Argo, USA 2012 • 120 Min • Regie: Ben Affleck • Drehbuch: Chris Terrio • Mit: Ben Affleck, Bryan Cranston, John Goodman, Victor Garber, Alan Arkin • Kamera: Rodrigo Prieto • Musik: Alexandre Desplat • FSK: ab 12 Jahren • Verleih: Warner Bros. • Kinostart: 08.11.2012 • Website
Die besten Geschichten schreibt immer noch das Leben – manchmal allerdings mit Hollywoods Unterstützung. „Argo“, der neue Spielfilm von Regisseur/Hauptdarsteller Ben Affleck, erzählt von einem wahren und geheimen Vorfall, welcher sich im November 1979 zugetragen und erst im Jahr 1997 seinen Weg an die breite Öffentlichkeit gefunden hat. Es handelt sich hier keineswegs um die nüchterne, streng akkurate Dokumentation historischer Fakten, sondern um eine zweistündige, fesselnde Interpretation – einen Thriller, wie man ihn in dieser Form schon lange nicht mehr aus der Traumfabrik gesehen hat. Unweigerlich muss man an Klassiker einer goldenen Kinoära denken, wie etwa Alan J. Pakulas Recherchenfilm „Die Unbestechlichen“ (1976). Bereits das von Saul Bass entworfene 70’s-Warner Bros.-Logo zu Beginn signalisiert den bewussten Schritt zurück in die Vergangenheit. Nicht bloß inhaltlich, sondern auch was die Gestaltung und Erzählweise angeht. Keine wilden Schnitteskapaden, kein unruhiges Kameragewackel, kein brutales Actionspektakel, das einen dramaturgischen Leerlauf übertönen müsste. Die Story ist das, was hier zählt, und die Figuren, die sich in dieser bewegen. So etwas ist inzwischen selten geworden. Leider.
Nach den beiden gefeierten Milieustudien „Gone Baby Gone“ (2007) und „The Town“ (2010) erhebt sich Oscar-Preisträger Affleck mit „Argo“ erstmals von den rauen Straßen Bostons und begibt sich nicht nur von der Ost- zur Westküste, sondern verlässt letztlich gar ganz die USA. Aus der Perspektive des CIA-Spezialisten Tony Mendez (dargestellt von Affleck selbst) werden wir Zeugen einer unglaublichen Rettungsaktion: Während der Stürmung der US-Botschaft in Teheran durch militante Studenten am 4. November 1979 gelingt sechs Diplomaten die Flucht aus dem brutalen Geiselalbtraum. Das Versteck im Haus des kanadischen Botschafters gestaltet sich jedoch mit zunehmender Zeit als unsicher. Die Zustände werden chaotischer, die Einreise ins und Ausreise aus dem Land immer schwieriger – jemand muss die Betroffenen unter sicherer Deckung dort herausschmuggeln. Nur wie kann es dem verantwortlichen Mendez gelingen, die strikte Überwachung auszutricksen? Der absurdeste Plan soll sich tatsächlich als naheliegendster herausstellen: Mit Hilfe des preisgekrönten Maskenbildners John Chambers (John Goodman) und des Filmproduzenten Lester Siegel (Alan Arkin) wird das Fake-Leinwandabenteuer Argo aus dem Boden gestampft. Ein Fantasyepos im Stil von „Star Wars“, das einer exotischen Kulisse, wie sie eben Teheran bietet, bedürfe. Als vermeintliche Filmcrew bei der Locationsuche soll die kleine Gruppe schließlich wieder unbemerkt außer Landes geschleust werden …
Das Kino als Lebensretter – wenn dieses ungewöhnliche Thema nicht eine eigene Verfilmung verdient hat! Das hat sich wohl auch Ben Affleck gedacht, der hier, basierend auf dem Artikel „The Great Escape“ von Joshuah Bearman, eine rundum packende Inszenierung vorlegt. „Argo“ gelingt es, seine Zuschauer von der ersten Minute an in seinen Bann zu ziehen und das Spannungslevel auch bis Schluss konstant zu halten. Das ist natürlich in erster Linie der Verdienst der Geschichte selbst, die es hier trotz aller Dramatik nicht versäumt, auch komische Aspekte unterzubringen. Wenn beispielsweise die durchaus trashige, fingierte Drehvorlage skeptisch von den aufgebrachten Milizen beäugt wird, mischen sich Nervenkitzel und Humor. Doch die Balance stimmt. Weder begeht Affleck je den Fehler, mit verbissener Ernsthaftigkeit auf sein Publikum einzuprügeln, noch verfällt er der Versuchung, die reale Grundlage zugunsten einer seichten Komödie über Bord zu werfen. „Argo“ stellt alles in den Dienst der Story. So auch seine sympathischen Charaktere, die vielleicht nicht unbedingt durch immense Tiefe, dafür aber durch ihre glasklare Zeichnung bestechen. Selbst wenn Mendez eindeutig die Identifikationsfigur darstellt, werden die Zuschauer wohl vor allem große Freude an den von John Goodman und Alan Arkin verkörperten Filmbizprofis haben, die hier ihr Herzblut in ein bereits im Vorfeld wenig lukratives Projekt stecken: Ihr Argo (der Titel bezieht sich auf das sagenumwogene Schiff, mit welchem Jason und die Argonauten das Goldene Vlies erlangen wollten) soll schließlich nie gedreht werden.
Dass diese Geschichte nun sowohl von Publikum wie Kritikern laut umjubelt und Afflecks Arbeit bereits als heißer Kandidat bei den nächsten Academy Awards gehandelt wird, erscheint jetzt vielleicht zusätzlich auch als verspätete Verbeugung vor dem innovativen Befreierteam. Auch wenn hier der Fokus nahezu ausschließlich auf die Bemühungen der CIA und der Filmindustrie gelenkt wird und dabei die Unterstützung Kanadas (das eigentlich einen Löwenanteil für das Gelingen verbuchen durfte) fast unter den Tisch fällt, bleibt „Argo“ ein Unterhaltungsfilm mit Relevanz – einer, der seine Zuschauer an die Sitze fesselt und sie obendrein dazu animiert, sich vielleicht doch anschließend mal über das wahre Szenario zu informieren. Wenn dann im Finale wirklich noch alle bekannten Spannungsregister (wie die verklemmte Kupplung oder ein völlig überzogenes Kopf-an-Kopf-Rennen) gezogen werden, wird deutlich, dass die Traumfabrik nicht nur damals in Teheran gekonnt die Realität verschleiert hat, sondern nun erneut das Absurde für das Publikum möglich machen möchte. Da liegt dann auch ein winziges Ärgernis, das man dem ansonsten rundum gelungenen Spielfilm jedoch gerne verzeiht: Es ist schließlich immer noch Kino.
„Argo“ ist nicht bloß ein hochklassiger Thriller, sondern auch ein Werk, das den Charme und die Möglichkeiten Hollywoods feiert. Und da macht eine Portion davon im eigenen Gerüst vielleicht einfach Sinn …
Trailer