Green Room, USA 2015 • 95 Min • Regie & Drehbuch: Jeremy Saulnier • Mit: Anton Yelchin, Imogen Poots, Alia Shawkat, Patrick Stewart, Joe Cole, Callum Turner, Macon Blair • Kamera: Sean Porter • Musik: Brooke Blair, Will Blair • FSK: ab 18 Jahren • Verleih: Universum Film • Kinostart: 2.06.2016 • Deutsche Facebook-Seite
Die Farblehre des Jeremy Saulnier geht weiter: Auf „Blue Ruin“ (2014), das famose Zweitwerk des US-Regisseurs, folgt mit „Green Room“ ein Film, der der beruhigenden Wirkung seiner Titelfarbe nicht gerecht wird. Im Gegenteil. Wenn eine junge Punkband in einer abgelegenen Spelunke an eine organisierte Gruppe von Neonazis gerät, fliegen recht bald die Fetzen und der rote Lebenssaft verschmutzt das frische Grün. Wie schon bei dem Vorgänger, hält sich Saulnier bei der Darstellung hektischer Action allerdings zurück und lässt die Konfrontation langsam immer böser eskalieren. „Green Room“ ist ein klaustrophobisches Kammerspiel, das mit seinem Konzept vielleicht zuerst an John Carpenters Neo-Western „Assault – Anschlag bei Nacht“ (1976) erinnert. Im Angesicht eines weltweiten gesellschaftlichen Rechtsrucks, könnte auch das Thema des Films kaum aktueller sein. Doch leider arbeitet Saulnier hier nur geschickt mit der Form und nutzt den brisanten Inhalt lediglich als Zündstoff, der aus einem Gemisch von Stereotypen besteht. Trotz eines recht straffen Spannungsbogens wäre bei dieser Arbeit mehr drin gewesen. Aber dazu später mehr.
Provokation um jeden Preis: Wenn eine Band in einem Neonazi-Club gleich als Opener ein Cover des Dead-Kennedys-Songs „Nazi Punks Fuck Off“ zum Besten gibt, mag das den jugendlichen Leichtsinn beflügeln – aber es ist nicht wirklich schlau. So haben Sam (Alia Shawkat), Pat (Anton Yelchin), Reece (Joe Cole) und Tiger (Callum Turner), die als The Ain’t Rights (Die Nicht-Rechten) auf der Bühne stehen, das Wohlwollen des (nett ausgedrückt) politisch etwas anders orientierten Publikums gleich zu Beginn empfindlich auf die Probe gestellt. Es hilft der finanziell ausgebrannten Gruppe auch nicht besonders weiter, dass sie nach ihrem Gig im Warteraum (englisch: Green Room) auf eine Frauenleiche mit Messer im Kopf stößt. Die Aufregung über den Fund ist groß, doch das Ärgernis der anwesenden – offensichtlich für die Tat verantwortlichen – Rechtsradikalen ist umso größer. Zwar gelingt es den Punks, sich zusammen mit Amber (Imogen Poots), einer Freundin der Toten, in dem engen Raum zu verschanzen, doch die draußen lauernde Horde tobt und holt den diabolischen Clubbesitzer Darcy (großartig: Patrick Stewart) zur Krisenbewältigung dazu. Und der hat ein paar ruhige, aber dafür äußerst klare Worte für die Kids parat …
Jeremy Saulnier gelingt es hervorragend, die hoffnungslose Lage der Protagonisten in Bilder zu verpacken: Der Green Room ist eng, schmutzig und trist. Um den Bunker herum gibt es kilometerweit nur raue Natur, die dem Regisseur zusätzlich dabei hilft, die titelgebende Farbe in den Aufnahmen stilsicher dominieren zu lassen. Der Ausweg ist versperrt und neben der Band und Amber befindet sich noch ein überwältigter Nazi-Scherge mit im Raum, der den Puls der Figuren und Zuschauer zusätzlich erhöht. Der Regisseur und Drehbuchautor hat offensichtlich Spaß daran, die Situation gründlich und mit aller Ruhe aus dem Ruder laufen zu lassen: Es wird deutlich, dass die Angreifer etwas aus dem Green Room wollen, das sie vom wilden rücksichtslosen Losballern abhält. Auf der anderen Seite haben die Ain’t Rights zwar noch ihren winzigen Schutzort, aber sonst nichts für die Antagonisten anzubieten. Ein Deal scheint die einzige Option zu sein, um lebend aus dem Schlamassel zu gelangen – doch auch diese Möglichkeit bleibt für die eher pazifistisch veranlagte Gruppe sehr fraglich. Die aufgereihten Springerstiefel vor der Tür mahnen zur Skepsis. Im Verlauf werden noch diverse fiese Verletzungen durch Gewehre, Cutter-Klingen, Macheten und Bulldoggen verursacht, bevor der deftige Streit endgültig ausgetragen ist.
So intensiv die Inszenierung des altbekannten Die-drinnen-gegen-die-draußen-Schemas auch ist, so sehr krankt der Film an seinen insgesamt dünn gezeichneten und eigentlich austauschbaren Charakteren. Wenn man sich als Zuschauer politisch eher zwischen diesen sehr extremen Polen verortet, hat man eigentlich keine Chance, ernsthaft mit den Helden mitzufiebern (die kleenen Punker lassen schon am Anfang ihre Assi-Attitüde ganz schön raushängen) oder sie alternativ inniglich zu hassen. Der von "Captain Picard/Professor X" Patrick Stewart verkörperte Kopf der Bösewichte ist in seiner tatsächlich beängstigenden Selbstbeherrschung die ohne Zweifel charismatischste und auch faszinierendste Gestalt der Story. Und während sich der Rest fortschreitend gegenseitig dezimiert, fallen einem vielleicht noch die zumindest leicht ambivalente Amber und der dauerjammernde Pat auf. Letzterer trägt eine äußerst rührende Paintball-Geschichte vor, die aber am Ende ebenso belanglos bleibt, wie der peinliche Running Gag mit der Frage nach dem Lieblingskünstler der individuellen Bandmitglieder: Ja, es ist natürlich extrem witzig, wenn beinharte Musiker sich auf einmal zu Prince oder Madonna bekennen. Tatsächlich sind diese Punks selbst aber auch mehr Sum 41 oder Blink 182 als die Stooges. Mich zumindest hat der grausame Kampf lediglich handwerklich begeistert, während mich die Verluste in beiden Lagern emotional enttäuschend kalt gelassen haben.
Schade vor allem deshalb, weil Jeremy Saulnier mit seinen grobgeschnitzten Figuren deutlich Potential verschenkt, das man in einer ernsthaften Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus durchaus erhoffen konnte. Denn wie bereits erwähnt: Die Thematik ist aktuell mehr als spannend und dringlich – und Saulnier nach Bewertung des Vorgängerwerkes ein Autor, dem man auch im Genrekontext mehr Tiefe zutrauen darf. Eine Szene am Ende deutet zwar einen Zwiespalt in einem weiteren Charakter an, doch kommt das ein wenig dünn und spät. Vielleicht hätten hier besser nicht etwas stumpfe, kesse Punks auf noch stumpfere, grimmige Nazis (minus Patrick Stewart) treffen sollen, sondern ein Kollektiv, das in der Summe etwas näher an der Mitte liegt. Schließlich sind auch reine Wortgefechte zwischen Oppositionen in Talkshows in der Regel durchaus unterhaltsam anzusehen, aber leider auch wenig inspirierend oder gar problemlösend.
In „Green Room“ gibt es viel Fleisch, Blut und Muskeln, aber – abgesehen von der cleveren Spannungsgestaltung – wenig Hirn. Das ist ok, denn der Film fesselt mit seinem extra Adrenalin-Bolus trotz mangelnder Sympathie für die Protagonisten und einem schwachen Ende ganz ordentlich an den Kinosessel. Mehr als einen soliden und kurzweiligen Indie-Thriller mit handwerklicher Finesse sollte man allerdings nicht erwarten.