Filmfutter auf der Berlinale 2014 – Teil 5

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Berlinale 2014 Teil 5

„Ein wahrer Freund ist der, der dich näher zu Gott führt.“ Krasser Spruch, oder? Zugegeben, er ist nicht von mir, sondern aus dem Matthäus Evangelium. Trotzdem kommt das Bibelwort total cool. Wenn man so was sagt, dann unbedingt vor einer möglichst großen Community! Facebook etwa. Das gäbe bestimmt 10.000 Likes! Auf jeden Fall gäbe es ein Like: das von David (Sandino Martin). Der junge Hauptcharakter versucht in einer Szene von Joselito Altarejos' Klischee-Kino hartnäckig den geposteten Bibelsatz zu liken, aber – Schock! – es klappt nicht! Spinnt der PC, die Facebook-Site, gar das Internet? Viel schlimmer. Davids heißer Lover Jonathan (Angelo Ilagan) hat den Button gedrückt, der diesem amateurhaften Panorama-Beitrag den Titel gibt: Unfriend.

Berlinale 2014 Teil 5 - UnfriendDavid wohnt in Manila bei seiner Großmutter, aber die meiste Zeit verbringt er im Internetcafé. Dort teilt er das Bett eines Hinterzimmers mit Jonathan, der mit dem unscheinbaren Computer-Junkie zu Filmbeginn Schluss macht. Dabei täte David alles für Jonathan, mit dem er während des Vorspanns bedeutungsvoll am Abgrund tänzelt, und eine Szene später unter Game-Postern Sex hat. Und plötzlich heißt es  Romantic Mission failed? Was Davids Mission ist, bleibt unklar, aber sie geht scheinbar in die Richtung „Ewiges Zusammenbleiben mit dem Teenie-Schwarm“. David und Jonathan sind in der auf einer realen Nachrichtenmeldung basierenden Story nämlich Teenager. Das sieht man zwar nicht auf der Leinwand, aber dafür im Pressetext, laut dem David 15 und Jonathan 17 ist. Peinlicher als dass deutlich ältere Schauspieler Teenager spielen, ist die Unmenge an stupidesten Negativ-Klischees, die jeden Ansatz von Empathie erstickt. Handy, PC und Tablet machen Jugendliche isoliert und psychotisch! Killer-Spiele lassen liebe Kids, die mit Oma in die Kirche gehen, eine Waffe kaufen! Homosexuelle sind gefühlskalte, promiskuitive, unglückliche Außenseiter, die sich nicht mal gegen Grundschulkinder (gespielt von offensichtlich jugendlichen Darstellern) verteidigen können! Obendrein sind sie eine Gefahr für andere und sich selbst! Dass in seiner Heimat Altarejos als progressiver Regisseur schwuler Filme bezeichnet wird, wirft ein deprimierendes Licht auf das philippinische Independent-Kino. Wenn so Toleranz aussieht, was ist dann Konservativismus? Dislike!

0,5/5 Sterne

 

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Seltsame Früchte hängen von den Bäumen in Mato Grosso do Sul. Hier, wo der brasilianische Regenwald durch die Plantagen reicher Genbauern zurückgedrängt wird, existieren die einheimischen Guarani-Kaiowa-Indianer am Rande der Ausrottung. Da, wo die Vertreibung vom Land ihrer Ahnen nicht direkt zum Sterben der Folgegeneration in Verarmung führt, treibt sie die Ureinwohner indirekt in den Tod. Denn ohne Aussicht auf eine Zukunft oder einen eigenen Ort sehen viele junge Stammesmitglieder keinen Grund zum Leben.

Berlinale 2014 Teil 5 - BirdWatchersWie suizidale Stadtbewohner sich meist in ihrer Wohnung umbringen, erhängen sich die jungen Indios an den Bäumen des Urwalds, der einst ihr  Zuhause war und ihnen geraubt wurde. Nadio (Ambrósio Vilhava) ist einer der Älteren, der die bittere Ernte einfahren muss und beschließt, die Grabstätten der Vorfahren einzufordern. Im Reservat können die letzten der Guarani-Kaiowa nur auf zwei Arten Geld verdienen: sie schuften für Plantagenbesitzer wie Lucas Moreira (Leonardo Medeiros), der mit seiner Familie in einer luxuriösen Villa lebt, oder sie spielen Statistenrollen für Touristenführer, die für ihren gelangweilten Klientel eine exotische Dschungelkulisse mit „echten Wilden“ inszenieren. Jene Touristen sind in Marco Bechis kritischer Öko-Analogie, die 5 Jahre nach ihrem Kinostart bei Berlinale Native wiederaufgeführt wird, die BirdWatchers. Ihre  Beobachterhaltung enthüllt die zurückgenommene Kamera als Karikatur. Die Fremden sehen nur, was sie sehen wollen. Dies gilt besonders für Moreira, der sich seines gelebten Status als moderner Kolonialherr in seiner Selbstverblendung nicht bewusst ist. Vor dem Hintergrund des schreienden Unrechts, auf dem sein Wohlstand wortwörtlich aufbaut, sind seine fadenscheinigen Ansätze zu Verhandlungen eine weitere Beleidigung, wie die sexuelle Ausbeutung der Indianer durch seine Arbeiter. Dem Klischee des erotisierten Wilden erliegt auch der Regisseur, wenn er die verbotene Liaison zwischen Moreiras Tochter Maria (Fabiane Pereira da Silva) und dem zukünftigen Schamanen Osvaldo (Abrísio da Silva Pedro) als zärtlich-riskante Rebellion gegen die Gebote beider Seiten inszeniert. Die geisterhaften Naturbilder indes bestehen gegen den ethnologischen Stereotypen, die im Hintergrund lauern und darauf warten, in der Realität die Oberhand zu gewinnen.

3,5/5 Sterne

 

„Ein Zauberer“, sagt sich Finn, als er in dem verlassenen Bauernhaus zum ersten Mal den alten Mann sieht und wie durch das magische Geigenspiel des Fremden auf einmal herbeigerufen, seine Mutter (Annelies Appelhof). Sie steht vor dem 9-jährigen Hauptcharakter (Mels van der Hoeven) in einer Schneewehen – mitten im Sommer. Oder lächelt ihm ermutigend zu – von einem Foto. Das Bild ist eines der behutsamen Symbole der Trauer und Erinnerung an die Verstorbene, die Finns distanzierter Vater zu verdrängen versucht; nicht nur in seinem Herz, sondern dem des Sohnes.

Berlinale 2014 Teil 5 - FinnDer empfindsame und hellwache Junge interessiert sich so gar nicht für die Raufbolde in der Schule und den Fußballclub, obwohl sein Vater das gern sähe. Viel lieber möchte Finn Geige spielen und wer könnte ein besserer Lehrer sein als der rätselhafte Alte (Luuk Jan Decleir)? Zwar kann er kaum noch hören, aber dafür ist er anders als Finns strenger Vater (Daan Schuurman) nicht taub für die Sehnsucht des verträumten Kinderprotagonisten. Der entzieht sich unter einer Ausrede dem Fußballtraining, um heimlich zu üben. Wenn er dem Instrument selbst nur die zärtliche Streichmusik entlocken kann, würde er damit vielleicht auch seinen Vater bezaubern… Frans Weisz schätzt die sanften Töne genau wie der junge Held seines märchenhaften Kinderfilms, der sich im Programm von Generation an die jüngsten Zuschauer richtet, und wie Finn erzeugt der Regie-Veteran gerade dadurch unabsichtlich Dissonanzen. Die stören die leiseren inszenatorischen Töne mit sentimentalen Interludien und holprigen Übergängen. So klingt der Schlussakkord nicht ganz rein, doch wie der bitter-süße Familienfilm mit seiner unaufgeregten Geschichte lehrt, braucht ein Stück nicht zwingend Perfektion, um zu berühren.

3/5 Sterne

Hier geht es zu den bisherigen Berichten:

Filmfutter auf der Berlinale – Teil 1

Filmfutter auf der Berlinale – Teil 2

Filmfutter auf der Berlinale – Teil 3

Filmfutter auf der Berlinale – Teil 4

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