Enemy, CDN/E 2013 • 90 Min • Regie: Denis Villeneuve • Drehbuch: Javier Gullón • Mit: Jake Gyllenhaal, Mélanie Laurent, Sarah Gadon, Isabella Rossellini, Joshua Peace • Kamera: Nicolas Bolduc • Musik: Danny Bensi & Saunder Jurriaans • FSK: ab 12 Jahren • Verleih: Capelight Pictures • Kinostart: 22.05.2014
Beide Charaktere in Denis Villeneuves „Enemy“ teilen eine verstörende Besessenheit von Spinnen. Doch nicht nur das: Außerdem teilen sie ein identisches Anlitz. Der Film startet mit einem Bang und schließt mit einem Bang. Dazwischen fließt er wie eine hypnotische Masse, die ihr Publikum an extrem finstere Orte mitreisst. Ich bin mir noch nicht sicher wie gut „Enemy“ wirklich ist – sicher bin ich mir jedoch, dass dies ein wirklich interessanter und ungewöhnlicher Leinwandtrip war. Zum Teil David Lynch, zum Teil DePalma, Polanski oder Hitchcock und abgeschmeckt mit den kryptischen Schreckensvisionen eines Franz Kafka. Die Thematik des Doppelgängers ist bereits vor wenigen Jahren sehr erfolgreich in Darren Aronofskys oscarnominiertem „Black Swan“ aufgegriffen worden. Der Kanadier Villeneuve beschäftigt sich in seinem Film jedoch – anders als sein US-Kollege – nicht ausschließlich mit der reinen Gefahr, die von dem Spiegelbild ausgeht, sondern vielmehr auch mit der Faszination und den verbotenen Möglichkeiten, die sich hier auftun. Was wäre, wenn man ganz einfach die Rolle mit einer völlig unbekannten Person tauschen und in deren Privatleben eintauchen könnte? Deren vielleicht abgründigen Geheimnisse erkunden könnte. Sie letztlich sogar in sich verschlingen könnte …
Chaos sei bloß Ordnung, die noch nicht entziffert worden ist – mit diesen Worten wirft uns der Regisseur des zuvor veröffentlichten Thrillers „Prisoners“ in sein undurchsichtiges Szenario. Nach einer mysteriösen Einstiegsszene lernen wir den introvertierten Geschichtsprofessor Adam (Jake Gyllenhaal) kennen, der nach der Empfehlung eines Kollegen eine DVD aus der Videothek leiht und auf dieser zufällig einen Statisten entdeckt, der ihm hundertprozentig ähnlich sieht. Adam stellt nach diesem seltsamen Vorfall weitere Nachforschungen an und stößt so auf den lokalen Schauspieler Anthony, den er von nun an verfolgt und ihn schließlich auch telefonisch kontaktiert. Nach anfänglichem Zögern treffen sich die beiden charakterlich nur zu verschiedenen Männer in einem Hotelzimmer. Was hier genau vorgeht verstehen sie selbst nicht, aber beide fühlen sich von dem Leben und der Frau des Gegenübers (Mélanie Laurent, Sarah Gadon) bereits gefährlich angezogen …
Es ist immer etwas verzwickt über einen Film zu schreiben, den man möglicherweise nicht bis ins Detail verstanden hat. Bei David Lynch besteht dieses Problem nach nahezu jeder neuen, verwirrenden Arbeit. Der Hoffnungsträger Villeneuve ist dem Großmeister allerdings bereits ein aufmerksamer Schüler – hat er doch ebenso gut verstanden dass das, was wir bewusst nicht ergreifen können, in der Regel wesentlich beunruhigender als das klar überschaubare und ausformulierte ist. „Enemy“ ist nun sein eigenes Lehrstück in beklemmender Atmosphäre mit individuellem Style. Während die US-Produktion „Prisoners“ an einem etwas löchrigen Drehbuch und dem überflüssigen Folter-Subplot krankte, gelingt es dem Regisseur nun seine inszenatorischen Stärken voll auszuspielen und, von sich ewig erweiternden Handlungssträngen losgelöst, seine Zuschauer in einer völligen schwarzen Ungewissheit zu ertränken. Wohin diese parallele Reise führt, das ist einem zu Beginn so gar nicht klar und vielleicht fragt man sich das sogar noch wenn der Abspann urplötzlich über die Leinwand flackert. Vielleicht bleibt am Ende eine Angst einfach eine Angst. Vielleicht spiegelt sich in Bildern der Charakter der Protagonisten. Vielleicht muss letztlich das Geheimnis gehütet bleiben, damit die schwarze Kinomagie nicht direkt verpufft.
Es ist übrigens äußerst spannend, den früheren „Donnie Darko“-Star Jake Gyllenhaal nun vermehrt in toughen Rollen (vor „Prisoners“ auch in dem Copthriller „End Of Watch“) zu sehen. Seine Doppelleistung hier ist enorm packend und verleiht der sinistren Architektur eine – wenn auch teils erschreckende – menschliche Seele. Da haben sich ein Schauspieler und ein Regisseur gefunden, auf deren weitere Zusammenarbeiten man gespannt sein darf. Einige werden „Enemy“ als prätentiöses und möglicherweise hohles Schauderstück abtun. Ich behaupte, unter all dem gänzlich unblutigen Horror lauert etwas, das viel gruseliger als sämtliche Poltergeister, Ghule, Zombies oder Kannibalen der Kinolandschaft ist: Die unausgesprochene Angst vor dem Verlust der Identität.