Am dritten Tag beim Fantasy Filmfest 2017 in Köln habe ich es wieder etwas ruhiger angehen lassen und mir im Laufe des Tages tatsächlich sogar eine Weinberg-Wanderung gegönnt. Sonnenlicht wird in den nächsten, deutlich volleren Tagen nämlich Mangelware sein und durch den Schein des Kinoprojektors ersetzt werden.
Leider hat mich keiner der beiden Filme, für die ich dann zum Tagesabschluss nach Köln angereist bin, umgehauen. Doch während das australische Entführungs- und Vergewaltigungsdrama Hounds of Love an sich ein ordentlicher Beitrag war, der lediglich seinen Vorschusslorbeeren nicht ganz gerecht wurde, war The Night of the Virgin ein filmisches Desaster, bei dem ich es mehrfach ernsthaft in Erwägung gezogen habe, den Saal zu verlassen. Weitere Details findet Ihr in aller Ausführlichkeit unten:
Tag 3
Nicht alle Serienkiller sind Einzeltäter. In der grausigen Geschichte von gestörten Mördern findet man immer wieder Fälle von Pärchen vor, die ihre Opfer gemeinsam suchen, entführen, misshandeln und umbringen. Ein bekanntes Beispiel sind Paul Bernardo und Karla Homolka, ein Ehepaar aus Kanada, das für den Tod von mindestens drei jungen Mädchen verantwortlich war. Eine solche Geschichte erzählt auch Ben Youngs beklemmendes, aber auch redundantes Regiedebüt Hounds of Love. Zwar ist dessen Serienkiller-Paar John und Evelyn White fiktiv, es ist jedoch zweifellos an David und Catherine Birnie angelehnt, die in der gleichen westaustralischen Stadt und im etwa gleichen Zeitraum (Perth, Ende der Achtziger) wie im Film ihre Verbrechen begingen.
Als ihr neustes Opfer haben die beiden die 17-jährige Vicki (Ashleigh Cummings) auserkoren, die ihrer zerrütteten Familie durch Partys mit ihrem Freund entflieht. Nach einer solchen Partys wird sie von John (Stephen Curry) und Evelyn (Emma Booth) aufgelesen und mit dem Versprechen von mehr Gras und Alkohol zu den beiden nach Hause gelockt. Dort wird sie unter Drogen gesetzt und ans Bett gefesselt, während die Whites in der einprägsamsten Szene des Films zu Moody Blues' "Nights in White Satin" vor Vickys benebelten Augen leidenschaftlich miteinander tanzen und rummachen. Was darauf folgt, sind sexuelle Misshandlung und Folter des Mädchens, vermischt mit gelegentlichen Fluchtversuchen, der parallelen Suche der (geschiedenen) Eltern nach ihrer Tochter und der steigenden Anspannung zwischen den Entführern, da Evelyn glaubt, John interessiere sich mehr für Vicki als für sie selbst.
In der Eröffnungsszene des Films folgt die Kamera in Zeitlupe jungen Volleyball-Spielerinnen. Es sind Johns lüsterne Augen, durch die die Zuschauer die jungen, verschwitzten Körper sehen. Es ist eine unangenehme Szene, da wir bereits wissen, was mit einem dieser Mädchen später geschehen wird. Doch die dann aufkommende Befürchtung einer voyeuristischen Darstellung der sexuellen Gewalt, bestätigt sich zum Glück nicht. Erstlingsregisseur Ben Young verzichtet auf Geschmacklosigkeiten bei der Inszenierung von Vickis Tortur in den Händen der Whites und überlässt die Gräueltaten weitgehend der Fantasie der Zuschauer. Wir hören Schreie, wir sehen, wie Evelyn später blutige Taschentücher aufsammelt und mehrfach verweilt die Kamera auf einem Dildo in einer Box, doch explizite Darstellungen bleiben uns erspart und das ist auch gut so. Hounds of Love ist nicht I Spit on Your Grave oder Last House on the Left, sondern ein bodenständiges Psychodrama, das sich ebenso sehr mit dem Opfer beschäftigt wie auch mit den Tätern, wobei vor allem Emma Booth als hingebungsvolle und von Unsicherheiten zerrissene Evelyn die beste Performance des Films abliefert.
Das Problem ist, dass Hounds of Love zur Thematik nichts hinzufügt, was wir nicht bereits aus Filmen wie Karla, der einst ebenfalls beim Fantasy Filmfest gezeigt wurde, oder Mum & Dad kennen, sodass sich die Frage stellt, ob wir wirklich einen weiteren bedrückenden Film über ein sadistisches Ehepaar brauchen, das junge Mädchen entführt und foltert. Inszenatorisch zeigt Young Talent und neben Moody Blues sorgen auch gut eingesetzte Songs von Cat Stevens und Joy Division für eine besondere Atmosphäre in dem Film. Die geschmackvolle, zurückhaltende Darstellung von Vickis Qualen ist löblich, doch der Film versucht gleichzeitig auf mehreren Hochzeiten zu tanzen und Themen wie Mutterschaft und Familie unterzubringen, was nur bedingt funktioniert. De Szenenwechsel zu Vickis Eltern und deren verzweifelten Bemühungen, die Polizei davon zu überzeugen, dass ihrer Tochter etwas Schlimmes widerfahren haben muss, rauben der Hauptgeschichte ihren Fluss und ihre Kraft. Letztlich bleibt Hounds of Love ein gut gespielter, gelegentlich unangenehmer und stilbewusst inszenierter Film, der einen emotional jedoch kalt lässt, u.a. weil man das Gefühl hat, diese Geschichte schon etliche Male gesehen zu haben. 3/5
Es ist Silvesternacht in Bilbao und der eher unansehnliche Mittzwanziger Nico (Javier Bódalo) versucht in einer Disco unbeholfen, eine Frau zu finden, die ihn von seinem jungfräulichen Dasein erlöst. Die jungen Dinger wollen vom schlaksigen Kerl mit Überbiss nichts wissen, doch die deutlich ältere, mysteriöse Medea (Miríam Martin) umgarnt ihn stattdessen und schleppt ihn in ihre Wohnung ab. In der Hoffnung auf Sex lässt sich Nico auch nicht von der fragwürdigen Hygiene der Wohnung stören, in der es vor Kakerlaken nur so wimmelt. Schon bald wird das Ungeziefer zu Nicos geringsten Problem, denn seine reife Verführerin hat besondere Pläne für ihn.
Im ersten Drittel des spanischen Beitrags The Night of the Virgin gibt es zwei Szenen, die bezeichnend für den Film und seinen "Genuss" sind. In der ersten betritt unser jungfräulicher Protagonist ein extrem versifftes Badezimmer, wo er einen Kelch mit roter Flüssigkeit vorfindet, die nach Blut aussieht, und tunkt daraufhin ein benutztes (!) Wattestäbchen in die Flüssigkeit, um ihren Geschmack zu untersuchen. Einige Zeit später findet der sexuell frustrierte Nico ein altes Fotoalbum mit nackten Bildern seiner Gastgeberin und fängt prompt an zu masturbieren, nur um versehentlich auf die Babyfotos im Album zu ejakulieren. Entsprechen solche Momente Eurem Humorverständnis, dann verschwendet keine Zeit, wenn The Night of the Virgin am 17. November hierzulande von Pierrot le Fou auf DVD und Blu-ray veröffentlicht wird. Ich bezweifle auch nicht, dass der Film seine Anhänger finden wird, schließlich bemüht er sich auch sehr darum, möglichst herauszustechen. Alle anderen sind besser damit beraten, zwei Stunden ihrer Lebenszeit anders zu verbringen.
Damit komme ich gleich zu einem weiteren Problem des Films, denn Regiedebütant Robert San Sebastián begeht die Kardinalsünde, nicht zu wissen, wann es wirklich genug ist. Getreu dem Motto "mehr ist mehr", ist The Night of the Virgin eine filmgewordene Kotztüte, deren Körperflüssigkeiten-Orgie sich geschlagene 116 Minuten lang über die Leinwand ergießt (einschließlich einer Abspannszene). Ich habe nichts gegen Filme, die gerne provozieren und auch nicht gegen Filme, die Ekel in den Zuschauern hervorrufen wollen (Peter Jacksons Braindead ist einer meiner Favoriten), doch wenn Provokation durch endlos lange Ekel-Exzesse zum Selbstzweck verkommt, dann verliert mich der Film recht schnell. The Night of the Virgin mag irgendwo eine Aussage über Geschlechterverhältnisse und schwanzgesteuerte Männer beinhalten, die bei der Aussicht auf Sex jegliche Vernunft über Bord werfen, doch diese wird in einem abstumpfenden Ozean aus Kotze, Sperma, Blut und Fäkalien ertränkt, sodass der Streifen seine erwünschte Wirkung verfehlt. Erstmals seit dem unerträglichen Rachefilm Revenge for Jolly! beim Fantasy Filmfest vor vier Jahren habe ich mehrfach ernsthaft in Erwägung gezogen, den Kinosaal vorzeitig zu verlassen. 0,5/5
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Nach einer doch recht schwachen Ausbeute am dritten Tag setze ich große Hoffnungen in die vier Filme, die am nächsten Tag anstehen, darunter das diesjährige melancholische Centerpiece Sicilian Ghost Story, der Ozploitation-Backwoods-Shocker Killing Ground und der Hongkonger Actionreißer Shock Wave mit Andy Lau. Schaut wieder rein.
Bisherige Ausgaben:
Tag 1 (Es, The Mermaid)
Tag 2 (Trench 11, The Autopsy of Jane Doe, Raw, Rendel)