Auf dem Fantasy Filmfest bin ich eigentlich allen Genres gegenüber offen und bin auch froh, dass hier nicht alles aus der Horror- und Sci-Fi-Ecke kommt. Doch als langjähriger Horrorfan freue ich mich zumindest im Vorfeld insgeheim doch am meisten auf Beiträge aus dem Bereich des wohligen Grusels, an denen es in der Regel auch selten mangelt. Nichtsdestotrotz ist es schon sechs Jahre her, dass mein jeweiliger FFF-Favorit dem Horrorgenre zuzuordnen war. Zuletzt war das bei So finster die Nacht der Fall und auch jener Film ist nur bedingt ein reinrassiger Horrorstreifen. Stattdessen waren es Filme wie Hesher, Big Bad Wolves oder Killer Joe, die mich in vergangenen Jahren wider Erwarten mit dem positivsten Eindruck zurückließen. Dieses Jahr könnte sich das ändern, denn bereits am vierten Tag des Fantasy Filmfests 2014 in Köln habe ich ein absolutes Highlight gesehen – einen Horrorfilm in seiner reinen, abgespeckten, schnörkellosen Form. It Follows ist für mich nicht nur die Überraschung des Jahres schlechthin, sondern auch der erste FFF-Film seit Jahren, der mich wahrhaftig gegruselt hat. Aber auch die beiden anderen Filme am vierten (und bisher besten) Tag waren nicht zu verachten. 13 Sins setzte auf komplexe moralische Fragen, verpackt in eine spannende, temporeiche Story und der irische Let Us Prey kam zwar teilweise etwas albern und mächtig übertrieben daher, ließ aber das Blut fließen, wie noch kein anderer Film dieses Jahr.
TAG 4
Würdet Ihr für $1,000 eine Fliege töten? Würdet Ihr für das Dreifache diese Fliege essen? Und für wie viel Geld würdet Ihr jemandem mit dem Stuhl einen über den Kopf ziehen? Diese und andere ähnliche Fragen stellt an den Zuschauer Daniel Stamms erster Film nach seinem Horrordrama Der letzte Exorzismus, der vor vier Jahren das FFF-Publikum gespalten hat. Wer sich bei den obigen Fragen aber an das letztjährige Highlight Cheap Thrills erinnert fühlt – dort hat 13 Sins nicht abgekupfert. Originell ist die Idee aber auch nicht, denn der Film ist ein Remake des schwarzhumorigen thailändischen Psychothrillers 13: Game of Death aus dem Jahre 2006. Elliot Brindle (Mark Webber) ist ein netter Kerl, mit dem das Leben es einfach nicht gut meint. Mit einer schwangeren Verlobten ("True Blood"-Star Rutina Wesley), einem pflegebedürftigen autistischen Bruder und einem verbitterten, rassistischen Vater trägt er eine große Last im Leben und wird dann auch noch kurz vor seiner Hochzeit von seinem skrupellosen Chef gefeuert. Gerade als der Schuldenberg droht, über ihm zusammenzubrechen, bekommt er einen mysteriösen Anruf, der ihn als einen Kandidaten für ein besonderes Spiel benennt. Für eine Geldsumme in Millionenhöhe, soll er 13 Herausforderungen bewältigen. Scheitert er jedoch an irgendeiner davon, bekommt er nichts. Zunächst muss er eine Fliege töten… Doch sehr schnell wird die Grenze von harmlosen Streichen zu moralisch nicht vertretbaren Handlungen überschritten. An Aussteigen ist jedoch nicht zu denken, Elliot ist bereits zu tief drin…
Wäre 13 Sins kein Remake, wäre die Idee des Films trotzdem nicht neu gewesen. Häufig haben Filme schon gefragt, wie weit in Mensch für Geld gehen würde. Dabei ist Geld nur eine Anfangsmotivation für Elliot. Später handelt er, weil er in seinem bislang unspektakulär verlaufenen Leben endlich das Gefühl hat, am längeren Hebel zu sein. Endlich nimmt er sein Leben in seine eigene Hand. Zu spät merkt er jedoch, dass es lediglich eine Illusion ist und dann muss das Spiel gespielt werden, weil bereits zu viel geopfert wurde und der Weg zurück keine Frage ist. Ein wichtiger Grund, weshalb das Ganze funktioniert, ist Mark Webbers extrem sympathische Performance als ein durchschnittlicher Jedermann, der einmal in seinem Leben wirklich etwas erreichen will. Deshalb bleiben die Sympathien der Zuschauer stets an seiner Seite, auch wenn er immer tiefer in den Abgrund zu versinken droht. Man fühlt, fiebert und leidet mit ihm mit. Durch die Struktur des Films aus verschiedenen Herausforderungen, wirkt der Streifen zum Teil etwas episodenhaft. Das sorgt aber auch für ein beständiges Tempo und man ist immer gespannt darauf, herauszufinden, was für Elliot als nächstes ansteht.
Der letzte Akt hinterlässt jedoch etwas gemischte Gefühle, da die Idee der absoluten Allmacht der "Spielmacher" dann doch zu sehr an der Glaubwürdigkeit zehrt. Der "Occupy Wall Street"-Gedanke, das 1% über die 99% herrscht, wird hier interessant verarbeitet, doch verlässt man die metaphorische Ebene, vermag die Logik hinten und vorne nicht mehr ganz zu funktionieren. Auch das Ende ist zwar als offen angedacht, verlässt die Zuschauer aber mit einem deutlich positiveren Gefühl, als der Film es eigentlich verdient hätte angesichts des Horrors, den die Hauptfigur durchleben musste. 3,5/5
Sex ist eine schöne Sache, birgt aber auch viele Gefahren – Geschlechtskrankheiten, ungewollte Schwangerschaften und, wie man spätestens in Scream erklärt bekommen hat, den vorzeitgen Tod durch einen maskierten Meuchelmörder. Als wäre das nicht schon genug, kommt mit It Follows ein Film, dessen Sichtung unter Teenagern für mehr sexuelle Abstinenz sorgen könnte als alle Warnungen der Eltern. Einfach zusammengefasst: es geht um einen sexuell übertragbaren Fluch. Die junge Jay (Maika Monroe) geht mit ihrem Schwarm Hugh aus und trotz teilweise seltsamen Verhaltens seinerseits, lässt sie sich von ihm verführen. Was sie von ihm einfängt, ist viel schlimmer als Herpes oder Tripper. Bevor Hugh von dannen zieht, erklärt er ihr, dass er einen Fluch an sie weitergegeben hat. Etwas, ein Wesen – ob Geist oder Dämon oder sonstwas wird nie geklärt – wird ihr jetzt folgen. Es kann die Gestalt von einer bekannten Person oder von einer wildfremden Person annehmen. Dieses Wesen geht immer schnurstracks auf die betroffene Person zu und falls es sie einholt, erwartet das Opfer ein grausamer Tod. Wie grausam, führt der Film in seiner äußerst unheimlichen Eröffnungsszene vor die Augen, deren finales Bild sich in die Köpfe der Zuschauer einbrennt. Man kann dem Wesen zwar davonlaufen – es bewegt sich recht langsam – doch man kann es nie aufhalten und früher oder später findet es einen. Und tatsächlich wird Jay schon bald von fremden Menschen verfolgt, mal von einer nackten Frau, mal von einem riesenhaften Mann, mal von einer Oma… Nach etwas Überzeugungsarbeit glaubt auch Jays eingeschworene Freundesclique ihr. Doch was tun, wenn die Gefahr überall lauern kann?
Ein Dämon-Tripper. Klingt irgendwie lächerlich, ist aber alles andere als das. It Follows sollte bei den Genrefans den Glauben an gute Horrorfilme wiederherstellen. Es gibt sie wirklich noch, wahrhaftig gruselige Filme, die einen auch nach der Vorstellung begleiten, wenn man nachts auf leeren Straßen auf dem Nachhauseweg sich befindet. It Follows ist ein solcher Film und der Titel könnte kaum zutreffender sein. Auch 24 Stunden nach der Vorführung folgen mir die zutiefst verstörende Atmosphäre und der simple und doch so effektive Horror. Man stelle sich The Ring vor, mit Sex anstelle von einer Videokassette. Sicherlich steckt in dem Film unter der Oberfläche auch eine Metapher für Geschlechtskrankheiten, die einem das Leben kosten können, doch ich war ehrlich gesagt während des Films zu sehr damit beschäftigt, Angst zu haben, als dass ich mir wirklich Gedanken über die weiterführende Thematik machen konnte.
Regisseur David Robert Mitchell, dessen einzige Regiearbeit zuvor die Teenager-Dramödie The Myth of the American Sleepover war, erweist sich als ein außerordentliches Talent, auf den man ab jetzt auf jeden Fall ein Auge haben sollte. Mit einfachsten Mitteln erzeugt er höchste, beinahe unerträgliche Spannung, die sich manchmal in Erleichterung und manchmal in einem heftigen Schockmoment entlädt. Dabei bleibt der Film fast komplett humorfrei und verzichtet auf die heutzutage so beliebten Selbstreferenzen oder augenzwinkernde Momente. Die Ernsthaftigkeit zahlt sich aus. Wer hätte gedacht, dass es so gruselig sein kann, wenn eine Person gerade auf eine andere zugeht? Es ist aber verdammt gruselig. Bevor hier aber jemand meint, ich würde mit dem "gruselig"-Begriff leichtfertig umgehen – It Follows ist der erste Film seit etwa drei Jahren, der mir wirklich Angst eingejagt hat und hat damit sogar umjubelten Streifen wie Conjuring – Die Heimsuchung oder Sinister etwas voraus. Dabei schafft der Film das ganz ohne Effekthascherei, ohne Dämonenfratzen und ohne vorgetäuschte Schreckszenen. Es liegt alles in der Einfachheit. Lange statische Einstellungen auf die Protagonistin, während welcher man als Zuschauer die ganze Zeit den Hintergrund nach einer potenziellen Gefahr absucht. Szenen von Unbeschwertheit, während derer man ganz genau weiß, dass es lediglich die Ruhe vor dem Sturm ist. Abgerundet wird der Film durch ein hervorragend eingespieltes junges Ensemble, dem man sofort die enge Freundschaft abkauft und durch einen Retro-Vibe, der den Film zeitlos erscheinen lässt. Der Film verneigt sich vor dem Genre, insbesondere in den achtziger Jahren, geht jedoch nie so weit, auf ganz bestimmte Filme anzuspielen und setzt stattdessen (u. a. mit seiner Musik) auf eine ähnliche Stimmung. Die Macher kommen auch nie in Versuchung, die Ursprünge des Fluchs oder des Wesens zu erklären und das ist auch gut so. Dadurch bleibt die Bedrohung immer unnahbar, undurchdringbar und unheimlich.
Im finalen Akt stolpert der Film ein wenig, fällt aber zum Glück nie und fängt sich mit einem nahezu perfekten Ende, das wahrscheinlich einige Zuschauer frustrieren wird, meiner Meinung nach aber absolut passend ist. It Follows ist nicht nur das absolute bisherige Highlight des Festivals, es ist auch einer der besten Filme des Jahres und der beste ernsthafte Horrorfilm seit einigen Jahren. 4,5/5
Der biblische Zorn kommt in eine gottverlassene Provinzstadt in dieser irisch-schottischen Ko-Produktion. Der ausgezeichnete britische Charakterdarsteller Liam Cunningham ("Game of Thrones") spielt einen mysteriösen, schweigsamen Fremden, der eines Abends in die Polizeiwache dieser Stadt hereinspaziert und sich ohne einen wirklichen Grund in einer Zelle einsperren lässt. Doch für ihn ist das erst der Anfang. Er dringt in die dunkelsten Ecken der Gedanken und Seelen seiner Mitmenschen ein – zunächst in die seiner Mitgefangenen und später in die der Polizisten, die auch allesamt düstere Geheimnisse zu verbergen haben. Wie Marionetten spielt er alle gegeneinander aus. Vor Mitternacht wird seine Arbeit getan sein, verkündet er. Seine Gegenspielerin ist die junge Polizisten Rachel (Pollyanna McIntosh) an ihrem allerersten Arbeitstag. Sie steht als einzige nicht unter dem Einfluss des namenlosen Fremden.
Let Us Prey ist ein astreines B-Movie und der erste Film des diesjährigen Fantasy Filmfests, bei dem ich mir vorstellen kann, dass die FSK sich gegen eine Freigabe sträuben wird. Wer den Filmtrailer gesehen hat, weiß, dass der Streifen nichts für Zartbesaitete ist. Blut fließt hier wirklich literweise und während manche Gewaltszenen zu comichaft und Over-the-Top daherkommen, um wirklich Eindruck zu hinterlassen, gehen einige andere unter die Haut. Wie bei einer Zwiebel wird Schicht um Schicht die oberflächliche Normalität der Figuren im Film abgetragen, bis sich darunter immer mehr finstere Abgründe auftun – wobei hier die Polizisten noch mehr zu verbergen haben als die Verbrecher. Liam Cunningham ist der Richter und die Jury, doch den Henker dürfen die Figuren selbst spielen. Der Film erinnert teilweise stark an Stephen Kings TV-Miniserie "Der Sturm der Jahrhunderts", vermischt mit leichten Anklängen von John Carpenters Assault – Anschlag bei Nacht. Cunningham überzeugt durch seine leise bedrohliche und extrem charismatische Performance und Pollyanna McIntosh, den FFF-Fans bestens aus The Woman und Love Eternal bekannt, macht in der starken Frauenrolle eine gute Figur. In Erinnerung bleiben auch die tolle Kamera und die wunderschönen Landschaften, die am Anfang des Films die unheilvolle Atmosphäre perfekt etablieren, bevor der Großteil der Handlung dann doch leider auf engem Raum in der Polizeiwache stattfindet.
Je mehr Missetaten der Beteiligten im Laufe des Films offenbart werden, desto überzeichneter wirkt allerdings der Streifen. Wenn McIntoshs Figur irgendwann schreit "What the fuck is wrong with this town?", konnte ich nur noch zustimmend nicken, denn eine solche Ansammlung an Mördern, Wahnsinnigen, kranken Perversen und rücksichtslosen Arschlöchern ist reichlich übertrieben und hat bestenfalls symbolischen Charakter. Auch bedeutungsschwangere Dialoge und dick aufgetragene Bibelzitate sorgen im Verlauf des Films immer mehr für rollende Augen. Das ziemlich wahnsinnige Finale lässt aber Vieles vergeben. 3,5/5
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Ein vielversprechender Tag erwartet mich auch morgen. Auf dem Plan stehen: Pierce Brosnan in seiner ersten Actionrolle seit James Bond (The November Man), der neue Film des französischen Horror-Duos Julien Maury und Alexandre Bustillo (Among the Living) und das diesjährige Centerpiece des FFF, eine neuseeländische Mockumentary über eine Vampir-WG (What We Do in the Shadows), die den humoristischen Höhepunkt des Fantasy Filmfests darstellen dürfte.