Liebe Filmfutter-Fans,
leider fand die Durststrecke an guten Filmen auch am achten Tag des Fantasy Filmfests 2015 in Köln kein Ende. Nachdem das Festival in der ersten Hälfte noch so gut angefangen hat, konnte mich in den letzten drei Tagen eigentlich nur ein Film wirklich begeistern. Dabei hatten die Filme an Tag 8 durchaus Potenzial und hätten dabei kaum unterschiedlicher sein können. Es begann mit einer in den Kontext eines Genrefilms eingebetteten Coming-of-Age-Geschichte über zwei Jugendliche, die über ungewöhnliche Kräfte verfügen; danach gab es den jährlichen FFF-Mindfuck-Film und zum Abschluss heulten Werwölfe wieder den Vollmond an. Immerhin der letzte (und konventionellste) Beitrag des Tages war halbwegs sehenswert und immerhin eine Verbesserung gegenüber den zwei Werwolffilmen aus dem letzten Fantasy-Filmfest-Jahrgang. Die ersten beiden Filme versprachen dafür anfangs viel und hielten wenig davon ein. Ausführlicher gibt es meine Meinung unten nachzulesen:
TAG 8
Schon häufiger haben Filmemacher Genrefilme als Projektionsflächen genutzt, um klassische Coming-of-Age-Geschichten zu erzählen. Dabei sind auch einige echte Perlen entstanden, allen voran Ginger Snaps und So finster die Nacht, die auch beim Fantasy Filmfest liefen. Auch meinen FFF-Favoriten aus dem Vorjahr, It Follows, kann man vermutlich zu der Kategorie dazuzählen. Die besonders erfolgreichen Vertreter dieses kleinen Subgenres zeichnen sich dadurch aus, dass die Coming-of-Age-Geschichte nie auf Kosten der Horrorelemente geht, sondern dass beide Themen eine perfekte Symbiose miteinander eingehen. Um eine solche Verschmelzung bemüht sich auch der diesjährige Beitrag One & Two, erreicht sie aber nie. Der Film handelt von den Geschwistern Zac (Timothée Chalamet) und Eva (Kiernan Shipka), die ein sehr simples Leben auf einer abgeschiedenen Farm mit ihren Eltern (Grant Bowler und Elizabeth Reaser) führen. Die beiden verfügen über eine unerklärliche Fähigkeit: wenn sie sich konzentrieren, können sie sich meterweit teleportieren (man denke an Nightcrawler aus X-Men 2 oder den Film Jumper, jedoch mit deutlich geringerer Wirkungskraft). Dem gottesfürchtigen Vater ist diese Fähigkeit ein Dorn im Auge. Mit einer hohen Holzwand schirmt er seine Familie von der Außenwelt ab – angeblich zu ihrem Schutz. Doch besonders Eva kann diese Isolation und den Zwang, ihre Kräfte zu verbergen, kaum noch ertragen. Wenn die seltsamen Anfälle ihrer zurückhaltenden Mutter zunehmen, eskaliert langsam aber sicher die Situation…
Die Ausgangssituation ist zugegebenermaßen interessant und alle vier Darsteller des Films, insbesondere die beiden Jugendlichen, leisten tolle Arbeit in den Rollen. Doch nach einem interessanten Aufbau verläuft der Film ins Nichts. Das Problem dabei ist, dass die Superkraft der Geschwister zunehmend eine untergeordnete Rolle spielt, sodass man sich irgendwann fragt, wieso man sich überhaupt ausgerechnet für diese entschieden hat. Man erfährt weder etwas über den Ursprung noch über die Regeln, nach denen diese Teleportation funktioniert und irgendwie ist es auch für den Film nicht wichtig, doch die Coming-of-Age-Geschichte für sich genommen ist einfach nicht fesselnd genug. Was dabei herauskommt ist weder Fleisch noch Fisch, sondern eine vergebene Chance. 2/5
Der obligatorische Mindfuck-Film des diesjährigen Fantasy Filmfests heißt Observance. Lindsay Farris spielt darin den Privatdetektiv Parker, dessen Leben droht, aus dem Ruder zu laufen. Sein Sohn ist kürzlich verstorben, seine Ehe ist nah am Scheitern und überfällige Krankenhausrechnungen stapeln sich. Um diese zu begleichen, verzichtet er auf die Trauerphase und nimmt einen neuen Auftrag an. Von einem schäbigen, langsam verfallenden Haus aus, soll er eine junge Frau (Stephanie King) in ihrer Wohnung beobachten, ihre Telefonate abhören und alle ihre Bewegungen dokumentieren. Doch etwas stimmt nicht. Das Haus um ihn herum scheint ein Eigenleben zu führen, sein mysteriöser Auftraggeber zwingt ihn gegen seinen Willen, die Beobachtung fortzusetzen, und Parker leidet zunehmend an schrecklichen Halluzinationen – oder sind es vielleicht reale Visionen?
Das Problem des Films ist, dass mir die Antwort auf diese Frage irgendwann einfach egal wurde. Ich habe durchaus meinen Spaß an Filmen, die man entweder auf metaphorischer oder auf handfester Ebene nachträglich entwirren kann oder über die man noch lange nachdenkt. Gerne dürfen diese Filme auch keine endgültige und genaue Auflösung haben. Enemy, Donnie Darko, Coherence und Under the Skin sind allesamt solche Filme, die sicherlich kein einfaches, aber ein umso befriedigenderes Sehvergnügen darstellen, weil sie entweder eine echte visuelle oder symbolische Wucht sind oder ihre Erzählweise so gestalten, dass es wirklich Spaß macht, aus dem Gesehenen einen Sinn zu machen. All das ist bei Observance nicht vorhanden. Der Film hat Atmosphäre, das will ich nicht leugnen und die zunehmende Intensität der bedrohlichen Visionen der Hauptfigur hinterlässt durchaus eine Gänsehaut. Doch letztlich fühlen sich die surrealen Versatzstücke hier irgendwann beliebig an. Schwarze Galle hier, eine tote Ratte da, Visionen vom toten Kind, Wellen die gegen eine felsige Küste krachen – vielleicht ist der Protagonist verrückt, vielleicht ist ein okkultes Ritual im Spiel, vielleicht ist es eine Zeitschleife. Mögliche Erklärungen gibt es viele, doch das Interesse, nach einer zu suchen, kann Observance beim besten Willen nicht erzeugen. Es ist ein Verwirrspiel um des Verwirrens willen und das macht nicht sonderlich Spaß. 2/5
Nach zwei eher eigenwilligen Filmen bildete ein sehr klassischer Fantasy-Filmfest-Stoff für mich den Abschluss des Tages: der gute alte Werwolffilm! Nachdem die zwei Beiträge über die lykanthropen Gestaltwandler (Wer und WolfCop) letztes Jahr beim FFF bei mir wenig Begeisterung auslösen konnten, war ich froh, wieder einmal einen soliden, wenn auch keineswegs herausragenden Vertreter des Horror-Subgenres, das im Gegensatz zu Vampir- und Zombiefilmen meist eher stiefmütterlich behandelt wird, zu sehen. Howl kommt aus Großbritannien, dem Land, das mit An American Werwolf in London und Dog Soldiers zwei der besten Werwolfstreifen überhaupt produziert hat. Die Geschichte ist schnell erzählt. Ein Nachtzug mit einigen missgelaunten Fahrgästen (darunter Shauna Macdonald aus The Descent) bleibt in einem nebligen Wald nach einer technischen Panne stehen und wird von einem Rudel blutrünstiger Werwölfe belagert. Doch die Passagiere, angeführt von einem jungen Fahrkartenkontrolleur (Ed Speleers), wissen sich zu wehren.
Man würde im heutigen Horrorklima vermuten, dass ein Film wie Howl sich vor Filmreferenzen strotzend als eine augenzwinkernde Party-Splattergranate entpuppen würde, doch Regisseur Paul Hyett, der bei den Fantasy Filmfest Nights mit seinem Debütfilm Seasoning House auf sich erstmals aufmerksam gemacht hat, wählte einen überraschend ernsten Ansatz. Okay, so ganz todernst ist der Film auch nicht, es gibt den einen oder anderen (manchmal leider erzwungen wirkenden) Lacher und auch Referenzen zu Horrorklassikern wie Nightmare on Elm Street oder John Carpenters The Fog sind hier zu finden. Doch im Großen und Ganzen ist Howl definitiv mehr Horror als Komödie und spielt mit einer Variation des Home-Invasion-Szenarios. Die Maskeneffekte der Werwölfe können sich sehen lassen und auch wenn der Film die Werwolf-Mythologie nicht neu erfindet, bastelt er sich seine eigenen Regeln für die haarigen Widersacher zusammen. Weder Vollmond noch Silberkugeln spielen eine Rolle, doch der Biss bleibt weiterhin die Tür zur Verwandlung.
Über weite Strecken ist der Film sehr atmosphärisch, auch wenn dem angeblich in einem Wald spielenden Film die computeranimierten Außenkulissen gelegentlich arg anzumerken sind. Bei den Splattereffekten hält sich Howl auch überraschend zurück, was aber möglicherweise auch am Budget des Films gelegen haben mag. Wie auch bei Stung gibt es zwischendrin einen längeren Durchhänger, wenn der Film versucht, seine eher uninteressanten Charaktere auszubauen, doch zum Glück kriegt er im letzten Drittel noch die Kurve und zieht die Werwolf-Action wieder an. An Dog Soldiers, dessen Darsteller Sean Pertwee hier ebenfalls (kurz) zu sehen ist, kommt Howl nicht heran, doch angesichts der recht mageren Ausbeute im Werwolfgenre in den letzten Jahren, kann der Film sich allemal sehen lassen. 3/5
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Wird am 9. Tag des Fantasy Filmfests 2015 meine Durststrecke enden und bekomme ich wieder einmal einige Highlights zu sehen? Die Chancen stehen gut, denn immerhin hat Strangerland mit Nicole Kidman, Joseph Fiennes und Hugo Weaving große Starpower zu bieten und der Metal-Zombie-Trash Deathgasm sieht nach einem klassischen FFF-Partyfilm aus. Schaut bei unserer nächsten Ausgabe rein und erfahrt, ob wie die beiden mir gefallen haben. Außerdem im Angebot: eine moderne Adaption von Mary Shelleys "Frankenstein" vom Candyman-Regisseur Bernard Rose.
Bisherige Ausgaben:
In Frankfurt machte ich eine Woche vorher das Sparprogramm durch. Anhand der zeitlichen Lage in den letzten drei oder vier Jahren plante ich meinen Urlaub ab der letzten Augustwoche. Dumm gelaufen. Während des Filmfestivals war Urlaub dann nicht möglich; in den Sommerferien – ganz blöde Idee – haben Leute mit Kindern Vorrang.
Hier mein eher unspektakulärer Bericht. Kuriose Konfrontationen im Kinofoyer und in der S-Bahn gab es diesmal nicht.
https://www.freitag.de/autoren/martin-betzwieser/filmfestivals-fuer-fortgeschrittene-2015-1