Die wunderbaren Alpträume des Tim Burton

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Tim Burton - Corpse BrideAnmutig springt die schwarze Katze auf die Mauer. Sie schleicht zum Fenster hin, immer der Musik nach. Eine melancholische Weise, die dennoch leichtfüßig wie das Tier durch die triste, graue Szenerie schwebt. Durch das geöffnete Fenster huscht die Katze in einen leeren Raum. Kahle Wände, keine Möbel, lediglich durch das Fenster dringt fahles Licht. Dort steht der Flötenspieler. Ein blasser Junge mit buschigen, tiefschwarzen Haaren. Er trägt ein gestreiftes T-Shirt und spielt auf der Flöte. Sein Gesicht ist spitz zulaufend, kurz unter dem Pony sitzen zwei große, traurige Augen und über einem spitzen Kinn sitzt ein schmaler, kleiner Mund. Die Katze schmiegt sich an den Jungen. Er setzt die Flöte ab, die Musik verstummt. Eine Stimme aus dem Off verrät uns, dass der Junge Vincent heißt und sieben Jahre alt ist. Ein höflicher, netter Junge, der immer das täte, was man von ihm verlangt. Tief in seinem Inneren wünschte er aber, dass er Vincent Price, der große Grusel-Darsteller wäre. Von einem auf den anderen Moment verändert sich das Bild. Vincents Haare stehen struppig zu Berge, seine runden Pupillen werden zu starren, kleinen Punkten in schwarz umrandeten Augen, über seinem Mund ist ein feiner Schnurrbart zu sehen, und statt der Flöte hält er eine Zigarette an einem langen Filter in der Hand, mit der er Rauchwolken in die Luft bläst.

Tim Burton - Edward Mit Den ScherenhändenDas war 1982, Vincent war damals sieben Jahre alt. Mittlerweile ist es 2013, Vincent ist gerade 50 geworden.
„Vincent“ ist nicht nur der Hauptdarsteller sondern auch der Name des ersten Kurzfilmes von Regisseur Tim Burton (oder, laut Wikipedia, Timothy „Tim“ William Burton). Eine morbide, schaurige, aber auch skurrile und sensible Geschichte über den netten Jungen von nebenan mit dem Kopf in den Wolken. Oder eher unter der Bettdecke, wo er im Schein der Taschenlampe die Spukgeschichten liest, die besorgten Eltern die Hände über dem Kopf zusammenschlagen lassen. „Vincent“ ist nicht nur deswegen ein wichtiges Werk in Burtons Schaffen, weil bereits hier viele Bilder und Merkmale sichtbar sind, die auch in den späteren Filmen wieder zu finden sein werden (Adjektive wie „morbide“, „schaurig“, „skurril“ oder „sensibel“ kommen als erstes in den Sinn). Er ist auch ein sehr persönlicher Film. Es ist nicht schwer, den jungen Vincent als Alter Ego von Burton zu betrachten. Eine blühende Phantasie, ein Hang zum Schaurigen und Abseitigem, ein Sturz in grotesk-verzerrte Wahrnehmungswelten, eingepfercht in familiäre Idylle und Biederkeit, zwischen Besuchen der molligen Tante im Blümchenkleid und dem strengen Zeigefinger der Mutter, die man stets nur von den Schultern abwärts sieht.

Bei insgesamt 16 Langfilmprojekten hat Burton seither Regie geführt. Dazu kommen noch einige Kurzfilme (u.a. die halbstündige Urfassung seines aktuellsten Projekts „Frankenweenie“), diverse Drehbücher (am bekanntesten natürlich „Nightmare Before Christmas“, den er aus terminlichen Gründen an Studienfreund Henry Selick abgab) und Produktionsjobs („#9“ von Shane Acker oder Selicks Nachfolgeprojekt „James und der Riesenpfirsich“). Eine relativ kurze Anstellung bei Disney ermöglichte ihm außerdem die Mitarbeit, an diversen Animationsfilmen wie beispielsweise dem viel zu unbekannten „Taran und der Zauberkessel“.

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Tim Burton - Big FishDurch alle diese Projekte zieht sich der rote Faden, der mit „Vincent“ zu spinnen begonnen wurde. Ob Biopic („Ed Wood“) oder Märchen („Edward mit den Scherenhänden“), ob Blockbuster („Alice im Wunderland“) oder Franchise-Beitrag („Batmans Rückkehr“), die Figuren des Burton-Kosmos stehen meist abseits einer durch Regeln und Normen festgelegten Gesellschaft. Der Kürbiskönig Jack Skellington hat genug vom ewigen Spuktrott an Halloween und möchte das Weihnachtsfest aufpeppen, der idealistische, aber talentlose Edward D. Wood Jr. versucht seine abstrusen Ideen, Idole und Kaschmirpullover im Studiosystem von Hollywood unterzubringen, und den Sieg über die fiesen Marsmenschen feiern zwei Afroamerikaner, eine Seniorin und zwei rebellische Teenager vor den Trümmern des Weißen Haus. Meistens mit dabei: Danny Elfmann, wilde Kringel und Spiralen, Helena Bonham Carter und Johnny Depp.

Böse Zungen werfen Burton seit jeher kreativen Stillstand vor. Er würde sich kaum aus seiner Komfortzone herauswagen, auf seinem Terrain sei er zwar gut, aber immer wieder der geschminkte Johnny Depp sei eine durchschaubare und abgenutzte Masche. Gezwungener Nonkonformismus, ein bisschen wie die Gothic-Kids aus „South Park“ mit einem Spritzer Casper: „Wir tragen solange Schwarz, bis es was Dunkleres gibt“.
Tim Burton - Sweeney ToddJa und nein. Es ist richtig, dass sich Burton gerne an bekannten Themen abarbeitet und in dieser Hinsicht einen unverwechselbaren Motiv- und Stilkatalog entwickelt zu haben scheint. Die Neuerfindung des Burton-Kosmos blieb bisher aus. Es gab den betont heiter-kitschigen „Big Fish“ und den derben „Sweeney Todd“, im Grunde fand man aber auch dort wieder bekannte Burton-Themen (den lebensbejahenden Eskapismus in „Big Fish“, die Rebellion gegenüber etablierten Obrigkeiten in „Sweeney Todd“, so zu finden auch in „Sleepy Hollow“). Dennoch fügen sie dem Gesamtbild immer wieder kleine, aber dennoch bemerkenswerte Facetten hinzu. Selbst im Großen und Ganzen eher misslungene Projekte wie das „Planet der Affen“-Remake oder die Disney-Cash-Cow „Alice im Wunderland“ sind insofern zumindest sehenswert, und sei es bloß, um einen weiteren, flüchtigen Blick in die dunklen Windungen unter dem schwarzen Haarschopf von Tim/Vincent zu wagen.

Tim Burton - FrankenweenieAußerdem sollte man sich vor Augen halten, dass sich jeder große Regisseur Lieblingsmotiven angenommen hat. Von Chaplin und Hitchcock bis Tarantino und Haneke, der sprichwörtliche und berühmte „rote Faden“ muss nichts Schlechtes sein. Er zeugt immerhin von Hingabe für eine Sache, Standfestigkeit im System der großen Studios und Verleihe, im besten Fall auch für eine Weiterentwicklung. Letzteres ist bei Burton in den letzten Jahren -leider – weniger zu beobachten. Selbst der phantastische „Frankenweenie“ ist, bei genauerem Betrachten, ein Mash-Up, ein Best-Of-Burton und vor allem eine Neuauflage der Anfänge. Die gewollte Kleinstadtidylle, oder besser: Vorort-Hölle, in die auch „Edward mit den Scherenhänden“ gerät, die feiste Dekadenz der Obrigkeiten aus „Sleepy Hollow“ oder „Corpse Bride“, die Anspielungen auf Horror- und Science-Fiction-Klassiker und B-Movies und ein etwas absonderlicher, aber netter Junge mittendrin. Wie Charlie (aus dem Film mit der Schokoladenfabrik) oder wie Vincent, diesmal keine Katze, dafür ein Hund.

Ob sich das Variieren und Verfeinern bekannter Burton-Themen auf lange Sicht halten wird, um ein angemessenes Alterswerk zu schaffen, bleibt abzuwarten. Verdient wäre es alle mal.

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