Il racconto dei racconti, FR/GB/IT 2015 • 125 Min. • Regie: Matteo Garrone • Mit: Salma Hayek, Vincent Cassel, Toby Jones, John C. Reilly, Shirley Henderson, Hayley Carmichael, Bebe Cave • Kinostart: 27.08.2015 • Deutsche Website
Es war einmal… da hackte sich Aschenputtels Stiefschwester die Zehen ab, Mutter Geißlein schnitt dem Wolf mit einer Schere den Bauch auf und Ritter Blaubart verwahrte die Leichen seiner Ex-Frauen im Keller. Vom Zuckerguss bleibt wenig übrig, wenn man einen genaueren Blick auf all die bekannten Märchen wirft – und trotzdem bleibt ihnen eine gewisse Magie nicht verwehrt. Es ist der kitzelnde Grusel und die Bizarrerie in diesem überdrehten, farbenfrohen Mantel aus Magie und Wundern, die die Märchenwelten zu so etwas Besonderem machen. Das Märchen der Märchen unterteilt sich dabei in drei einzelne Geschichten, die zum "wahren", düsteren Kern von Märchen vordringen und neben Moral, Magie und Zauber die Essenz von Märchen wirklich verstanden haben. Matteo Garrone bedient sich dabei durchaus typischer Märchenmuster und -konstellationen, befreit sich über clevere Umwege jedoch von dem kitschigen, wunderbaren Schein und entblößt radikale Brachialitäten.
Salma Hayek (From Dusk Till Dawn) wünscht sich nichts sehnlicher als ein Kind. Die egozentrische Königin lässt dafür sogar der Tod ihres Mannes (John C. Reilly) kalt, der sich opfert, um ihr das Herz eines Seemonsters zu besorgen, durch dessen Verzehr sie schwanger wird. Gekocht von einer Jungfrau, schwängert die Magie jedoch auch diese. Beide Söhne sehen nicht nur gleich aus, sie verbindet auch eine brüderliche Zuneigung, was der Königin ein Dorn im Auge ist, da sie ihren Sohn nur für sich allein haben will und dafür zu allem bereit ist. Vincent Cassel (Black Swan) lüstet als nymphomanischer Bumskönig nach einer Unbekannten, in dessen seidenweiche Stimme er sich verliebt hat. Womit er nicht rechnet, ist, dass sich hinter der Stimme eine runzelige Greisin verbirgt, die ihn im wahrsten Sinne des Wortes um den Finger wickelt. Und Toby Jones (Die Tribute von Panem) kümmert sich lieber um einen mutierten Floh als um seine Tochter. Diese sehnt sich nach einem eigenständigen Leben und einem schönen, starken Mann, gelangt durch eine undurchdachte Blödelei ihres Vaters jedoch in die Pranken eines Ogers.
Das Märchen der Märchen verzaubert nicht, lullt den Zuschauer nicht in harmlose Bilderwelten ein, sondern schockiert mit Mord und Totschlag, Verantwortungslosigkeit, Korruption und Wahnsinn im Kontrast zur scheinschönen Märchenoptik. Es ist ein Blick hinter die Kulissen von Glanz und Glorie, hinein in menschliche Abgründe. Die Erzählung ist langsam, braucht oft etwas zu lange um in Fahrt zu kommen. Ist jede Geschichte aber erst einmal aufgebaut, ist das Interesse zu groß, als dass man je gelangweilt ist. Etwas Geduld sollte man bei über zwei Stunden Laufzeit und dank der inkohärenten Erzählstruktur trotzdem mitbringen. Immer wilder springt die Inszenierung in einem undurchschaubaren, aber größtenteils funktionierenden Wirrwarr zwischen groteskem Witz, bitterer Ernsthaftigkeit und totalem Wahnsinn hin und her. Das Märchen der Märchen ist nichts für normale Sehgewohnheiten.
Und auch auf der technischen Seite wird man begeistert. Denn hier und da mal ein schlechter Greenscreen und ein bisschen sehr offensichtliches CGI kann man verzeihen, wenn nicht nur Kulissen, sondern auch Masken, Kostüme und vor allem Monster handgemachter Natur sind. Das bringt noch mehr Magie ins Spiel, insbesondere wenn man dazu auch noch Alexandre Desplats wunderschönen Score genießen darf.
Fazit
Mit Sicherheit ist Garrones erster englischsprachiger Film auch einer der verstörendsten und kränksten Filme des Jahres, der für reguläre Kinos bestimmt ist. Dem angesprochenen Wahnsinn kann man sich jedoch nicht entziehen. Er terrorisiert und elektrisiert viel eher, als dass er abschreckt.