Deadpool, USA/CA 2016 • 108 Min • Regie: Tim Miller • Mit: Ryan Reynolds, Morena Baccarin, Ed Skrein, T.J. Miller, Gina Carano, Brianna Hildebrand • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 11.02.2016 • Deutsche Website
Handlung
Wade Wilson (Ryan Reynolds) ist kein Held. Der ehemalige Special-Forces-Mann lässt sich als Söldner für dubiose Aufträge anheuern. Der desillusionierte Zyniker hat niemanden in seinem Leben – bis er Vanessa (Morena Baccarin) trifft. In der sexy Prostituierten, die sich durch sein loses Mundwerk nicht abschrecken lässt, findet er eine Seelenverwandte und endlich die Hoffnung auf ein normales, glückliches Leben. Es ist aber kein Märchen, in dem sie dann glücklich bis ans Ende ihrer Tage lebten. Einige Zeit später wird bei Wade Krebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Damit Vanessa nicht mit ansehen muss, wie sein Körper ihn im Stich lässt und er aus dem Leben dahinsiecht, verlässt er sie. Doch dann macht ihm ein zwielichtiger Mann ein Angebot, das der verzweifelte Wade nicht ablehnen kann: er soll sich einem Experiment unterziehen, das ihm Superkräfte verleihen und ihn vom Krebs heilen wird. Um Vanessas Willen willigt der skeptische Wade ein. Tatsächlich wird er geheilt und erhält darüber hinaus Selbstheilungskräfte à la Wolverine. Doch die grausamen Versuche, denen er unterzogen wird, treiben ihn an den Rand des Wahnsinns und entstellen seinen Körper so sehr, dass Freddy Krueger beim Anblick zusammenzucken würde. Als er dazu noch erfährt, dass er als willenloser Söldner benutzt werden soll, kann er fliehen und hat nur noch ein Ziel vor den Augen: Rache an dem Mann (Ed Skrein), der ihm das angetan hat.
Kritik
Es gab mal eine Zeit, da waren großbudgetierte Comicbuchverfilmungen so selten wie Schnee in Florida. Zum Glück für Comicfans leben wir nicht mehr in dieser Zeit. Superhelden retten die Welt mittlerweile mehrmals im Jahr auf der Leinwand, reisen durch die Zeit, erleben intergalaktische Abenteuer und versammeln sich zu großen Super-Ensembles, die übermächtigen Bösewichten das Handwerk legen. Deadpool ist nicht so ein Film.
Das wird zu Filmbeginn nach mehreren Sekunden schon ersichtlich, wenn wir einen sich in Zeitlupe überschlagenden Geländewagen sehen, samt seiner malträtierten Insassen – mittendrin unser Antiheld Deadpool – während im Hintergrund Juice Newton fröhlich "Angel of the Morning" trällert und dazu der mit Abstand coolste Vorspann läuft, den man seit Jahren im Kino gesehen hat. Jetzt noch mehr zu verraten, wäre ein Verbrechen, doch es ist eine Szene, die innerhalb kürzester Zeit perfekt den Ton für den Rest des Films setzt und jeden Fan so breit grinsen lässt, bis die Backen schmerzen. Deadpool ist angekommen und er lässt sich nicht mehr so misshandeln, wie bei seinem ersten Leinwandauftritt in X-Men Origins: Wolverine. An jenen Film wird hier natürlich erinnert, ebenso wie an einige andere Fehlschläge von Ryan Reynolds, denn in bester Deadpool-Manier ist der Meta-Humor stets präsent und die Hauptfigur adressiert immer wieder die Zuschauer. Nicht falsch verstehen, man kann Deadpool auch ohne Vorwissen als bissigen, herrlich blutigen, actionreichen Spaß genießen. Doch wer die Comics kennt, mit Popkultur und Ryan Reynolds' Karriere vertraut ist, wird das Meiste aus diesem Film herausholen, der bei all seiner Respektlosigkeit den Fans den größten Respekt entgegenbringt. Die Fülle an Verweisen, Insider-Gags und augenzwinkernden Momenten ist so groß, dass Deadpool gerade für sie sehr hohen Wiederanschauungswert haben sollte. Manchmal wirken die Gags im Maschinengewehr-Tempo fast zu bemüht um die Gunst der Fans, doch dieses Gefühl hält zum Glück nie lange an und gehört zu den wenigen Mankos des Films.
Es scheint fast so, als sei es immer ein Traum von Ryan Reynolds gewesen, in einer Comicverfilmung mitzuspielen. An Anläufen hat es nicht gemangelt, an Erfolgen in dieser Hinsicht hingegen schon (was wiederum Humorstoff für den Film bietet). Blade: Trinity, Green Lantern, X-Men Origins und R.I.P.D. sind nicht gerade die Crème de la Crème des Genres. Sein fünfter Versuch ist der erhoffte Glücksgriff und der Film funktioniert auch nur so gut, weil Reynolds sich mit Herz und Seele der Figur verschreibt. Dass er eine gute Wahl für den Charakter ist, hat man schon im ersten Wolverine-Film in Ansätzen gesehen, doch hier darf er seiner verrückten Seite voller Hingabe freien Lauf lassen.
Natürlich werden von vielen zwangsläufig Parallelen zwischen Deadpool und Kick-Ass gezogen werden. Beide sind sehr blutige, anarchisch veranlagte Comicgeschichten, die den Superhelden-Mythos augenzwinkernd auf den Kopf stellen. Doch auch wenn beide Filme oberflächlich gesehen den gleichen Humor bedienen (und auch gleichermaßen viel Spaß machen), sind sie dennoch sehr unterschiedlich. Kick-Ass machte sich in breiten Pinselstrichen über das Superheldengenre und Comichelden lustig, während der Humor von Deadpool in vielen kleinen Details liegt, die man auch schnell verpasst, wenn man einen Augenblick lang wegschaut. Ein weiterer entscheidender Unterschied liegt in der Veranlagung der Protagonisten. Die Helden von Kick-Ass haben keine Superkräfte, wollen aber Gutes tun. Deadpool ist hingegen praktisch unsterblich, hat aber kein Interesse daran, ein Held zu sein und die Welt zu retten. Er will nur Rache an dem Arschloch, das ihm Leid zugefügt hat und mit etwas Glück sein Mädchen zurückgewinnen.
Der letzte Punkt ist auch ein weiterer Grund, weshalb Deadpool so gut funktioniert, denn in seinem Kern ist es auch die unkonventionellste und zugleich schönste Liebesgeschichte seit langem, die in einem Superheldenfilm erzählt wurde. In der Tat, unter all den Sprüchen, Gags und überaus brachialer Gewalt (lasst Euch durch die FSK16-Freigabe nicht täuschen!) schlägt auch das Herz eines Romantikers. Das ist Reynolds genau so wie Morena Baccarin zu verdanken. Als Vanessa ist sie zugleich schlagfertig, liebenswert und verdammt sexy. Ab der ersten Szene zwischen Reynolds und Baccarin sprühen die Funken und ihre (ebenfalls sehr unkonventionelle) Beziehungs-Montage gehört zu den Highlights des Films. Der Kinostart zum Valentinstag könnte also kaum passender sein.
Während Baccarin und Reynolds sich fabelhaft in ihren Rollen machen, hinterlässt Ed Skrein einen blassen Eindruck als generischer britischer Fiesling, der hauptsächlich dazu da ist, um die Geschichte voranzutreiben. Skrein hat den hämischen Gesichtsausdruck gut drauf, doch sein Charakter stellt nie einen ernstzunehmenden Gegner für Deadpool dar. Gina Carano hat als Handlangerin schauspielerisch zwar auch nicht mehr zu bieten, doch dafür bekommt sie eine tolle Actionszene im großen Showdown des Films. Deutlich besser kommen die beiden X-Men weg, die es in den Film geschafft haben. Colossus, eine gänzliche CGI-Kreation mit starkem russischem Akzent in der Originalfassung, ist als stoisch-naiver Saubermann der perfekte Kontrast zu Deadpool, den er dazu zu überreden versucht, sich seiner „Boy Band“ anzuschließen. Doch es ist Newcomerin Brianna Hildebrand, dessen Negasonic Teenage Warhead als mürrische Teenagerin ein richtiger Szenendieb ist, den wir künftig hoffentlich wiedersehen werden. Wie Fox allerdings vorhat, Deadpool in das bestehende X-Men-Universum früher oder später zu integrieren, liegt nach dieser kleinen, außergewöhnlichen Granate von einem Film außerhalb meiner Vorstellungskraft.
Was man bei Deadpool nicht erwarten sollte, neben einer traditionellen Heldengeschichte natürlich, sind allzu spektakuläre Actionszenen und viel Bombast. Die Geschichte bleibt recht schlank. Viel Zeit wird mit der großen Highway-Actionsequenz verbracht, die immer wieder von Flashbacks durchbrochen wird, und kaum ist sie vorbei, landet man schon beim großen Finale, bei dem dann doch noch etwas mehr in die Luft fliehen darf, jedoch vermutlich mit weniger Budget als Robert Downey Jr.s Gehalt für die kommenden Avengers-Filme. Man wünscht sich am Ende, noch mehr Zeit mit Deadpool verbringen zu können, doch die straffe, geradlinige Erzählweise, die der konkreten und simplen Zielsetzung unserer Hauptfigur entspricht, unterscheidet den Film auch erfrischend von den Riesenspektakeln wie Captain America: Civil War oder Batman v. Superman, die uns dieses Jahr erwarten. Wie anfangs gesagt – Deadpool ist nicht so ein Film. Eine klare Gemeinsamkeit gibt es aber: man sollte das Ende des Abspanns abwarten.
Fazit
Von seinem fantastischen Vorspann bis zum seinem verspielten Abspann (und sogar ein wenig darüber hinaus): Deadpool bietet 108 Minuten frechen, einfallsreichen, vergnügt anarchischen, fröhlich blutigen, sprücheklopfenden, konsequent durchgeknallten und überraschend romantischen Spaß, der der Vorlage großen Respekt zollt und Meta-Referenzen im Minutentakt raushaut. Nach mehreren Anläufen hat Ryan Reynolds endlich die Superheldenrolle seines Lebens gefunden.
[…] Filmfutter – 4,5/5 […]