The Lion King, USA 2019 • 118 Min • Regie: Jon Favreau • Mit den Originalstimmen von: Donald Glover, Chiwetel Ejiofor, Beyoncé, James Earl Jones, Seth Rogen, Billy Eichner, John Oliver • FSK: ab 6 Jahren • Kinostart: 18.07.2019 • Deutsche Website
Handlung
Der Löwe Mufasa (James Earl Jones) herrscht weise und gerecht über das Geweihte Land. Sein hinterlistiger und skrupelloser Bruder Scar (Chiwetel Ejiofor) beneidet ihn um den Thron. Als Mufasas Sohn Simba (Donald Glover) geboren und als sein Thronfolger präsentiert wird, weiß Scar, dass damit seine letzte Chance auf die Herrschaft stirbt. Er verbündet sich mit den gefräßigen Hyänen, die seit jeher mit den Löwen in Konflikt stehen, und stellt Simba und Mufasa eine Falle. Beim Versuch, seinen Sohn zu retten, stirbt Mufasa. Scar überzeugt Simba, dass es seine Schuld war. Aus Scham und Angst läuft Simba davon. Völlig verzweifelt und erschöpft wird er vom sorglosen Duo Timon (Billy Eichner), einem Erdmännchen, und Pumbaa (Seth Rogen), einem Warzenschwein, vor hungrigen Geiern gerettet und aufgenommen. Simba wächst mit den beiden Außenseitern auf und übernimmt auch ihre unbeschwerte Einstellung zum Leben. Durch Zufall begegnet er Jahre später seiner einstigen Kindheitsfreundin Nala (Beyoncé). Sie erzählt ihm, wie sehr das Geweihte Land unter der grausamen Herrschaft Scars und seiner Hyänen leidet, und drängt ihn dazu, zurückzukehren und seinen rechtmäßigen Platz als König einzunehmen. Obwohl Simba über das Wiedersehen erfreut ist und die Funken zwischen Nala und ihm sprühen, weigert sich der von Schuldgefühlen geplagte junge Löwe, ihr zu folgen. Erst der Mandrill Rafiki (John Kani), Mufasas alter Freund, Berater und Schamane, kann Simba von seiner Bestimmung überzeugen.
Kritik
Geschichte wiederholt sich. Vor 25 Jahren wurde Der König der Löwen zum Prunkstück von Disneys Zeichentrick-Renaissance, die fünf Jahre zuvor mit Arielle, die Meerjungfrau begann. Der Film begeisterte Kinogänger weltweit, wurde zu einem gigantischen Kassenhit und gewann zwei Oscars. Das Vermächtnis des Films, den die meisten Kinder der Neunziger mehr als jeden anderen mit Disney assoziieren, umfasst mehrere fürs Heimkino produzierte Fortsetzungen, Videospiele, eine Zeichentrickserie und eins der erfolgreichsten Broadway-Musicals aller Zeiten. Jetzt geht Disney zu den Anfängen zurück und präsentiert eine Neuauflage des Originalfilms, produziert nach allerneusten technischen Standards. Wenn man nach bisherigen Vorverkaufszahlen und dem ultraerfolgreichen Trailer-Release urteilt, wird auch der neue König der Löwen die Kinokassen ähnlich wie sein Vorgänger klingeln lassen. Wie bei anderen Disney-Neuadaptionen, liegt das Erfolgsrezept auf der Hand. Millionen von Erwachsenen, die mit den Originalen aufgewachsen sind, werden durch Nostalgie und Neugier in die Kinos gelockt. Sie nehmen ihre Kinder mit, von denen die meisten ohne handzeichnete 2D-Animationen aufgewachsen sind und die Klassiker durch Disneys Neuinterpretationen kennenlernen.
Im Gegensatz zu allen anderen Disney-Remakes der letzten Jahre ist Der König der Löwen keine Realverfilmung, auch wenn alles in dem Film täuschend echt aussieht. Während bei The Jungle Book immerhin Mogli noch von einem echten Kind gespielt wurde, stammt bei Jon Favreaus neuem Film alles aus dem Computer: die Tiere, die Pflanzen, der Himmel und die Landschaft. Es ist ein CG-Animationsfilm, auch wenn es beim Zusehen schwer fällt, den Streifen mit unserer Vorstellung eines Animationsfilms zu vereinbaren. Das Effekte-Team des Films kann schon die Dankesreden vorbereiten, denn ein Oscar scheint für ihre Arbeit so gut wie sicher zu sein. Es wäre eine Untertreibung, zu sagen, die Effekte hier seien überwältigend. Jedes Detail sieht extrem photorealistisch aus. Jeder Käfer auf einem Grashalm, jede Wasserpfütze in der afrikanischen Savanne und jedes Härchen auf dem Fell der Tiere wirken, als würde man die außergewöhnlichste Tierdoku der Welt, aufgenommen mit den schärfsten Kameras der Welt, sehen. Bereits The Jungle Book hatte phänomenale Tieranimationen, doch Der König der Löwen zeigt, welche Fortschritte innerhalb von drei Jahren noch gemacht wurden, und hebt das auf ein neues Level. Alles wirkt organisch und fassbar – die perfekte Illusion.
Die revolutionären Effekte alleine sind ein gutes Argument dafür, den Film auf der Leinwand zu sehen. Doch die grandiose Animation ist zugleich die größte Tugend und das größte Problem des Films. Wie schon bei The Jungle Book, entsteht ein seltsamer Kontrast zwischen der hyperrealistischen Darstellung der Tiere und der Tatsache, dass sie sprechen. Einerseits strebt man Realismus an, andererseits ist es eben immer noch eine Welt, in der ein Affe und ein Nashornvogel jeweils der Schamane und der Hofmeister des Löwenkönigs sind und ein Warzenschwein und ein Erdmännchen beste Kumpel eines Löwen sind. Ein Zeichentrickfilm entfernt sich stilistisch weit genug von der Realität, dass es überhaupt nicht stört. In einem Quasi-Realfilm wirkt diese Diskrepanz zuweilen befremdlich.
Ein noch größeres Problem bei der Neuverfilmung ist, dass sie ihre Emotionalität zugunsten der Effekte einbüßt. Ein Zeichentrickfilm hat mehr Freiheiten bei der Animation der Emotionen in den Gesichtern der Tiere, während ihre photorealistische Darstellung in dieser Hinsicht einschränkend wirkt, sodass die Vermittlung der Gefühle noch viel mehr den Sprechern überlassen wird. Sie tun allesamt ihr Bestes, doch das Gehörte geht hier leider nicht immer Hand in Hand mit Gesehenem. Der Original-Zeichentrick sprüht nur so von großen Emotionen – Freude, Liebe, Trauer, Furcht, Lebenslust. Mufasas Tod hat mich als Kind emotional zerstört. Für all seine optischen Reize wirkt der Neuaufguss kälter und distanzierter.
Die Originalsprecher (die Kritik basiert auf der englischen Sprachfassung des Films) sind gut ausgewählt und die Rückkehr von James Earl Jones' majestätischer, Respekt einflößender Stimme als Mufasa ist sehr willkommen. Die Comedians Billy Eichner und Seth Rogen sind perfekt als Timon und Pumbaa, wobei auch hier die tolle Stimmarbeit mit der emotionsgehemmten Animation in Konflikt steht. Eine Faust-aufs-Auge-Besetzung ist auch John Oliver als Zazu, der als würdiger Nachfolger seines Landsmannes Rowan Atkinson in der Rolle die nötige Selbstironie, Schusseligkeit und Tollpatschigkeit mitbringt. Als treuer "Last Week Tonight"-Fan dauerte es bei mir jedoch ein wenig, bis ich mich an seine Stimme in diesem ganz anderen Kontext gewöhnt habe.
Eine große Frage, die man sich natürlich nach dem Film stellt, lautet: "Wie würde man ihn beurteilen, wenn der Film von 1994 gar nicht existieren würde?" Möglicherweise anders und positiver, doch ich kann auch die Tatsache nicht einfach ausblenden, dass er eben existiert und für die besten Momente des Remakes verantwortlich ist. Obwohl der neue König der Löwen eine gute halbe Stunde länger läuft als das Original, ist er äußerst vorlagengetreu, vielleicht sogar mehr als jede andere Film aus Disneys Welle der Neuverfilmungen. Nicht nur alle die Originalsongs und alle ikonischen Momente wurden Szene für Szene übernommen, sondern auch viele Dialogzeilen entsprechen Wort für Wort exakt dem Original. Es gibt zwar auch ein neues Lied von Beyoncé ("Spirit") und natürlich auch einige Szenenerweiterungen, die die Filmlänge polstern, doch nichts davon ist substanziell. Nichts ergänzt die Vorlage wie beispielsweise die Vergrößerung und Verbesserung von Jasmins Rolle im neuen Aladdin oder die revisionistische Nacherzählung von Dornröschen in Maleficent. Die größte Veränderung ist vielleicht noch, dass die Hyänen nicht länger (nur) Witzfiguren sind, sondern eine tatsächliche, glaubhafte Bedrohung darstellen. Im Grunde ist es aber der gleiche Film im prächtigen neuen Gewand.
Es fällt nicht schwer, nachzuvollziehen, weshalb Jon Favreau und Disney sich dafür entschieden haben. Der Originalfilm ist ein geliebter Klassiker. "Circle of Life", "Hakuna Matata" und "Can You Feel the Love Tonight" sind großartige, eingängige und wundervoll arrangierte Songs. Die oscarprämierte Musik von Hans Zimmer ist fantastisch. Weshalb etwas reparieren, was nicht kaputt ist, und die Fans auf die Barrikaden gehen lassen? Natürlich wirkt das alles auch beim zweiten Mal. Der Film hat seine Gänsehaut-Momente, allen voran natürlich die "Der ewige Kreis"-Eröffnungssequenz, die im Original zu den besten Szenen in der gesamten Disney-Geschichte gehört und auch hier erhebend und atemberaubend ist. Doch nahezu jeden wirklich guten Moment hat der Film dem Umstand zu verdanken, dass er schon vor 25 Jahren sehr gut war. Es stellt sich schnell ein Déjà-Vu-Gefühl sein, das bis zum Schluss anhält. Bei all seiner bahnbrechenden visuellen Brillanz, die auf Kosten der Emotionen geht, bietet der Film letztlich keinen überzeugenden Grund, weshalb man sich in den nächsten 25 Jahren dafür entscheiden sollte, ihn anstelle des Originals noch einmal anzuschauen.
Fazit
Technische Perfektion gedeiht, während Kreativität dahinsiecht. Disneys photorealistischer Der König der Löwen ist visuell bahnbrechend und vertraute Momente aus dem Original sorgen immer noch für Staunen und Gänsehaut. Doch der Hyperrealismus hat seinen Preis und dämpft die emotionale Kraft der Vorlage, der das Remake mit wenigen Ausnahmen sehr treu folgt.