Annabele: Creation, USA 2017 • 109 Min • Regie: David F. Sandberg • Mit: Talitha Bateman, Lulu Wilson, Anthony LaPaglia, Miranda Otto, Stephanie Sigman • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 24.08.2017 • Website
Handlung
Wir schreiben das Jahr 1945. Samuel Mullins (Anthony LaPaglia), ein begnadeter Puppenmacher, seine Frau Esther (Miranda Otto) und ihre siebenjährige Tochter Annabelle (Samara Lee) sind eine glückliche Familie. Die kleine Idylle auf dem Land zerbricht, als das Mädchen bei einem Autounfall stirbt. Zwölf Jahre später nehmen die Mullins sechs Waisenmädchen und ihre Aufseherin, Schwester Charlotte (Stephanie Sigman), bei sich auf, nachdem deren Waisenhaus geschlossen wurde. Die Mädchen sind von der geräumigen Bleibe begeistert und lassen sich nicht davon stören, dass Mr. Mullins recht wortkarg ist und Mrs. Mullins nach einem schweren Unfall ihr Zimmer nie verlässt. Janice (Talitha Bateman), die nach einer Polio-Erkrankung eine Beinschiene trägt, und ihre Freundin Linda (Lulu Wilson), das jüngste Kind im Haus, sind die Außenseiterinnen der Gruppe und halten zusammen wie Pech und Schwefel. Janice ist es auch, die als erste eine unheimliche Präsenz im Haus bemerkt. Diese scheint von einer Puppe auszugehen, die sie in einem Schrank im Zimmer der verstorbenen Tochter der Mullins findet. Nachdem Janice immer mehr von geisterhaften Erscheinungen heimgesucht wird, ist sie davon überzeugt, dass ein böses Wesen nach ihrer Seele trachtet. Doch niemand, außer Linda, die selbst Zeugin paranormaler Aktivitäten wird, schenkt ihr zunächst Glauben.
Kritik
Als Faustregel für viele Filmfans gilt, dass Fortsetzungen grundsätzlich schlechter als Originalfilme sind. Natürlich kann man einwenden, dass es auch Gegenbeispiele wie Das Imperium schlägt zurück oder Der Zorn des Khan gibt, doch dagegen lässt sich argumentieren, dass gerade solche seltenen Ausnahmen die Regel bestätigen. Wie sieht es aber eigentlich mit Prequels aus? Und das auch noch zu Filmen, die von vornherein die Messlatte niedrig anlegten? Dieses Rezept scheint in letzter Zeit im Horrorgenre Wunder zu wirken. Annabelle 2 ist der vierte Film im schnell wachsenden Conjuring-Filmuniversum, das in den nächsten Jahren durch die Spin-Offs The Nun und The Crooked Man und natürlich Conjuring 3 ergänzt werden wird. Doch der Film, mit dem Annabelle 2 vermutlich am häufigsten verglichen werden wird, ist keiner der bisherigen Conjuring-Streifen oder sogar sein direkter Vorgänger, sondern der letztjährige Ouija: Ursprung des Bösen. Das liegt nicht nur an der jungen Darstellerin Lulu Wilson, die in beiden Filmen mitspielt (und zusammen mit ihrer Beteiligung in Erlöse uns von dem Bösen bereits eine beachtliche Karriere im Horrorgenre hinter sich hat). In beiden Fällen handelt es sich um Horror-Prequels, jeweils mit zwei jungen Mädchen in den Hauptrollen. Die größte Gemeinsamkeit besteht jedoch darin, dass sowohl Ouija 2 als auch Annabelle 2 nach einem Regiewechsel ihre durchwachsenen Vorgänger locker in den Schatten stellen.
Ein Prequel zu einem schlechten Prequel über eine Puppe, die wenige Minuten lang im ersten Conjuring-Film auftaucht, liest sich nicht wie ein vielversprechendes Rezept für einen guten Horrorfilm. John R. Leonetti, der Kameramann, der Conjuring und Insidious in atmosphärische Bilder tauchte, hat sich als Regisseur von Annabelle nicht mit Ruhm bekleckert. Dass es kein Ausrutscher war, zeigt aktuell auch sein miserabler neuer Film Wish Upon, der in harte Konkurrenz zu Rings als schlechtester Horrorfilm 2017 tritt. Die entscheidende Zutat, die das Spin-Off-Schiff vom Kentern abbringt, ist David F. Sandberg. Der schwedische Filmemacher feierte letztes Jahr mit der von James Wan produzierten Adaption seines Kurzfilms Lights Out sein Langfilm-Debüt. Im Gegensatz zum rasanten Lights Out, der sein simples wie cleveres Konzept nutzte, um möglichst viele einfallsreiche Jump Scares in seiner knackigen 80-minütigen Laufzeit unterzubringen, nimmt sich Sandberg bei Annabelle 2 reichlich Zeit, um das Setting und die Charaktere einzuführen. Sandberg hat hauptsächlich die richtigen Schlüsse aus den Fehlern von Annabelle gezogen, dessen Aneinanderreihung von "Buh!"-Momenten letztlich nur heiße Luft war, weil die Charaktere in dem Film so mehrdimensional waren wie die titelgebende Puppe. Die beiden Conjuring-Filme funktionierten unter anderem so gut, weil einen das Schicksal des Geisterjäger-Ehepaares und der heimgesuchten Familien interessierte und weil sich die Settings der Filme real anfühlten. Also huldigt Sandberg zumindest in den ersten zwei Dritteln seines Films der Maxime "weniger ist mehr" und lässt verschwommene Silhouetten im Hintergrund auftauchen, Türen knarren und Lichter geheimnisvoll an- und ausgehen. Die Spannung wird aufgebaut und wenn sie sich dann in einem wohligen Gruselmoment entlädt, hat sich der Film das auch redlich verdient. Das gilt auch für das R-Rating des Streifens, der mit einigen überraschend fiesen Einlagen aufwartet.
Zu verdanken ist das auch den beiden jungen Darstellerinnen Lulu Wilson und Talitha Bateman. Die 11-jährige Wilson spielt die verängstigte, aber resolute Linda mit einer unglaublichen Routine für ihr Alter. Es ist jedoch Bateman (übrigens die perfekte Besetzung, falls Filmemacher demnächst eine jüngere Ausgabe von Jennifer Lawrence suchen), die eine besonders herausfordernde Rolle hat, denn ihre Janice leidet nicht nur unter dämonischen Angriffen, sondern auch unter der Einsicht, dass ihre Chancen, eine Familie zu finden, durch ihre Gehbehinderung sinken. Sie macht eine sehr sympathische Figur und ihre quasi-geschwisterliche Beziehung zu Wilsons Linda fühlt sich sehr natürlich an. Man leidet und fiebert mit den beiden mit. Wenn Janice in die Fänge des Bösen zu entgleiten droht, wird auch Lindas Sorge spürbar, ihre einzige Bezugsperson zu verlieren. Bateman und Wilson spielen ihre erwachsenen Co-Stars und die anderen Mädchen an die Wand. Anthony LaPaglia und Miranda Otto haben ihre Momente, jedoch nicht viel Screentime. Ihre Figuren mögen zwar den ganzen Gruselzirkus in den Gang gesetzt haben, doch Annabelle 2 ist nicht ihre Geschichte.
Wie schon bei Ouija: Ursprung des Bösen sollte auch bei Annabelle 2 der große Qualitätskontrast zum Vorgänger nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch das Prequel unter eigenen Fehlgriffen leidet. Sandberg ist ein Regisseur mit Potenzial und sicherlich eine gute zweite Wahl, wenn James Wan gerade nicht verfügbar ist, doch seinen Bemühungen und einer vergleichbar altmodischen Herangehensweise zum Trotz, schafft er es nicht, eine ähnlich dichte, permanente Gänsehaut-Atmosphäre heraufzubeschwören, wie die beiden Conjuring-Teile. Die Probleme kommen, wie so häufig bei Horrorfilmen, vor allem im letzten Akt zum Tragen. Die Zurückhaltung wird darin über Bord geworfen und es zeigt sich wieder einmal, dass wenn das Böse die körperliche Form eines gehörnten Dämons einnimmt (den wir bereits in Annabelle kennenlernen durften), der Gruselfaktor flöten geht. Gefahren, deren Aussehen man in keiner Weise in der realen Welt verorten kann, wirken einfach nicht so bedrohlich. Deshalb ist die Annabelle-Puppe selbst auch von einer unheimlichen Aura umgeben, weil sie eben nicht ihren Opfern durch Flure hinterher rennt. Es sind minimale Veränderungen oder kaum sichtbare Bewegungen, die ihren Gruselfaktor ausmachen. In seinem lauten Finale setzt der Film vornehmlich auf Jump Scares, von denen jedoch nur manche zünden.
Wer einen angenehm gruseligen Abend im Kino sucht, kann mit Sicherheit eine schlechtere Wahl als Annabelle 2 treffen. Obwohl der Film übrigens die Probleme seines Vorläufers vermeidet, ignoriert er dessen Handlung keineswegs, sondern schließt gekonnt die Lücke zwischen den beiden Filmen, wie ein passendes Puzzlestück im Conjuring Cinematic Universe. Darüber hinaus bereitet er sogar unaufdringlich den nächsten Spin-Off-Film vor, in dem der gruselige Nonnen-Dämon aus Conjuring 2 ins Rampenlicht rücken wird. Solange die Qualität zumindest auf dem Niveau von Annabelle 2 bleibt, bin ich für alles offen, was uns dieses neue Kinouniversum noch bescheren wird.
Fazit
Annabelle 2 ist ein für Horrorfans sehenswerter Beitrag zum Conjuring-Franchise, der durch altmodischen Grusel und zwei tolle junge Hauptdarstellerinnen den bitteren Nachgeschmack seines missratenen Vorgängers erfolgreich vergessen lässt. Allerdings kann auch Regisseur David F. Sandberg nicht alle dessen Fehler vermeiden und die Klasse der James-Wan-Filme erreichen.