The Hunger Games, USA 2013 • 142 Min • Regie: Gary Ross • Mit: Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Liam Hemsworth, Woody Harrelson, Donald Sutherland, Elizabeth Banks, Stanley Tucci, Wes Bentley • FSK: ab 12 Jahren • Kinostart: 22.03.2012 • Deutsche Website
Handlung
In einer nahen, jedoch nicht näher definierten Zukunft existieren die Vereinigten Staaten von Amerika nicht mehr. Ihre Stelle hat Panem genommen, eine am alten römischen Reich sich orientierende Diktatur, die vom reichen Capitol aus die 13 umliegenden, ärmeren Distrikte mit eiserner Hand regiert. Ein Versuch des Aufstandes der Distrikte gegen die erbarmungslose Herrschaft des Capitols wurde niedergeschlagen und resultierte in der Vernichtung von Distrikt 13 sowie der Einführung der alljährlichen „Hungerspiele“. Dabei werden jedes Jahr von allen Kindern und Jugendlichen im Alter von 12-18 Jahren pro Distrikt zwei „Tribute“ ausgelost – ein Junge und ein Mädchen. Diese reisen zum Capitol, werden zwei Wochen lang unter Aufsicht eines Mentors in den Kampf- und Überlebenskünsten trainiert und schließlich in einer riesigen Arena ausgesetzt. Dort müssen die Tribute auf Leben und Tod kämpfen, bis nur einer am Ende steht. Das landesweit übertragene Event dient als strafende Erinnerung an den Aufstand der Distrikte. Bei der Ziehung der Tribute für die 74. Hungerspiele im Distrikt 12 fällt das Los auf die 12-jährige Primrose Everdeen. Ihre 16-jähirge Schwester Katniss (Jennifer Lawrence) meldet sich freiwillig, um ihre Stelle einzunehmen. Gemeinsam mit Peeta Mellark (Josh Hutcherson), einem Bäckerssohn und dem männlichen Tribut von Distrikt 12, der für Katniss schon länger heimliche Gefühle hegt, reist sie zum Capitol. Dort müssen sich die beiden unter der Ägide von Haymitch Abernathy (Woody Harrelson), dem einzigen Hungerspiele-Sieger, den Distrikt 12 je hervorgebracht hat, für die tödlichen Spiele vorbereiten, doch sie wissen, dass am Ende nur einer überleben kann…
Kritik
Seit dem (vorläufigen) Ende von Der Herr der Ringe und Star Wars und mit dem Finale von Harry Potter in Sicht, suchten die Hollywood-Studios verzweifelt nach einem großmaßstäbig angelegten, epischen Franchise, welches die Zuschauer in Massen in die Kinos bringen würde und jahrelang als Goldesel herhalten könnte. Das offensichtliche Medium, dem sich die Studios zuwandten, waren natürlich die Bücher. Es existieren unzählige erfolgreiche Roman-Reihen, die es bisher noch nicht auf die Leinwand geschafft haben (z. B. Artemis Fowl) und jedes Jahr gibt es heutzutage mehrere Anläufe eine neue Reihe zu starte – die meisten davon ohne großen Erfolg. Auf deren fieberhaften Suche nach einem neuen Star Wars, einem neuen Harry Potter und, neuerdings, einem neuen Twilight, adaptierten Studios vor allem Science-Fiction- und Fantasy-Romane: Doch Erfolge waren rar gesät. Für jeden Twilight gab es Fehlversuche wie Ich bin Nummer Vier, Jumper oder Der goldene Kompass. Mit „Die Tribute von Panem“ (OT: „The Hunger Games“) stieß Lionsgate allerdings auf eine Goldgrube. Es ist ironisch, dass nach so vielen vergeblichen Versuchen, es nicht eins der großen Studios in Hollywood war, welches die neuen erfolgreichen Franchises für junge Erwachsene begründeten, sondern Lionsgate, welches nach dem Aufkauf von Summit Entertainment auch die Rechte an der Twilight-Reihe besitzt.
Obwohl die Medien in der Berichterstattung im Vorfeld zum Release immer die Verbindung zwischen Twilight und The Hunger Games suchten und das ähnliche Zielpublikum der beiden betonten, gibt es nur wenige direkte Gemeinsamkeiten. In der Tat, beide Vorlagen wurden von einer Frau geschrieben, in beiden steht eine weibliche Protagonistin im Mittelpunkt und ein Liebesdreieck spielt eine Rolle. Hier sollten die Vergleiche aber auch schon ein Ende finden. Wie auch immer die Meinung einer Person von Twilight sein mag, es ist eine Tatsache, dass dort an erster Stelle die Liebesgeschichte steht und alles andere dem untergeordnet ist. Die graue Welt von The Hunger Games ist von Twilights verklärter Vampirromantik aber auch von Harry Potters fantastischem Setting so weit entfernt wie eine durchschnittliche romantische Komödie von Blue Valentine. Zumindest im ersten Buch von „Die Tribute von Panem“ gibt es keine Liebesgeschichte, geschweige denn ein Liebesdreieck. Bei The Hunger Games lag die Betonung immer auf dem dystopischen Setting, der inneren Entwicklung und seelischen Zerstörung der Protagonistin, der Frage, wie weit Menschen für ihre Ziele gehen würden und dem Tribut, den bestimmte Taten von den Protagonisten fordern. Alles in allem – düsterer Stoff.
Von den ersten Minuten des Films an, sieht man, dass es sich hier um eine ganz andere, realere und bodenständigere Welt handelt. Sicher, auch hier gibt es futuristische Elemente, die einen daran erinnern, dass es letzten Endes auch ein Science-Fiction-Film ist, seien es nun die ausschweifenden Bauten des Capitols oder die von außen von den Spielmachern kontrollierte Arena, in der perfide Fallen auf Knopfdruck ausgelöst werden können. Abgesehen davon wird aber alles sehr wirklichkeitsnah gehalten. Übermenschliche Kräfte, mächtige Zukunftswaffen und andere typische Elemente solcher Sci-Fi-Dystopien sucht man hier vergeblich. Sobald die Tribute die Arena betreten, sind es einfach nur Jugendliche und Kinder, die mit Messern, Speeren, Schwertern, bloßen Händen oder, in Katniss‘ Fall, mit Pfeil und Biogen aufeinander losgehen. Den Filmfans wird das Konzept vertraut erscheinen. Auch der japanische Film Battle Royale (wiederum basierend auf dem gleichnamigen Roman) hat das Konzept einer dystopischen Gesellschaft, in der sich Kinder in einem perversen Spiel gegenseitig töten müssen, abgedeckt, wenn auch deutlich blutiger. Beide Versionen der Thematik können jedoch ungestört nebeneinander existieren. Während der japanische Film sich primär auf das Spiel konzentriert und man nur wenig über die Außenwelt und die Umstände erfährt, ist der Rahmen bei The Hunger Games deutlich größer. Zudem bietet die von Jennifer Lawrence gespielte Katniss eine deutlich bessere Identifikationsfigur als die Figuren aus Battle Royale.
Es ist die Darbietung von Lawrence, die die größte Stärke der Filmadaption darstellt. Mit dem Auftritt bewiesen Lawrence, dass ihre oscarnominierte Performance in Winter’s Bone kein glücklicher Zufallstreffer war (mit Silver Linings hat sie später alle restlichen Zweifel endgültig ausgeräumt). Unter den Fans des Romans gab es im Vorfeld einige Beschwerden, die 21-jährige Blondine sei zu alt für Rolle und würde der Beschreibung aus dem Roman (olivfarbene Haut, dunkle Haare) nicht entsprechen. Jegliche Klagen dürften nach dem Film verstummen. Lawrence ist, um es einfach auszudrücken, fantastisch. Sie fängt jeden einzelnen Aspekt ein, die Katniss zu so einem starken weiblichen Charakter im Buch machen. Weit von der anhänglich-schwachen Bella (eine Rolle, für die sich Jennifer Lawrence übrigens auch erfolglos bewarb), ist ihre Katniss eine komplett ausgearbeitete Figur mit Ecken und Kanten. Die Autorin Suzanne Collins hat Katniss mit einer Mischung aus Härte und Verletzlichkeit ausgestattet, die Jennifer Lawrence in ihrer Performance zum Ausdruck bringt. Ihre Katniss ist eine unglaublich starke weibliche Protagonistin, wie es sie in dem Genre schon lange nicht gab. Sie trägt den Film (der größtenteils aus ihrer Perspektive die Geschehnisse verfolgt) mit Bravour auf ihren Schultern.
Leider bedeutet eine solche Gewichtung ihres Charakters beinahe zwangsläufig, dass die anderen zu kurz kommen. Wie schon in der Vorlage kommt ihr bester Freund/potenzielles Love Interest Gale, gespielt von Thors Bruder Liam Hemsworth, nur in wenigen Szenen vor und auch Josh Hutcherson hat als Peeta keine Gelegenheit zum scheinen. Was aber schlimmer ist, ist, dass es zwischen ihm und Lawrence leider keine Chemie gibt, die notwendig ist, um eine glaubwürdige Ausgangslage für das spätere Liebesdreieck herzustellen. Die Nebenbesetzung ist stark, doch niemand hat viel Zeit vor den Kameras. Am vielversprechendsten sind Harrelson als stets betrunkener und sich dennoch um seine Schützlinge sorgender Mentor von Katniss und Peeta und Stanley Tucci als der schleimige Talkshow-Host Caesar Flickerman. Mit seiner Mischung aus George Hamiltons ungesunder Bräune, Karl Lagerfelds Pferdeschwanz, Liberaces Vorliebe für ausgefallene Kleidung und Ryan Seacrests Auftreten ist er ein unvergesslicher Anblick. Donald Sutherland spielt den Präsidenten Snow mit angemessener Bedrohlichkeit eines Filmbösewichts. Die größte Veränderung eines Charakters gegenüber der Vorlage ist die Einführung des Haupt-Spielmachers Seneca Crane, der im Roman lediglich namentlich erwähnt wird. Der wahre Star hier ist aber nicht Wes Bentley, sondern seine Gesichtsbehaarung!
Die Regie von Gary Ross (Seabiscuit) ist solide, liefert aber keine besonderen Überraschungen. Manche werden sich über die Wackelkamera während einiger Actionsequenzen aufregen, doch ich glaube, dass sie nötig war, um die gewünschte Jugendfreigabe trotz der harten Thematik zu erreichen. Es ist schließlich ein Film, in dem sich Kids gegenseitig abschlachten. Überraschenderweise gelingt es den Machern trotzdem, den blutigen Vorgängen in der Arena treu zu bleiben und die Essenz der Hungerspiele wird nicht aufgrund einer niedrigen Altersfreigabe geopfert. Es gibt genug blutige und unangenehme Szenen, die aber nie unbegründet sind. Manche Effekte und Kostüme schwanken leider zwischen „kitschig“ und „billig“, doch der Riesenerfolg des Films wird beim Sequel ein höheres Budget ermöglichen, wodurch man diesen Schwachpunkt aufpolieren könnte.
Insgesamt ist der Film eine sehr getreue Adaption der Vorlage. Die Freiheiten, die sich die Filmmacher mit der Präsentation herausgenommen haben, nützen dem filmischen Konstrukt. So sieht man, im Gegensatz zum Roman, auch einige Ereignisse außerhalb der Arena, während die Hungerspiele schon laufen. Dadurch verlässt man Katniss’ Perspektive und erhält sowohl einen Eindruck von der Leitung der Spiele als auch von der Reaktion der anderen Distrikte auf die Entwicklungen. Insbesondere der erste Punkt erweist sich als sehr gewinnbringend, denn der Fokus verändert sich dann von einer generellen Gesellschaftskritik hin zu einer direkten Anspielung auf die moderne Faszination mit sensationsgeilem Reality TV; ein Aspekt, auf den in der Vorlage nicht so ausführlich eingegangen wird. Die Betonung des Überlebens und der Bemühungen trotz Allem die eigene Menschlichkeit zu bewahren, wird im Film etwas abgeschwächt und stattdessen wird mehr Gewicht auf den Wahnsinn und die Brutalität der Spiele gelegt. Es ist eine kleine Veränderung, doch sie sagt viel über den Ton des Films aus, der nicht nur an seine jungen Fans appelliert, sondern auch bei den älteren Zuschauern dank seinen Mediensatire-Aspekten punkten sollte. Eine weitere willkommene Veränderung ist ein deutlich erfüllenderes und abgerundetes Ende, das der Roman so nicht hatte. Es ist ein sehr zufriedenstellender Schluss, der einen aber auch sich nach mehr sehnen lässt. Das nenne ich gutes Filmemachen.
Fazit
Trotz all seiner Makel ist Die Tribute von Panem – The Hunger Games ein fesselnder und gelegentlich intelligenter Science-Fiction-Film und ein vielversprechender Start einer neuen Filmreihe. Das Herzstück ist dabei Jennifer Lawrence, deren Katniss als starke, facettenreiche Protagonistin sich unter die legendären Heldinnen der Filmgeschichte einreihen wird.