După dealuri, RO/BE/FR 2012 • 152 Min • Regie: Cristian Mungiu • Mit: Cosmina Stratan, Cristina Flutur, Valeriu Andriutã • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 14.11.2013 • Deutsche Website
Handlung
Voichita (Cosmina Stratan) und Alina (Cristina Flutur) wachsen gemeinsam in einem rumänischen Heim auf. Dort verbindet die beiden nicht nur eine enge Freundschaft, sondern auch eine romantische Beziehung. Ihre Wege trennen sich, nachdem Alina als junge Frau adoptiert wird und später nach Deutschland zieht, um dort Arbeit zu finden. Voichita wendet sich Gott zu und geht als Novizin in ein ländliches Kloster. Alina hat ihre Freundin und große Liebe jedoch nie vergessen und kehrt nach Rumänien zurück, um sie nach Deutschland fortzubringen. Voichita darf ihre sehr weltlich veranlagte Freundin in ihrem Zimmer im Kloster zeitweise unterbringen, obwohl Ungläubige eigentlich unerwünscht sind. Alinas tränenreiches Wiedersehen mit ihrer einstigen Liebhaberin weicht jedoch schnell dem Frust. Die schüchterne Voichita scheint im orthodoxen Kloster ihre Bestimmung gefunden zu haben und diese lässt natürlich keine Gefühle gegenüber einer anderen Frau zu. Voichita sorgt sich um ihre Freundin, für die der rigoros durchstrukturierte Alltag im Kloster so fremd ist wie das Leben auf einem anderen Planeten. Doch an Weggehen ist für Voichita nicht zu denken, insbesondere nachdem der Pater (Valeriu Andriuţă), von den Nonnen ehrfurchtvoll "Tati" genannt (Rumänisch für "Papa"), ihr klargemacht hat, dass es keinen Weg zurück gibt, sollte sie das Kloster einmal verlassen. Von den Zurückweisungen ihrer Freundin enttäuscht, lehnt sich die emotional labile Alina verbal und physisch gegen die autoritäre Ordnung auf. Nach einem kurzen Klinikaufenthalt darf sie ins Kloster zurückkehren. Überzeugt, dass nur der Weg zu Gott ihr helfen kann, greift der Pater letztlich zu drastischen Mitteln und beschwört eine Tragödie herauf.
Kritik
Eine Frage im Fragenkatalog zur Interventionsprüfung in meinem Psychologiestudium war, den Unterschied zwischen Psychotherapie und Exorzismus zu erklären. Lässt man das jeweils zugrunde liegende wissenschaftliche bzw. Glaubenskonstrukt außen vor, gibt es zwischen den beiden erstaunlich viele Ähnlichkeiten. Bei beiden wird versucht, durch eine festgelegte Vorgehensweise eine Person von einem geistigen Leiden zu erlösen. Teil der richtigen Antwort war jedoch, dass eine Psychotherapie in der Regel nicht zu Qualen und körperlichen Schäden an der behandelten Person führt. Welche Ausmaße dies bei einem Exorzismus annehmen kann und dass dahinter dennoch der aufrichtige Wunsch liegt, einer Person zu helfen, zeigt Cristian Mungius bei den 65. Filmfestspielen in Cannes mehrfach ausgezeichnetes Drama Jenseits der Hügel. Darin dramatisiert Mungiu lose einen wahren Fall des Exorzismus in einem abgelegenen Kloster in Rumänien im Jahr 2005, der international Schlagzeilen machte und ins Bewusstsein rief, dass diese Praktiken nicht nur Stoff von Hollywood-Horrorfilmen sind, sondern in weniger aufgeklärten Gegenden bis heute Anwendung finden.
Jede Geschichte hat zwei Seiten. Diese Ansicht hat sich die Filmindustrie schon lange zu Herzen genommen. So beruhten sowohl der erfolgreiche US-Horrorfilm Der Exorzismus von Emily Rose als auch Hans-Christian Schmids deutsches Drama Requiem lose auf dem Fall der an Epilepsie leidenden, religiösen Studentin Annelise Michel, die 1976 in Bayern zu Tode exorziert wurde. Während die US-Version die Möglichkeit übernatürlicher Mächte in den Vordergrund stellte, war Requiem eine Auseinandersetzung mit dem Religionswahn, der letztlich zum Tod der jungen Frau führte. Letztes Jahr erschien Xavier Gens' generischer und spannungsarmer Exorzismushorror The Crucifixion, der sich vom eingangs genannten rumänischen Fall inspirieren ließ, daraus jedoch eine Geschichte mit echten Dämonen machte. Bereits vier Jahre zuvor kam jedoch schon Jenseits der Hügel in unsere Kinos, dessen nüchterne und sehr realistische Darstellung des fehlgeleiteten Glaubens deutlich erschreckender ist als jegliche Effekthascherei, die The Crucifixion aufgetischt hat.
Mungiu wählt nicht den einfachen Weg in seinem Film, indem er die Kirche und ihre Rituale verteufelt. Sein Drehbuch zeigt Verständnis, gar gewisse Sympathie für alle Figuren, auch wenn sie Dinge tun, die auf Außenstehende befremdlich oder falsch wirken. Der Pater, der den Exorzismus letztlich durchführt, wird nicht als ein irrer, unvernünftiger Fanatiker gezeigt, sondern als ein Mann, der seiner Berufung voll und ganz ergeben und in seinem Glauben fest verankert ist. Als Alina ihren ersten Anfall bekommt, greift er nicht direkt zum Rosenkranz und Weihwasser, sondern lässt gleich den Krankenwagen rufen, und wenn die anderen Nonnen anfangen, diverse Vorkommnisse wie einen hohlen Holzscheit oder ausbleibende Eier bei den Hühnern als Zeichen einer bösen Präsenz zu deuten, weist er das als albernen Aberglauben zurück. Weder er noch die Nonnen in dem Film sind böswillig, sondern geleitet von ihrem (Irr)Glauben, nur Gutes tun zu vollen. Wie man so schön sagt: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.
Die Schuld wird im Film nicht einseitig auf das Kloster und die Religion abgeladen. Mungius Fokus ist viel weitreichender. Auf der Anklagebank sitzen die maroden gesellschaftlichen Strukturen, die die tragische Situation wenn nicht herbeigeführen, dann zumindest begünstigen. Voichita und Alina hatten schon keinen guten Start ins Leben. Dass die Zustände in einem rumänischen Waisenhaus nicht optimal sind, kann man sich gut vorstellen. Systematische Misshandlung, körperlich wie möglicherweise sexuell, wird im Film angedeutet. Ebenso wie Alinas wahrscheinliche psychische Erkrankung (in der Klinik gibt sie zu, gelegentlich Stimmen zu hören). Für den richtigen Umgang mit dieser fehlen aber offenbar die Kapazitäten und vielleicht auch die richtige Aufklärung. Das Kloster wiederum erfüllt als Versorger der Armen im Nachbarsdorf die Funktion, die eigentlich vom Staat getragen werden sollte.
Die schüchterne, weitäugige Voichita ist genau so eine tragische Figur wie Alina. Erst wurde sie von der Gesellschaft alleingelassen, dann verließ auch ihre Freundin sie, auf der Suche nach einem besseren Leben im Westen. Im Kloster fühlt sie sich erstmals in ihrem Leben zugehörig; in der Gemeinschaft der Gleichgesinnten findet sie endlich eine Familie und eine Berufung. Ein Umstand, den die nach ihrer Rückkehr verschmähte Alina nicht glauben kann oder will. Die in Cannes mit dem Darstellerpreis prämierten Cosmina Stratan und Cristina Flutur sind herausragend in ihren Rollen. Obwohl der Film auf jegliche expliziten Darstellungen ihrer einstigen Zuneigung verzichtet (von einer zweckdienlichen Massageszene abgesehen), spürt man noch die Chemie, die sie teilen, die aber die neue Barriere zwischen ihnen nicht überwinden kann. Die Rettung scheint für beide so nah und doch so fern zu sein.
Als vermutlich bekanntester Vertreter der rumänischen Nouvelle Vague bleibt Mungiu seinem kühlen naturalistischen Stil in Jenseits der Hügel treu, wie man ihn schon in seinem bekanntesten Film, dem mit einer Goldenen Palme ausgezeichneten Abtreibungsdrama 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage, gesehen hat. Lange Einstellungen mit statischer Kamera, die den ungeschönten Alltag in rauen Bildern einfangen, und die Abwesenheit von jeglicher Filmmusik machen Jenseits der Hügel mit seinen 150 Minuten Laufzeit zu einem fordernden, jedoch bereichernden Erlebnis. Das langsame Erzähltempo, einschließlich vieler Wiederholungen (Alina will dass Voichita mit ihr mitkommt, Voichita lehnt ab, Alina rebelliert, soll aus dem Kloster geworfen werden, darf nach Voichitas Bitten doch bleiben, und noch mal von vorne), ist zugegebenermaßen anstrengend und man hätte den Mittelteil straffen können, ohne viel von der Kernaussage zu verlieren. Die Redundanz unterstreicht jedoch die Monotonie des Alltags der Nonnen. Die Tristesse des Lebens im heruntergekommenen Kloster ist in jeder Aufnahme zu spüren. In ihrem Trainingsanzug und Sportschuhen ist Alina darin ein Fremdkörper. Kleine Details, die auf den ersten Blick vielleicht überflüssig erscheinen, weil sie nichts zur Haupthandlung beitragen – ein mitgehörtes Telefonat oder das Gespräch zweier Polizisten miteinander – tragen zur Erschaffung eines authentischen, in sich stimmigen Mikrokosmos bei, in dem sich der Film befindet.
Wie seinen beiden Protagonistinnen macht es Mungiu den Zuschauern auf nicht einfach, weder mit seiner nüchternen Darbietung noch mit der Suche nach den Schuldigen. Wer sich auf diesen Film einlässt, muss mitdenken und mitleiden.
Fazit
Im Geiste von Ken Loach malt Cristian Mungui mit Jenseits der Hügel erneut ein unschmeichelhaftes, sozialkritisches Portrait seines Heimatlandes am Beispiel zweier verlorener junger Seelen. Dabei verzichtet er auf explizite Religionskritik, sondern nähert sich allen seinen Figuren mit ausgewogenem Verständnis. Der dokumentarische Filmstil und die ausufernde Laufzeit sind fordernd, das Gesamterlebnis jedoch bereichernd.