Doctor Strange, USA 2016 • 115 Min • Regie: Scott Derrickson • Mit: Benedict Cumberbatch, Chiwetel Ejiofor, Tilda Swinton, Mads Mikkelsen, Rachel McAdams, Benedict Wong • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 27.10.2016 • Deutsche Website
Handlung
Stephen Strange (Benedict Cumberbatch) ist ein brillanter, aber überheblicher Neurochirurg, der sein Luxusleben aus schnellen Autos, einer geräumigen Penthouse-Wohnung auf Manhattan und prestigeträchtigen wissenschaftlichen Vorträgen in vollen Zügen genießt, bis zu jenem verhängnisvollen Tag, an dem er bei einem verheerenden Autounfall die Kontrolle über sein wertvollstes Werkzeug verliert – seine Hände. Auch nachdem er sein ganzes Vermögen in experimentelle Behandlungsmethoden investiert hat, bleiben die schweren Nervenschäden an seinen Händen bestehen. Strange versinkt in Depressionen und Selbstmitleid und sogar seine hübsche Kollegin und ehemalige Liebschaft Christine (Rachel McAdams) kann ihn nicht aufmuntern. Erst die Begegnung mit einem wundersam geheilten Patienten (Benjamin Bratt), den Strange einst als hoffnungslosen Fall abgelehnt hat, verleiht dem Arzt wieder Hoffnung, sodass er sich auf eine Reise nach Nepal begibt. Dort spürt er eine mächtige, keltische Mystikerin (Tilda Swinton) auf, lediglich bekannt als The Ancient One, die ihn nach anfänglichem Widerwillen unter ihre Fittiche nimmt und ihm eine Welt eröffnet, die seine Vorstellungskraft bei Weitem übersteigt. Auf der Suche nach einer Heilung findet Stephen Strange seine wahre Berufung: den Schutz der Menschheit als Zauberer. Die erste Bedrohung, in Form von The Ancient Ones ehemaligem Schüler Kaecilius (Mads Mikkelsen), lässt nicht lange auf sich warten. Doch zu welchem Opfer ist Strange bereit?
Kritik
Während Warner Bros. bei den DC-Comicadaptionen immer noch nach einer bewährten Erfolgsformel sucht, haben Marvel und Disney ihre schon längst raus: freier, aber dennoch respektvoller und im Geiste treuer Umgang mit den Comicvorlagen, makelbehaftete, aber letztlich grundsympathische Protagonisten, meist recht frische Gesichter in den Hauptrollen, namhafte Schauspielveterane und Charakterdarsteller in den Nebenrollen, spektakuläre Action, ein ordentlicher Schuss Humor, etwas Tragik und Drama, ohne jedoch zu sehr ins Düstere abzugleiten, und Verweise bzw. Referenzen zum restlichen Universum, ohne dass diese auf Kosten der Eigenständigkeit des jeweiligen Films gehen. Es gibt einen kleinen Spielraum zum Ausprobieren und Experimentieren, doch insgesamt wird eher auf Nummer sicher gespielt, im besten Wissen, was die Zuschauer gerne sehen wollen. Und genau das bekommen sie auch, weshalb das Studio einen Riesenhit nach dem anderen abliefert und Marvel als Marke bei vielen Kinogängern als Gütesiegel gesehen wird. Auf lange Sicht ist eigentlich niemand vor einem großen Ausrutscher sicher, doch Marvels neustes Abenteuer Doctor Strange ist definitiv keiner.
Der 14. Film im Marvel Cinematic Universe und der zweite Eintrag in Phase Drei des besagten Universums bedient sich ausgiebig der eingangs erwähnten Erfolgsformel und zeigt wieder einmal, dass sie immer noch bestens funktioniert. Vieles fühlt sich mittlerweile vertraut an, jedoch nicht auf eine redundante, sondern auf eine wohlig familiäre Art und Weise, denn man taucht immer wieder gerne in dieses magische Universum ein. Benedict Cumberbatch ist perfekt besetzt als arrogantes Genie, das nach einem einschneidenden Erlebnis seine Läuterung und Bestimmung findet. Das klingt stark nach Robert Downey Jr. im ersten Iron Man und die Parallelen sind natürlich da, doch Stephen Strange ist anders genug angelegt, sodass sich kein Déjà-Vu-Erlebnis einstellt. Frönte Tony Stark noch einem ausschweifenden Lebensstil und behandelte alle seine Mitmenschen von oben herab, beschränkt sich Stranges Arroganz hauptsächlich auf sein Expertisenfeld. Seine Emotionen und seine Menschlichkeit sind deshalb nicht so tief unter einer Schicht von Überheblichkeit vergraben und kommen in seiner Verzweiflung schnell zum Vorschein.
Doctor Strange ist eine sehr klassische Origin Story. Wir lernen Strange vor dem Unfall kennen, wir folgen ihm auf die Suche nach seiner Heilung, wir erleben seine anfänglichen Zweifel und später seinen Wandel. Wir sehen seine Rückschläge, wenn er bei The Ancient One in Lehre geht, seine ersten Erfolge und großen Triumphe – in einer obligatorischen Trainingsmontage, die viel Spaß macht. Dann taucht natürlich Mads Mikkelsens Bösewicht auf, weckt neue Selbstzweifel bei Strange, zeigt sich zunächst als unüberwindbarer Gegner und so weiter. Wer genug Marvel-Filme gesehen hat, kann sich eigentlich den gesamten Handlungsverlauf, der zwar die eine oder andere kleine Überraschung enthält, aber nichts, was wirklich aus dem Rahmen fällt, leicht ausmalen.
Doch es ist nicht die Geschichte, die ein wenig an eine erwachsene Version von Harry Potter erinnert, mit Ideen, die man sich bei Inception geliehen hat, die Doctor Strange zum besten irdischen Origins-Film des Marvel-Kinouniversums seit Iron Man macht. Es ist der psychedelische, visuelle Wirbelsturm, den Regisseur Scott Derrickson und sein Team von Effektespezialisten hier auf die Leinwand zaubert, der die Comicverfilmung zu einem unvergesslichen Kinoerlebnis macht und dem ersten MCU-Film, bei dem ich guten Gewissens die 3D-Fassung ans Herz legen kann. Hat man außerdem noch die Gelegenheit, den Film in einem IMAX-Kino zu sehen, sollte man diese auf jeden Fall nutzen, denn die trippigen Bilder, die hier heraufbeschworen werden, verleihen dem Film einen einzigartigen Look unter allen bisherigen Marvel-Streifen und sorgen für die bislang innovativsten Actionszenen des Comic-Universums. Diese wären vielleicht noch bahnbrechender, hätte man nicht Vergleichbares schon in Christopher Nolans Inception gesehen, doch die Maßstäbe der sich in Prismen auflösenden und drehenden Städte sorgen dennoch für einen Wow-Moment nach dem anderen. Was dem Film also vielleicht inhaltlich an Originalität fehlt, macht er in puncto Umsetzung mehrfach wieder wett. Die Wahl von Scott Derrickson als Regisseur stimmte mich im Vorfeld eher skeptisch, da ich nur einen seiner bisherigen Filme (Sinister) durchweg gelungen fand, doch er behauptet sich hier mit großer Bravour und hat auf jeden Fall eine Zukunft im großen Blockbusterkino. Gerade seine Wurzeln im Horrorkino kommen in einigen, wirklich abgefahrenen Szenen des Films überraschend deutlich zum Vorschein.
Die Marvel-Formel ist nicht ohne Schwachpunkte und zwei davon werden auch in Doctor Strange wieder deutlich. Zum einen ist da der gewohnt blasse Bösewicht, was, mit wenigen Ausnahmen, auch schon zum Markenzeichen der MCU-Filme geworden ist. Es liegt keineswegs an der Performance des "Hannibal"-Stars Mads Mikkelsen, doch in einem Film über unzählige Dimensionen ist der Charakter erschreckend eindimensional, nicht ausgereift und seine Überzeugungen zu wenig, nun ja, überzeugend. Das andere Manko ist Rachel McAdams’ weibliche Hauptfigur. Es ist schade, dass mit einer Darstellerin von McAdams’ Kaliber die Figur dennoch kaum über ein generisches ehemaliges (und künftiges) Love Interest hinausgeht. Deutlich besser schlägt sich Tilda Swinton, deren ätherische, beinahe androgyne Ausstrahlung, die stille, aber immense Macht, die dem Charakter innewohnt, sehr gut zum Ausdruck bringt. Eine sehr interessante Figur ist auch Chiwetel Ejiofors Mordo – in den Comics ein Erzfeind von Doctor Strange – dessen harte Prinzipien und schleichende Desillusionierung mit seiner Welt gekonnt die Samen für seinen künftigen, düsteren Werdegang säen. Zu erwähnen ist außerdem Benedict Wong als Wong, Wächter der mystischen Bibliothek, dessen Interaktionen mit Cumberbatch für einige der amüsantesten Momente des Films verantwortlich sind. Doch es ist letztlich kein Mensch, sondern der eigensinnige Umhang der Levitation, der in Doctor Strange allen heimlich die Show stiehlt und inmitten einer rasanten Actionszene für die heitersten Momente des Films sorgt.
Doctor Strange funktioniert super als eigenständiger Film und auch wenn man noch nie eine Marvel-Verfilmung zuvor gesehen hat, kann man dieses rasante und nach heutigen Verhältnissen mit unter zwei Stunden Laufzeit sehr flott erzählte Abenteuer ohne Einschränkungen genießen. Alle, die ein Auge auf das große Ganze haben, können sich aber auf die Einbindung ins Gesamtuniversum durch einige subtile Verweise und natürlich die obligatorischen Abspannszenen freuen.
Fazit
Hier treffen Inception und Harry Potter aufeinander: Doctor Strange ist ein wahrlich spektakulärer Beitrag zum immer wachsenden Marvel Cinematic Universe. Während die Plotentwicklung und die Figurenkonstellation einem mittlerweile vertraut vorkommen und der Hauptschurke wieder einmal eine recht blasse Nummer bleibt, ist der Film visuell wie kein anderer von den bisherigen Marvel-Adaptionen. Scott Derricksons Film besticht durch einen trippigen Look und atemberaubend opulente Bilder, die nicht nur einen Kinobesuch, sondern sogar den 3D-Aufpreis rechtfertigen. Als arroganter und später geläuterter Held ist Benedict Cumberbatch zudem perfekt besetzt.