Der Artikel enthält einige “Better Call Saul”-SPOILER zur besprochenen Folge!
Es gibt eine große Sache, die "Breaking Bad"-Fans besonders im späteren Verlauf der Sendung gespalten hat, auch wenn sie sich darin einig waren, dass es eine großartige Serie ist. Während die einen ununterbrochen mit Walter White mitgefiebert haben und gehofft haben, dass er mit allem durchkommt, sahen andere (mich eingeschlossen) irgendwann ein, dass Walter schlicht und ergreifend ein Arschloch ist. Obwohl sich schon früh Anzeichen für seine dunkle Seite häuften, wurde spätestens mit der Vergiftung von Brock deutlich, dass er rücksichtslos unschuldige Opfer in Kauf nehmen würde, um seine Ziele zu erreichen. Später kam die Einsicht, dass Walter gar nicht zur dunklen Seite verführt wurde, als er in der ersten Staffel seinen Weg zum Drogenbaron eingeschlagen hat – diese Seite schlummerte schon immer in ihm und in der finalen Folge erreichte die Einsicht auch Walter selbst: "Ich habe es für mich getan. Ich habe es gemocht". Am Ende fieberten dann alle Seiten trotzdem mit Walter mit, weil Onkel Jack und seine Neonazi-Truppe dann doch noch eine Spur böser war, aber es bestanden für mich keine Zweifel, dass Walter ein egoistischer, manipulativer, machtgeiler Narzisst war.
Warum erzähle ich das alles, was über die letzten Jahre schon in tausenden Analysen auseinandergenommen und diskutiert wurde? Weil die dritte Folge von "Better Call Saul" besser denn je einen gewaltigen Unterschied zwischen Walter und Saul/Jimmy herausstellt. Jimmy ist ein verkorkster Typ mit einer zwielichtigen Vergangenheit und ebenso zwielichtigen Arbeitsmethoden, aber er hat ein Herz und er hat ein Gewissen. Die letzte Folge endete damit, dass Nacho (Michael Mando) Jimmy in seinem Büro ein unmoralisches Angebot gemacht hat. Er soll herausfinden, wo die Kettlemans, die Jimmy in der ersten Folge noch für sich als Klienten gewinnen wollte, das unterschlagene Geld bunkern. Nacho würde sich dann des Geldes bemächtigen und Jimmy bekommt einen satten Anteil von der Beute. Der sichtlich nervöse und innerlich scheinbar hin- und hergerrissene Jimmy lehnt das Angebot dankend ab, versichert Nacho aber hoch und heilig, dass er niemandem etwas von seinen Plänen verraten wird und beruft sich dabei auf die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht. Was aber noch überzeugender ist, ist Nachos ergänzender Kommentar: "You rat, you die". Nacho mag zwar besonnener sein als sein Kumpan Tuco, aber er ist sicherlich auch niemand, den Jimmy hintergehen wollen würde.
Die große Frage, die sich viele Fans am Ende der letzten Folge gestellt haben, war natürlich, ob Jimmys Pfad zu Saul Goodman, dem Anwalt und Berater für Kriminelle, damit beginnen würde, dass er auf Nachos Angebot doch einsteigt. Rastlos und nervös sehen wir ihn nachts im Nagelstudio, dessen Hinterzimmer als sein Büro und Schlafzimmer herhalten müssen. Er schaut sich Nachos Telefonnummer an und greift zum Hörer – doch er ruft nicht den Gangster an, sondern Kim (Rhea Seehorn), eine Anwältin von Hamlin, Hamlin & McGill, Chucks alter Kanzlei, die die Kettlemans vertritt. Schnell wird klar, dass die beiden eine intime Vorgeschichte verbindet, doch damit sie am Apparat bleibt, verspricht Jimmy eine jugendfreie Konversation, "maximal FSK12". Ausweichend versucht er sie davor zu warnen, dass die Kettlemans sich in Gefahr befinden könnten, als Kim jedoch konkreter nachfragt, schiebt Jimmy alles auf den Alkohol und hängt auf. Doch sein Gewissen lässt ihn nicht in Ruhe. Er macht einen auf McGyver, bastelt sich mithilfe eines Papprohrs etwas, um eine Stimme zu verstellen (es klappt nicht gut) und fährt zu einer abgelegenen Telefonzelle, um die Familie selbst zu warnen. Dabei murmelt er, er sei kein Held, doch in diesem Moment ist er bereits heldenhafter und selbstloser als fast alles, was Walter White über lange Strecken in "Breaking Bad" an den Tag gelegt hat.
Jimmy hat keinen besonderen Grund, sich um das Wohlergehen der Kettlemans zu kümmern. Er kennt sie nicht und sie haben sich gegen seine Dienste als Anwalt entschieden und für Hamlin. Dennoch bringt er es nicht übers Herz zu wissen, dass sie Opfer eines Raubüberfalls werden könnten, und sie nicht zu warnen. Und genau das tut er.
Doch offensichtlich erreicht die Warnung sie zu spät. Am nächsten Tag ist das Haus der Kettlemans verwüstet, von der Familie keine Spur und Nacho sitzt im Gewahrsam der Polizei, weil sein Auto außerhalb des Hauses der Familie gesehen wurde. Nacho behauptet jedoch, nichts vom Verschwinden der Familie zu wissen. Jetzt wird’s aber eng für unseren Rechtsanwalt, denn er wusste als einziger von Nachos Plan und jener fühlt sich nun hintergangen und stellt Jimmy ein Ultimatum: bis zum Ende des Tages ist er ein freier Mann oder er wird Tucos ursprüngliche Absicht Jimmy gegenüber doch noch zu Ende führen. Doch wie kann Jimmy den Fall lösen, ohne die Ermittler auf die Verbindung zwischen Nacho und ihm zu enthüllen?
Er lässt sich an den Tatort führend und sowohl ihm als auch dem Zuschauer dämmert es, dass etwas an der Sache faul sei. So stellt er die Hypothese auf, die Kettlemans haben sich selbst "entführt", um sich so sicher mit dem Geld abzusetzen. Doch natürlich hat er keine Beweise dafür und kann den Polizisten wohl kaum sagen, dass er den Warnanruf am Vorabend getätigt hat. Was tun? Jimmy gesteht alles Kim (naja, bis auf die Vorgeschichte mit Tuco und den Zwillingen), doch auch sie ist keine große Hilfe. Unerwartete Unterstützung bekommt er ausgerechnet von Pförtner Mike, aber nicht bevor er sich mit ihm mächtig angelegt hat und am eigenen Leib zu spüren bekam, dass es sich bei ihm nicht einfach um einen alten Knacker handelt. Super finde ich, dass Mike nicht überpräsent in der Serie ist, sodass man sich auf jede seiner Szenen mit Jimmy freuen und sie besonders wertschätzen kann, während der Fokus weiterhin einig und alleine auf unserer Hauptfigur bleibt. Hoffentlich markiert diese Folge den Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen den beiden – hey, nicht nur Jimmy kann alte Filme zitieren (übrigens, in diesem Sinne mein Lieblingsmoment der Folge: "Here’s Johnny!!")
Das Positivste, das ich zu der Folge sagen kann, ist, dass sie sich noch mehr von "Breaking Bad"-Referenzen gelöst hat, als die beiden vor ihr. Von der Epik und fast Shakespeare’schen Tragik jener Serie ist "Better Call Saul" noch weit entfernt, doch die Showrunner zeigen abermals, das sie immer gut für eine Überraschung sind und die Serie sich vielleicht doch nicht so entwickelt, wie man am Ende der vergangenen Folge angenommen hat. Nacho gehört zwar der Titel der Episode, doch von der ersten Szene an, in dem wir im Flashback den geistig noch stabilen Chuck sehen, wie er den frisch verhafteten Jimmy besucht, der ihn anfleht, ihn vor dem Knast zu bewahren über Jimmys Gewissensbisse, als er Angst um die Kettlemans hat bis hin zur Entschlossenheit, die er an den Tag legt, um die Richtigkeit seiner Theorie zu beweisen, zeichnet die Folge das Bild eines verzweifelten (Anti)Helden, der eigentlich gar keiner sein will. Obwohl der Realitätsgehalt am Ende der Folge ein wenig fragwürdig ist und die Auflösung durchaus vorhersehbar, wird es wohl kaum einen Zuschauer geben, der bei der letzten Einstellung nicht sofort weiterschauen will – doch leider müssen wir uns noch eine Woche gedulden.