Anomalisa, USA 2015 • 90 Min • Regie: Charlie Kaufman, Duke Johnson • Drehbuch: Charlie Kaufman • Mit den Originalstimmen von: David Thewlis, Jennifer Jason Leigh, Tom Noonan • Musik: Carter Burwell • Kamera: Joe Passarelli • Verleih: Paramount Pictures • Kinostart: 21.01.2016 • Website
Noch nie passte ein Charlie-Kaufman-Film in das hollywood’sche Standardkonzept und er selbst sieht eine gewisse Tragik in der Fließbandarbeit der Filmindustrie, bedauerlich nicht nur für die Zuschauerschaft und Filmemacher, sondern auch für unsere Gesellschaft, der so Substanzielles verwehrt bleibt. Man muss nicht einmal genau nachsehen, um diese Aussage für wahr erklären zu können, häufen sich doch die immer wiederkehrenden Filmmotive, die qualitative Arbeiten verdrängen. Ganz unrebellisch bildet sein neuester Film (wieder mal) eine Anomalie in der Filmlandschaft. So könnte der Titel, obwohl er sich im Verlaufe des Films erklärt, auch auf das Werk und seine Stellung interpretiert werden. Dort lernt der bekannte Buchautor Michael Stone (im Original gesprochen von David Thewlis) die Anomalie in seinem eintönigen, tristen Leben kennen, als er auf Geschäftsreise in einem Hotel nächtigend die schüchterne Lisa (Jennifer Jason Leigh) trifft. Diese besticht ihn durch ihre Eigenart und ihre Stimme. Bis auf Michael und Lisa verschwimmen die anderen Figuren nämlich durch sehr ähnliches Puppendesign und dieselbe Stimme (Tom Noonan) zu geistlosen Hüllen, um den psychischen Zustand des Hauptcharakters einzufangen.
Ganz im Gegensatz zu den depersonalisierten Randfiguren stehen die überaus menschlich aussehenden Puppen. Noch nie sah Stop-Motion so real aus und war so detailliert in seiner Animation wie hier. Dafür engagierte Kaufman (Synecdoche, New York) extra Duke Johnson als Co-Regisseur, der durch seine Serie "Moral Orel" viel Erfahrung mit dieser Tricktechnik hat. Die Intention hinter dem Animationsstil des Films bleibt trotzdem deutlich, verleiht dem Film einen durchgehend depressiven Vibe und lässt die gewollt distanzierte Handhabung trotzdem nie leblos wirken. Die Charaktere sind immer glaubhaft und Joe Passarellis (Beatdown) unglaubliche Kameraarbeit haucht der Welt durch teilweise minutenlange Einstellungen Leben und Größe ein. Inhaltlich setzt sich Anomalisa wie schon Michel Gondrys oscarprämierter Vergiss mein nicht!, zu dem Kaufman ebenfalls das Drehbuch verfasste, mit Depression, Einsamkeit und dem Streben dieser zu entkommen auseinander und bietet auch hier wieder eine Flucht durch die Liebe an. Anomalisa ist dabei lange nicht so herzerwärmend wie Vergiss mein nicht!, hat das ebenso große Herz jedoch auch am richtigen Fleck und verliert sich trotz alledem nicht in einem Strudel grauer Depressionen. Dafür sorgen unter anderem auch die unaufdringlichen humoristischen Drehbuch-Einlagen.
Die metaphorische Ebene bindet Kaufman auch hier wieder fast übergangslos in das Geschehen ein und lässt erneut die Grenzen zwischen Real- und Traumwelt verschwimmen. Der surrealistische Anstrich fühlt sich dabei durch die Stop-Motion-Optik nie deplatziert an. Die Bedeutungsebene ist dabei zwar nicht übermäßig zugänglich, von der Komplexität dieser und der Handlung selbst ist Anomalisa aber der bodenständigste und simpelste Kaufman bis jetzt. Trotzdem ist es schwer seine Gedanken zu diesem Film zu ordnen und klar zu formulieren. Anomalisa ist trotz seiner technischen Meisterleistungen ein Film, der sich primär durch seine Bildsprache artikuliert und durch die menschliche, ehrliche Geschichte und starke Charaktere brilliert.
Fazit
Anomalisa ist feinfühliges, bodenständiges Kunstkino, das trotz technischer Meisterleistungen das Gegenteil zu einem vordergründigen Technokraten-Film ist. Nie war ein Film mit Puppen menschlicher.