"Jetzt geht’s los, jetzt geht’s los…"
Kein großes Fußballereignis war der Auslöser dafür, dass mir diese Zeile gestern Abend im Kopf summte, sondern die Rückkehr meiner alljährlichen Tradition – das Fantasy Filmfest ist wieder einmal in Köln angekommen. Wer meine Berichte vom Fantasy Filmfest in den letzten Jahren mitverfolgt hat, weiß mittlerweile, dass die Liebesaffäre zwischen mir und dem FFF mittlerweile über ein Jahrzehnt zurückreicht – seit ich als frischgebackener 18-Jähriger 2004 erstmals dabei sein durfte (mit Saw als meinem Einstiegsfilm – noch lange bevor irgendjemandem überhaupt klar war, zu was für einem Genrephänomen Saw sich entwickeln würde) habe ich keine einzige Ausgabe des Fantasy Filmfests verpasst. Es ist die Zeit, in der ich mich vom sozialen Leben gänzlich verabschiede, das Licht des Filmprojektors dem Sonnenschein vorziehe, praktisch im Kino lebe (Kaffee und Energy Drinks sei dank!) und in die skurrile, abgefahrene, mal gruselige, mal urkomische und mal einfach faszinierende Welt der Filme eintauche, die die Veranstalter des Fantasy Filmfests für die Zuschauer sorgfältig ausgesucht haben. Fast 300 Filme habe ich seit 2004 beim Fantasy Filmfest gesehen – von den bescheidenen Anfängen mit drei Filmen im ersten Jahr bis zum neuen Rekord von 40 Filmen im letzten. Nicht alle Filme davon waren Highlights, Meisterwerke oder gar gut. Manche waren sogar ausgesprochen schlecht und doch gehören auch diese "Gurken" ebenso zu dem Festival, wie auch die Filme, die die Zeit überdauern werden. Denn so ungerne man manchmal auf so einen missglückten Film reinfällt, man würde es als Dauergast sicherlich auch irgendwie vermissen, wenn es nicht jedes Jahr einige Filme gäbe, über die man schön herziehen kann. Letztlich ist es aber natürlich – wie immer – Geschmacksfrage.
Damit sich nicht zu sehr die Routine einschleicht, muss man gelegentlich die Dinge aufrütteln, auch wenn es nicht jedem einzelnen anfangs schmeckt, und so hielt auch das Fantasy Filmfest in Köln einige Neuerungen für die Besucher bereit. Die größte davon war wiederum eine Rückkehr zum Alten: nach zehn Jahren im Cinedom kehrte das Fantasy Filmfest ins Residenz-Kino am Ring zurück, wo ich mein allererstes Fantasy Filmfest ebenfalls erleben durfte. Seitdem hat sich dort natürlich so einiges geändert und aus dem leicht schmuddeligen Arthouse-Kino ohne Klimaanlage ist mittlerweile die ASTOR Film Lounge geworden, das luxuriöseste Kino in Köln und Umgebung – üppige Ledersessel mit verstellbarer Rückenlehne, Fußhocker für die Sessel in der Loge, State-of-the-Art Bild und Ton und ein Ambiente, das an die großen Filmpaläste aus vergangenen Tagen erinnert. Der Umzug brachte aber auch einige Besonderheiten und gelegentliche Nachteile mit sich – so gibt es in Köln nun erstmals Platzkarten, die Dauerkarten-Inhaber haben für sie fest reservierte Reihen, die Einzeltickets kosten entsprechend dem Luxus noch mehr als zuvor (aber dennoch weniger als reguläre Tickets für dieses Kino) und insgesamt ist der Saal auch um einiges kleiner als im Cinedom, sodass die Wahrscheinlichkeit einer ausverkauften Vorstellung deutlich höher ist – so war der Eröffnungsfilm Kill Your Friends gestern der erste ausverkaufte Opening-Night-Film des Festivals seit langer Zeit.
Doch eine Sache hat sich auch jetzt nicht verändert – de Festivalatmosphäre, die ich verspüre, wenn ich in einem Saal voll mit Gleichgesinnten sitze, die alle gespannt darauf warten, wie der diesjährige Opener – zu dem es bislang noch nicht einmal einen Trailer gibt, weil er auf dem Fantasy Filmfest seine Weltpremiere feiert – im Vergleich zu den vorherigen abschneiden wird. The Congress und The Rover hinterließen als Eröffnungsfilme viele gemischte Meinungen in den letzten Jahren und man muss tatsächlich bis Don’t Be Afraid of the Dark im Jahre 2011 zurückgehen, um den letzten FFF-Opener mit horrorlastiger bzw. übernatürlicher Thematik zu finden – etwas, was in den Jahren davor viel üblicher war. Auch der diesjährige Kill Your Friends ist nicht zwingend ein Film, den man als "klassischen" Fantasy-Filmfest-Eröffnungsfilm bezeichnen würde, doch was am Ende zählt, ist schlicht, ob es ein guter Film ist. Viele der besten Filme von den letztjährigen Festivals waren keineswegs typische FFF-Filme (siehe Hesher, Killer Joe oder Four Lions). Von der Festivalleitung wurde Kill Your Friends im Vorfeld in den höchsten Tönen gelobt, sodass die Erwartungen schon recht weit oben angesiedelt waren.
Wie ich ihn und den daraufhin gezeigten, deutlich "typischeren" FFF-Vertreter The Hallow fand, verrate ich unten im Auftakt meines Fantasy Filmfest Tagebuchs. In den nächsten Tagen lade ich Euch alle dazu ein, mir auf diese Reise durch das vielfältige Angebot des Fantasy Filmfests 2015 zu folgen. Ich werde vom Guten und vom Schlechten, vom Gruseligen und vom Lustigen, vom Ekligen und vom Bezaubernden berichten und hoffentlich wird sich jeder den einen oder anderen Filmtipp am Ende meiner FFF2015-Odyssee merken und ich werde mit Sicherheit neue Filme auf meiner Liste haben, durch die ich meine Heimkino-Sammlung künftig bereichern werde.
Jetzt’s geht’s los!
TAG 1
In Kill Your Friends wandelt Nicholas Hoult, einst der schräge Junge an Hugh Grants Seite in About a Boy und kürzlich als X-Man Beast im Kino zu sehen, auf den Spuren von Jean Dujardin, James McAvoy und Christian Bale und stürzt sich in eine koks- und alkoholdurchtränkte Tour-de-Force-Performance, die dem Schauspieler, wie auch seinen genannten Vorgängern, die bislang größte Anerkennung seiner Karriere bringen sollte. Die drei angeführten Namen sind nicht zufällig, denn in den Filmen 39,90, Drecksau und American Psycho spielten sie nicht unähnlich angelegte, psychisch labile und ständig berauschte Figuren. Gerade Jan Kouens Adaption von Frédéric Beigbeders Roman "39,90" und Mary Harrons Brett Easton Ellis-Verfilmung American Psycho schwirren einem die ganze Zeit als Déjà-Vus im Kopf herum, wenn man sich Kill Your Friends, das Spielfilmdebüt des TV-Regisseurs Owen Harris anschaut. Warf der erste Film einen Blick auf die unmoralischen Drogen- und Sexexzesse der Werbeleute und tauchte der andere ins Haifischbecken der oberflächlichen Wall-Street-Yuppies der Achtziger ein, führt Kill Your Friends, den Bestsellerautor John Niven nach seinem eigenen Roman adaptierte, den Zuschauer hinter die Kulissen der nicht minder oberflächlichen, geldgeilen, zugedröhnten und skrupellosen Musikindustrie der späten Neunziger in Großbritannien – wobei es mich wundern würde, wenn sich bis heute sonderlich viel verändert hat (möglicherweise mit der Ausnahme der Trenddrogen). Unser Protagonist ist Steven Stelfox (Nicholas Hoult), ein Star in der A&R-Abteilung eines Plattenlabels. A&R steht für Artists and Repertoire und das sind die Leute, die dafür verantwortlich sind, neue Talente und Songhits für das Label zu entdecken und an Bord zu holen. Wie Steven es in seinem zynischen Voiceover klarstellt, zählen hier aber weder Talent noch Kunst, sondern nur, was sich an den dummen Massenkonsumenten am leichtesten verkaufen lässt. Steven hat Ambitionen. Eigentlich vor allem eine – er will der Leiter der A&R-Abteilung werden und dafür ist er bereit, über Leichen zu gehen.
Kill Your Friends schlägt in den ersten Minuten ein wie eine Bombe und macht sehr schnell klar, dass das die Nicholas-Hoult-Show ist. Hoult, der bislang vor allem nette Kerle spielen durfte und sich dieses Jahr bereits in Mad Max: Fury Road von einer überraschend anderen Seite zeigte, schlägt sich in der Rolle blendend. Steven ist ein Arschloch und ein Soziopath, doch wenn er aus dem Off über die Musikindustrie, seinen Job oder den Massengeschmack herzieht, kann man ihm schwer widersprechen. Koksend, saufend, fluchend, intrigierend, manipulierend und auf seinen Kollegen buchstäblich urinierend fegt Hoult wie ein Tornado durch die frühen Szenen des Films und nimmt keine Gefangenen. Ein ganz besonderes Highlight stellt auch der Kurzauftritt von Moritz Bleibtreu als ausgelassener deutscher Musikproduzent Rudi dar, der ein eigenes Spin-Off verdient hat.
Das alles ist sehr unterhaltsam anzusehen und die Britpop-Sounds betten den Film wundervoll in seine Ära ein, doch nach diesem grandiosen Einsteig und der furiosen Vorstellung von Stevens Welt baut der Film merklich ab und verlangsamt beträchtlich das Tempo. Neue Einfälle oder wirkliche Überraschungen liefert er nicht, sondern wandelt auf üblichen Pfaden. Letztlich ist Stevens Welt nicht anders als Octave Parangos in 39,90 oder Partrick Batemans in American Psycho. Es geht nur um Drogen, Spaß, Sex, Eskapaden, Erfolg, Angeberei und alle zwischenmenschlichen Kontakte bleiben im höchsten Maße unpersönlich (der Titel Kill Your Friends ist auch ironisch zu nehmen, denn Freunde hat Steven keine und er will auch keine). So gut Hoult in der Rolle auch ist, an Dujardins und Bales umwerfende Darbietungen kommt er nicht ganz heran, und während die anderen beiden Filme ihren Biss bis zum Ende beibehalten, schleicht sich bei Kill Your Friends etwas Langatmigkeit ein. Nicht dass es dann in irgendeiner Weise schlecht wird, doch man kann gut absehen, wohin Stevens Weg ihn führt und was auf diesem Weg vermutlich geschehen wird. Die Pointen bleiben bis zum Schluss treffsicher, doch die Macher haben sich auch eine leichte Zielscheibe ausgesucht. Dass die Musikbranche mit Halsabschneidern bevölkert ist, dürfte eigentlich keine wirklich neue Erkenntnis sein und Figuren wie Steven und seine Geschichte kann man eigentlich überall ansiedeln, wo es um sehr viel Geld geht. Letztlich war Kill Your Friends ein ordentlicher Einstieg ins FFF, nicht unähnlich The Rover aus dem Vorjahr, doch am Ende des Festivals wird es kaum der erinnerungswürdigste Film des Festivals sein. 3,5/5
Die irische Folklore, die von Elfen, Feen, Leprechauns und Naturgeistern handelt, zusammenfassend als "das gute Volk" bezeichnet, übt schon lange ihre Faszination auf Filmemacher und Buchautoren aus. Es ist eine ganz besondere, wohlig-schaurige, mythische Welt und sie brachte mit dem Leprechaun in den Neunzigern eins der besten B-Movie-Horrormonster hervor. The Hallow schlägt in die gleiche Kerbe (wobei deutlich weniger trashig) und macht das größtenteils auch ziemlich gut. Dabei wählt der Film aber einen ungewöhnlichen und dafür sehr interessanten Ansatz aus, bei dem Gruselmärchen, Mythen und Legenden auf gelungene Art und Weise mit der Wissenschaft vermischt werden – und eine kleine Prise an Gesellschaftskritik, die angesichts von Griechenlands Staatspleite aktueller nicht sein könnte, darf auch nicht fehlen.
Joseph Mawle spielt in Corin Hardys atmosphärischem Regiedebüt Adam, einen "Baumdoktor", der als Umweltexperte im Rahmen eines Forschungsauftrags mit seiner jungen Ehefrau Clare (Bojana Novakovic) und ihrem Baby aufs irische Land zieht, wo die Einheimischen ihnen alles andere als freundlich gesinnt sind und sie vor mythischen Kreaturen im Wald warnen, in dessen Lebensraum Adam angeblich eindringt. Spätestens seit American Werewolf in London sollte man eigentlich wissen, dass man auf die Warnungen von finster dreinblickenden Einheimischen besser hören sollte. Auch Adams Entdeckung von einem aggressiven, ekligen Pilz macht die Gegend nicht gerade angenehm, doch er ist da, um einen Job zu tun. Nicht lange dauert es, bis die Ereignisse eskalieren – doch sind es die Einheimischen, die die "Eindringlinge" vertreiben wollen, oder etwas Übernatürliches aus dem Wald?
Jeder Genrekenner kennt natürlich die Antwort auf diese Frage und bei The Hallow haben wir es mit einem Vollblut-Horrorfilm mit sehr gelungenen Creature-Feature-Effekten zu tun, bei denen zum Glück auf den Einsatz unnötiger Computereffekte verzichtet wurde. Die Inszenierung ist sehr schnörkellos, dicht und auch wenn der Film nicht so gruselig ist, wie er gerne wäre, mangelt es ihm nie an Atmosphäre. Die Herangehensweise an irische Volkssagen ist hier sehr originell – sie erweist der Folklore Respekt und nimmt dennoch einen modernen, wissenschaftlichen Ansatz, ohne dass beide Elemente sich widersprechen. Leider lässt sich der Film trotz seiner durchaus originellen Ideen viel zu häufig zu Genrekonventionen verleiten, wenn er den Zuschauer erschrecken möchte. Die Jump Scares wirken dadurch meist erzwungen, vorausschaubar und in einem besonderen Fall am Ende schlicht überflüssig und wie aus einem anderen, "billigeren" Film. Zum Glück sind diese plötzlichen Schreckmomente hier nicht inflationär eingesetzt und wenn der Film bei seinen sympathischen Charakteren bleibt und ein wenig der irischen Mythologie auf den Grund geht, entfaltet sich seine eigentliche Stärke. Für Regisseur Corin Hardy, der einst der Regiekandidat für das Remake von The Crow war, ist es kein perfektes Debüt, aber dennoch ein sehr beachtlicher Genre-Einstand, nach dem man ihn auf jeden Fall im Auge behalten sollte.
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In der morgigen Ausgabe unseres Fantasy Filmfest Tagebuchs 2015 erwarten Euch meine Meinungen zu Bite, der Ekel-Hommage an Cronenbergs Body-Horror Die Fliege, dem Tierhorror The Pack und dem Zombiedrama Maggie, in dem Arnold Schwarzenegger die dramatischste Schauspielleistung seiner Karriere abliefern soll. Könnte sich darunter bereits eins der ersten Highlights des Festivals verbergen?