Wild, USA 2014 • 116 Min • Regie: Jean-Marc Vallée • Drehbuch: Nick Hornby • Mit: Reese Witherspoon, Laura Dern, Thomas Sadoski, Kevin Rankin, W. Earl Brown • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 15.01.2015 • Deutsche Website
„Der große Trip – Wild“ ist nicht nur ein gelegentlicher Abstecher in die Ödnis wie der Titel vermuten lässt, sondern ein beschwerlicher, schmerzhafter Marsch in die Selbsterkenntnis über 1000 Meilen weit auf dem Pacific Crest Trail. Hatte Mia Wasikowska in „Spuren“ vergebliche Studien- und Arbeitsversuche hinter sich, um sich für ein Durchschreiten des Outbacks zu entscheiden, suchte Emilie Hirsch in „Into the Wild“ in der Wildnis nach der Nähe, die er daheim anscheinend so bitter misste. Bereits diesen Filmen liegt eine wahre Begebenheit zu Grunde, sodass es nur eine Frage der Zeit war bis Cheryl Strayeds Bestseller „Wild: From Lost to Found on the Pacific Crest Trail“ den Weg auf die Leinwand findet. Häusliche Gewalt des Stiefvaters in der Kindheit und der frühe Tod der geliebten Mutter sorgten schließlich für Cheryls Leben in desolaten Ausschweifungen, Heroinmissbrauch und Unfähigkeit, ihren fürsorglichen Ehemann aufrichtig zu behandeln.
Cheryl Strayeds (Reese Witherspoon) Ehe ist im Eimer. Zu oft versuchte ihr Mann Paul (Thomas Sadoski) seine Frau aus dem Drogensumpf zu befreien, zu oft ging sie ihm mit wahllosen Männern fremd, um irgendwie die überwundene Trauer über das plötzliche Ableben ihrer Mutter Bobbi (Laura Dern), den prügelnden Stiefvater und das Trösten ihres jüngeren Bruders abzudämpfen. Cheryl sieht für sich nur einen radikalen Ausweg, damit ihr Leben wieder eine richtige Richtung einnimmt: Eine Wanderung auf dem Pacific Crest Trail. Die völlig unerfahrene Wanderin nimmt viel zu viel Krams in ihrem Rucksack mit und schafft vorerst nur ein paar Meilen am Tag. Auf dem Weg lernt sie andere Wanderer, Camper und irrgeleitete Menschen kennen, die ihr auf dem waghalsigen Trip zur Seite stehen.
Reese Witherspoon („Walk the Line", „Natürlich Blond") legt hier ein ganz mächtiges Solobrett hin. Andere monodimensionale Figuren haben dabei kaum Gelegenheit, sich in das Gedächtnis der Zuschauer zu spielen. Das Augenmerk des stilistisch hervorragend erarbeiteten Films liegt eben auf dieser Frau. Die Figur von Witherspoons Cheryl ist gleichermaßen gedankenversunken und verbissen, verloren und doch gefunden. Ständig steht ihr die physische Anstrengung und die narbenhafte Mimik unverdauter familiärer Probleme in das Gesicht gemeißelt, sodass es kostbare, flüchtige Momente sind, wenn beim Summen eines Liedes Glück und Zuversicht durchschimmern. Ihre Zitationen in den Besucher-Logbüchern der Trails oder der Hostels finden bald eine Fangemeinde unter den Wanderern. Keineswegs sind diese Zitate oder Lieder bloßes Indie-Film-Feel-Good-Gepansche oder Selbstzweck; vielmehr werden diese Mantra artigen Zitate von namhaften Künstlern gekonnt in Cheryls Reise eingewoben. Dies erdet die authentische, ungekünstelte Figur der Cheryl zuzüglich zu ihrem empfundenen Schmerz bei der langen Wanderung und ihren Flüchen über die Beschissenheit der Dinge. Somit wird dem ehrlichen, unverblümten Schreibstil der echten Cheryl Strayed Rechnung getragen (Lob an Drehbuchautor Nick Hornby).
Handwerklicher Vorarbeiter ist Regisseur Jean-Marc Vallée („Dallas Buyers Club"), der im letzten Oscarrennen Jared Leto und Matthew McConaughey eine der begehrten Auszeichnungen bescherte. Vallée arbeitet in seinem Film mit vielerlei Versatzstücken aus Rückblenden, die zum Glück nie störend oder überflüssig werden (vergleiche dazu z.B. Danny Boyles „127 Hours“). Wo man über Christopher McCandless (Protagonist in „Into the Wild“) Motivation die Zivilisation hinter sich zu lassen, eher spekuliert, ist Cheryls Linie klar in ihrem Buch dargelegt, auf dass die Rückblenden wirklich Sinn machen. Sie sind genauso geschmeidig in den Filmverlauf eingearbeitet, wie das nachdenkliche Summen von Cheryls Lieblingsliedern. Hier wird im Ton mit viel Hall und punktgenauen Fade Ins und Outs gearbeitet. Ob bloßer Soundtrack oder ob der Zuschauer in Cheryls Gedanken mithört ist erst wieder beim nächsten Close-Up klar. Ein kunstvoller Kniff, um Cheryls Gedankenwelt, ihre Umgebung und den Zuschauer auf einer Welle surfen zu lassen. Immer wieder wird der Trip für den Zuschauer erfahrbar gemacht. Mit schnellen Schnitten auf Cheryls hastige Schritte, ihre Durchhalteparolen, ihr pumpender Atem und die inbrünstigen, befreienden Schreie in die bildschöne Leere der weitläufigen Wildnis. Für zukünftige Aussteiger, Wanderenthusiasten oder Freunde von Filmen wie „Spuren“ und „Into the Wild“, ist dieser Trip ins Kino ein lohnenswertes Wagnis.
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