Vier Tage hat es gedauert, aber da waren sie endlich, die ersten großen Highlights des diesjährigen Fantasy Filmfests. Sie haben ein wenig auf sich warten lassen, doch die Wartezeit hat sich gelohnt. Das stilsichere französische Gangsterdrama The Connection und der aus allen Rohren feuernde Partygranate Turbo Kid haben mir den Sonntag versüßt und stellten gleich die bislang besten Beiträge des diesjährigen Jahrgangs dar, auf die ich auch Jahre später mit Sicherheit gerne zurückblicken und sie mir auch fürs Heimkino zulegen werde. Dazu gab es mit Ava’s Possessions eine unerwartete kleine nette, wenn auch sicherlich nicht perfekte Überraschung. Da ließ sich auch der Reinfall des Tages, Stung, leicht verschmerzen. Wie es im Einzelnen um die vier Filme aussah, erfahrt Ihr in den Kurzkritiken unten.
TAG 4
Wie schon der Vortag, begann auch mein vierter Tag beim Fantasy Filmfest 2015 mit einem tollen Film über Gangster und Polizisten, jedoch mit dem Unterschied, dass der Hauptcharakter von The Connection im Gegensatz zum Protagonisten von Hyena durch und durch rechtschaffen ist. Gelegentlich muss er das Gesetz ein wenig verbiegen, doch das dient nur dazu, um die wirklich bösen Buben hinter Gittern zu bringen. Oscarpreisträger Jean Dujardin (The Artist), den FFF-Besucher mit den Agenten-Komödien OSS 117 kennengelernt haben, spielt den engagierten Untersuchungsrichter Pierre Michel, der in Marseille der Siebziger in die Abteilung für organisierte Kriminalität versetzt worden ist und sich zum Ziel gesetzt hat, den florierenden Drogenschmuggel der Stadt, die sogennannte French Connection, zu zerschlagen. An deren Spitze steht Gaëtan "Tany" Zampa (Gilles Lellouche), der unantastbare Pate von Marseille. Michel, der Unbestechliche (so wie der deutsche Titel des Films auch lautet, der bei uns nächsten Monat auf DVD und BluRay veröffentlicht werden wird), begibt sich auf einen sechs Jahre währenden, unerbitterlichen Kreuzzug gegen Tany und seine weitläufige Organisation. Auf jeden kleinen Erfolg folgt ein Rückschlag. Korrupte Polizisten und Politiker legen Michel Steine in den Weg und sowohl für ihn als auch für seine Familie ist seine Arbeit, die geradezu an Besessenheit grenzt, mit hohen Kosten verbunden. Er muss sich die Frage stellen, wie weit er bereit ist zu gehen, um zu triumphieren.
Es gibt einen Grund, weshalb die deutschen Beiträge beim Fantasy Filmfest in der Regel sehr rar gesät sind (dieses Jahr ist eine Ausnahme), während die Franzosen sich schon lange als fester Bestandteil des Festivals etabliert haben. Unsere gallischen Nachbarn haben es einfach drauf und wissen, wie man gutes, hochwertiges Kino produziert in den Genres, die bei uns die Studios gar nicht erst anfassen wollen. Nicht nur im Horrorkino haben sich die Franzosen im letzten Jahrzehnt immer wieder aufs Neue bewiesen, auch französische Action- und Gangsterfilme vom Feinsten bekommen wir regelmäßig vorgeführt. The Connection von Cédric Jimenez ist ein solches Gangsterepos, das in seiner sehr stilsicheren Machart mit jedem Hollywood-Werk mithalten kann, jedoch ein Stück rauer daherkommt. Jedem Cineasten sollte The French Connection mit Gene Hackman, hierzulande ursprünglich als Brennpunkt Brooklyn bekannt, ein Begriff sein. The Connection beleuchtet die französische Seite dieser Geschichte. Sicherlich ist der Film eine Spur konventioneller als der britische Hyena vom Vortag, jedoch keineswegs schlechter. Der Film fängt die Siebziger-Ära von Marseille samt Wildlederjacken, Koteletten, Glamour-Discos, Kettenrauchern und gelegentlichen Gewaltausbrüchen auf offener Straße wundervoll ein. Es ist tolles, schön abgefilmtes, altmodisches Kino, das die große Leinwand verdient hat. Doch das Juwel des Films sind seine beiden Hauptdarsteller. Als Kontrahenten gehen Dujardin und Lellouche in ihren Rollen voll auf, wobei Lellouche den komplexeren Part hat. Beide sind Familienväter und obwohl der Film nie Zweifel daran lässt, dass Tany ein skrupelloser Krimineller ist, wird er trotzdem nicht als eindimensionale Schablone gezeigt, sondern als ein Mensch, der seine Frau und Kinder liebt, der den Verlust seiner Freunde betrauert und der nicht einfach zu sinnloser Gewalt greift. Obwohl man um seine Missetaten Bescheid weiß, kommt man nicht umhin, mit ihm ebenso mitzufühlen wie mit Michel und gerät in ein Dilemma der Sympathien.
Neben diesen beiden Leinwandgrößen gerät der dritte große Star im Bunde, Benoît Magimel, als Tanys einstiger Verbündeter und späterer Konkurrent, leider zu sehr in den Hintergrund und man hat auf jeden Fall das Gefühl, dass hier zugunsten der Laufzeit auf eine weiterer Entwicklung der Figur verzichtet wurde. Darin liegt eigentlich die größte, vielleicht sogar einzige Schwäche des Films. Obwohl er mit 135 Minuten Laufzeit der längste Beitrag des Fantasy Filmfests 2015 ist, fühlt er sich insbesondere im finalen Akt etwas zu hektisch an. Schließlich deckt The Connection einen Zeitraum von sechs Jahren ab und man wird das Gefühl nicht los, dass hier einiges vereinfacht oder schlicht übersprungen wurde. Am Ende, wenn der Film der Zielgeraden atemlos entgegenhetzt, bleiben leider einige Fragen offen. Man wünscht sich, dass die Macher sich getraut hätten, in die Vollen zu gehen und ein dreistündiges Epos abzuliefern. Dieses wäre vielleicht zu einem Meisterwerk des Krimigenres geworden, so haben wir aber "nur" einen verdammt guten Gangsterfilm mit fantastischen Darstellern, und das ist schon mehr, als man von vergleichbaren deutschen Filmen der letzten Jahre behaupten kann. 4/5
Wenn man vom Teufel spricht: im Anschluss an The Connection gab es mit Stung dann auch einen deutschen Genrebeitrag zu sehen, allerdings aus vermarktungstechnischen Gründen in englischer Sprache mit US-Schauspielern produziert. Wie man vom Produzenten nach der Aufführung erfahren hat, ging die Rechnung auf und Stung wurde noch vor der Fertigstellung in über 20 Länder verkauft. In dem Creature Feature lässt Erstlingsregisseur Benni Diez mutierte Riesenwespen auf die Gäste einer beschaulichen Gartenparty los, zu denen auch Clifton Collins Jr. (Der blutige Pfad Gottes 2) und Genregröße Lance Henriksen (Pumpkinhead) gehören. Im Mittelpunkt stehen die Catering-Beauftragte Julia (Jessica Cook) und ihr in sie verknallte Mitarbeiter Paul (Matt O’Leary). Mehr gibt es zu der Handlung dieses sehr simplen, back-to-the-roots Creature Features auch nicht zu sagen. Der Film verschwendet nicht viel Zeit mit dem Aufbau des Settings oder der Figuren und schon nach zwanzig Minuten wird fröhlich gestochen, geschleimt und gesplattert. Doch gerade wenn man sich händereibend auf fröhlich-trashigen Spaß im Geiste der B-Movies der Achtziger einstellt, kommt der Film zu einem fast schon unerträglichen Stillstand, wenn die Überlebenden des ersten Angriffs sich im Anwesen verschanzen. Es folgt eine sich ewig hinziehende Sequenz, in denen mittels langweiliger Dialoge (vergeblich) versucht wird, den Figuren ein wenig Tiefe zu geben oder den einen oder anderen Lacher zu landen. In all dieser Zeit sehnt man sich nach der Rückkehr der Wespen. Nach einer gefühlten Stunde ohne die Viecher kommt der Film langsam wieder in Fahrt, erreicht aber nicht mehr das Tempo oder den Spaß, den er anfangs versprochen hat. Eins der Probleme dabei ist, dass die beiden Hauptcharaktere keineswegs interessant, lustig, cool oder sonderlich sympathisch sind. Das müssen sie ja eigentlich in einem Film wie diesem nicht unbedingt sein, doch wir verbringen viel zu viel Zeit mit ihnen und viel zu wenig Zeit mit den eigentlichen Stars des Films, um darüber hinwegzusehen, dass die Protagonisten etwa genau so viel Tiefe haben wie die Wespen.
Dass Stung trotz guter Vorsätze und wirklich großartiger, handgemachter Kreatureneffekte scheitert, liegt keineswegs daran, dass es ein deutscher Film ist. Im Gegenteil sieht und fühlt sich der Streifen eigentlich in keinem Moment so an, als sei er nicht in Hollywood entstanden. Optisch und tricktechnisch wird hier hohes B-Movie-Niveau geboten. Umso mehr finde ich es dann schade, dass trotz dieser guten Elemente Stung nie zu dem Partykracher wird, der er vermutlich gerne wäre. Für eine Horrorkomödie ist er nicht lustig genug, für einen ernsthaften Horrorfilm ist er zu albern. Was bleibt, sind einige nette Einfälle, tolle, schleimige Splattereffekte und ein stets souveräner, wenn auch sehr in die Jahre gekommener Lance Henriksen. 2/5
Wir schreiben das Jahr 1997. Eine (vermutlich nukleare) Apokalypse und saurer Regen haben dafür gesorgt, dass die Welt, wie wir sie kennen, nicht mehr existiert. Es gibt keine Autos, kaum moderne Technik und die wertvollste Ressource in dieser verwüsteten Welt ist Wasser (Tank Girl lässt grüßen). Dieses wird vor allem von Zeus (teuflisch böse: Michael Ironside) kontrolliert, einem einäugigen sadistischen Tyrannen, der mit seinem maskierten Handlanger Skeletron über das Ödland regiert und zu seiner Belustigung brutale Gladiatorenspiele veranstaltet. In dieser gottverlassenen Welt lebt auch der junge Kid (Munro Chambers), der im Abfall nach verwertbaren Gegenständen sucht und dessen einzige Freude im Leben seine Comics über den Superhelden Turbo Rider sind. Als er dabei eines Tages die quirlige, überschäumend begeisterte und stets optimistische Apple (bezaubernd: Laurence Labeouf) trifft, die ihm prompt einen blinkenden Armband umschnallt, wird sein Leben auf den Kopf gestellt und bevor er sich versieht, findet er sich gemeinsam mit Apple in der Schusslinie von Zeus wieder. Zum Glück fällt ihm auch ein Superhelden-Outfit samt einer mächtigen (wenn auch gelegentlich unzuverlässigen) Waffe in die Hände. Das ist zwar noch nicht genug, um ihn zu Turbo Rider zu machen, doch vielleicht kann er ja Turbo Kid sein, wie Apple vorschlägt. Es beginnt ein Kampf um Leben, Tod und Wasser, bei dem der einzige Verbündete von Kid und Apple Frederic der Armdrücker (Aaron Jeffery) ist, ein cooler, sich selbst aber manchmal überschätzender Draufgänger.
Das Achtziger-Kino zu imitieren ist schon lange "in", doch wenigen Filmen gelingt das so gut und so erfrischend (obwohl jede Einstellung einem auch irgendwie vertraut erscheint) wie Turbo Kid. Das liegt nicht zuletzt daran, dass man den Filmemachern anmerkt, wie viel Leidenschaft und Begeisterung sie in den Film gesteckt haben. Turbo Kid ist der beste Endzeit-Trashfilm der Achtziger, der nicht in der Dekade entstanden ist! Synthie-Score, Charakternamen wie Zeus, Skeletron oder Frederic the Armwrestler und sehr viele herrlich übertriebene Splattereinlagen machen den Retro-Spaß nahezu perfekt. Turbo Kid ist womöglich auch der blutigste Jugendfilm aller Zeiten, denn trotz der aufgekurbelten Gedärme (!), der abgehackten Gliedmaßen und den explodierenden Körpern ist der Film in seinem Kern eine fast schon unschuldige Abenteuergeschichte von einem Jungen, der unversehens zum Helden wird. In einem anderen, ernsthafteren Film wäre Frederic, der stark an den jungen Clint Eastwood aus Leone-Zeiten oder an Indiana Jones angelehnt ist, der Held der Geschichte, doch nicht hier. Dies ist die Story von Kid und Apple und es ist das Zusammenspiel zwischen den beiden, ihre Freundschaft und die zarte Romanze, die das Herzstück des Films bildet. Dabei ist Apple das prototypische Manic Pixie Dream Girl, allerdings mit einem cleveren Twist. Ihre übertrieben positive Art wird vermutlich den einen oder anderen Zuschauer in den Wahnsinn treiben, doch mir zauberte jeder ihrer Auftritte ein Lächeln ins Gesicht, was an Labeoufs hingebungsvollem Spiel liegt und ihrer tollen Chemie mit dem zurückhaltenden Protagonisten.
Doch wer hier nicht wegen der Indie-mäßigen Freundschafts-/Liebesgeschichte vorbeischaut, sondern es ordentlich knallen und splattern sehen will, kommt voll und ganze auf seine Kosten. Es mangelt dem Film nicht an innovativen Einfällen (BMX-Räder als Fortbewegungsmittel der Post-Apokalypse!) und obwohl das ganze Werk natürlich eine direkte Hommage an ein bestimmtes Genre aus einer bestimmten Filmära ist, hält er sich zum Glück bei spezifischen Referenzen weitestgehend zurück (auch wenn der Plot durchaus an Tank Girl erinnert!) und erschafft seine eigene Welt, mit eigenen Regeln. Turbo Kid ist der ultimative Crowd Pleaser für alle Kinder der Achtziger und Neunziger; es ist ein Film, der dazu bestimmt ist, ein Kultklassiker zu werden. Es gibt Humor, Romantik, Action, Splatter und einen Gartenzwerg als Waffe – was will man mehr? 4,5/5
Filme, in denen Menschen (meist junge Frauen) von einem Dämon oder dem Leibhaftigen höchstpersönlich besessen werden und einem Exorzismus unterzogen werden müssen, gibt es wie Sand am Meer. Exorzismus-Filme machen seit über 40 Jahren eins der erfolgreichsten Subgenres des Horrorkinos aus. Meist enden diese Filme damit, dass der Dämon erfolgreich ausgetrieben ist. Doch wie geht es für die Betroffenen danach weiter? Wie gehen sie mit der Tatsache um, dass ein Dämon in ihnen lebte und ihre Handlungen steuerte? Was tut man, um eine erneute Besessenheit vorzubeugen? Diese Fragen stellt sich Ava’s Possessions. In der Welt dieses Films sind Besessenheit durch einen Dämon eine den Menschen und dem Staat nicht unbekannte Angelegenheit und deshalb existieren sogar Selbsthilfegruppen für ehemalige Besessene. Einer solchen muss Ava (Louisa Krause) auch beiwohnen, nachdem ihr Dämon ausgetrieben wurde. Ihre Freundinnen und ihre eigene Familie verhalten sich ihr distanziert gegenüber und sie quält die Frage, was sie in der Zeit ihrer Besessenheit angestellt hat und wieso ausgerechnet sie betroffen war.
Die Idee einer Selbsthilfegruppe für Ex-Besessene klingt nach dem Stoff einer Filmparodie, doch obwohl der Film einige lustige Momente zu bieten hat, nimmt er sich deutlich ernster, als man vielleicht nach dem Lesen der Inhaltsangabe vermuten würde. Ava’s Possessions ist zu gleichen Teilen eine Horrorkomödie wie auch ein Mysterythriller und zu meiner großen Überraschung funktioniert die Mischung über weite Strecken auch echt gut. Ich würde nicht so weit gehen, um Ava’s Possessions als eine verborgene Perle zu bezeichnen, doch er gehört definitiv zu den kleinen Überraschungen dieses Jahrgangs. Ich folgte Ava gerne auf ihre Suche nach Antworten und auch wenn die Twists am Ende etwas plötzlich und beinahe willkürlich erschienen und einige Fragen einfach unbeantwortet blieben, war der Weg dorthin ziemlich spannend. Zu bemängeln ist dafür leider der ziemlich billige Look des Films, was dem niedrigen Budget zu verdanken ist. Außerdem haben die Filmemacher sich vielleicht mehr vorgenommen, als sie innerhalb der 90-minütigen Laufzeit abhandeln konnten, doch es gebührt Lob dafür, dass die originelle Idee hier nicht lediglich für einseitige Gags über Exorzismen und Besessenheit benutzt wurde, sondern dass die Balance zwischen Komödie und Thriller erreicht wurde. 3,5/5
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Mal schauen, ob der Aufwärtstrend sich auch am fünften Tag fortsetzen wird. Dann erwarten Euch Kurzrezensionen zum Weltraum-Schocker Infini und der spanischen Misery-Version Shrew’s Nest.
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