alzheimer eine Nervenkrankheit, die sich jedoch eher körperlich auswirkt, schien der Stoff dem Gespann zu nahe an ihrem eigenen Leben. Als beide Regisseure das Buch komplett gelesen hatten, waren sie so davon überzeugt, dass sie den Film auf jeden Fall machen wollten. Nach der Weltpremiere am 8. September 2014 beim Toronto International Film Festival wurde Still Alice und vor allem Hauptdarstellerin Julianne Moore für zahlreiche Preise nominiert. Den größten persönlichen Erfolg dürften Moore der Gewinn des Golden Globe im Januar und des Oscar im Februar dieses Jahres in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ beschert haben. Nach fünf Oscar-Nominierungen (Boogie Nights, Das Ende einer Affäre, Dem Himmel so fern, The Hours, Still Alice) hat es 2015 endlich mit dem Goldjungen geklappt.
Fazit
Richard Glatzer und Wash Westmoreland adaptieren mit Still Alice den Roman über eine an Alzheimer erkrankten Karrierefrau herzzerreißend. Die Geschichte ist aufrüttelnd, ehrlich und ungeschönt, sodass die Facetten der Krankheit erschreckend nachvollziehbar wirken. Übertriebenes Pathos wird gänzlich ausgespart, stattdessen begleitet man Julianne Moore in ruhigen Bildern bei der totalen Verkehrung ihres bisherigen Lebens. Als Alice Howland fragt „Warum habe ich nicht Krebs?“, erschreckt man. Nicht wegen der Frage, sondern weil man den Gedanken versteht.
Trailer
Fotos: polyband Medien GmbH