Der Artikel enthält einige "Hannibal"-SPOILER zur besprochenen Folge!
Scheinbar in direktem Wechsel kommt eine unglaublich starke "Hannibal"-Folge nach einer ohnehin schon genialen Vorgängerepisode. Auch "…And the Woman Clothed With the Sun" stellt sich wieder als einer der Höhepunkte der Staffel heraus. Gemeinsam begeben sich Will Graham (Hugh Dancy) und Hannibal Lecter (Mads Mikkelsen) auf die Spurensuche nach dem spöttisch "Die Zahnfee" genannten Serienkiller Francis Dolarhyde (Richard Armitage). Immer mehr wird auch der Antagonist in ein interessanteres Licht gerückt und zur bemitleidenswerten Figur.
Auch in dieser Folge bekommen wir Hannibal wieder in seiner Zelle zu sehen, während sich nach und nach ein Charakter nach dem anderen bei ihm blicken lässt. Jack Crawford (Laurence Fishburne) lässt ihn wissen, dass er es war, der seine Nachricht an Will weiterleitete, natürlich erst nachdem er sie selbst gelesen hatte. Selbst hinter schwedischen Gardinen wirkt der Kannibale kein bisschen weniger bedrohlich, oder gar ungefährlich. Jack muss schon ziemlich verzweifelt sein, um sich an sein altes Dream-Team zu wenden.
Dabei muss er sich bewusst sein, was das für Will bedeutet, dadurch dass er ihn wieder auf die dunkle Seite zieht kehren auch die Halluzinationen zurück und der Horror nimmt erneut seinen Lauf. Davon lässt sich Jack allerdings nicht aufhalten. Ausgerechnet Hannibal ist es, der Will jetzt beschützen will.
You are family Will.
Auch gegenüber Alana Bloom (Caroline Dhavernas) äußert er sich so, dass er seinen "Freund" in Schutz nimmt, vor allem was in der Vergangenheit passiert ist. Alana scheint inzwischen ein gigantisches Selbstbewusstsein aufgebaut zu haben und teilt Hannibal jetzt gerne auch mal ihre ungeschminkte Meinung mit. Na wenn sie da mal nicht zu überheblich wird, als sie damit droht, ihm seine Zeit so unangenehm wie nur irgend möglich zu bereiten.
I know what you are afraid of. It’s indignity. I’ll take your books. I’ll take your drawings. I’ll take your toilet. You’ll have nothing but indignity and the company of the dead.
In der dritten Staffel hat Alanas Charakter eine ziemliche Kehrtwende vom unwissenden hübschen Mädchen hin zur unerschrockenen Frau gemacht, die jetzt zusammen mit Margot Verger (Katharine Isabelle) sogar eine Familie gegründet hat, wie wir in einem Nebensatz erfahren dürfen. Inzwischen erweist sie sich als würdige Figur im düsteren Psycho-Schachspiel der Serie.
Sehr spannend in dieser Folge: Wir bekommen weitere Flashbacks aus Momenten, die Hannibal und Abigail Hobbs (Kacey Rohl) zusammen verbracht haben. Wir bekommen interessant inszeniert zu sehen, wie die beiden gemeinsam Abigails Scheintod in die Wege leiteten. Dabei steht die enge Beziehung der beiden zu einander im Mittelpunkt, und wie Hannibal für sie zur letztlich fatalen Vaterfigur wurde. Er sagt ihr sogar, auf welche Weise er sie schließlich doch noch umbringen wird.
Höhepunkt der ethisch höchst bedenklichen Behandlung ist die Gegenüberstellung mit der Leiche ihres Vaters, Garret Jacob Hobbs (Vladimir Jon Cubrt). Und als wäre das noch nicht genug, muss sie an ihm sogar noch den Schnitt durch den Hals ausführen, den er ihr damals verpasst hatte. Es ist schön, dass Abigails Figur trotz ihres Todes in dieser Staffel extrem präsent ist, was die Serie für mich auch im Gesamtwerk deutlich stärker macht, weil sie sich immer wieder auf sich selbst bezieht.
Vom einen Schützling zum anderen: Nach dem Gedenken an Abigail widmet sich Hannibal wieder der Gegenwart und somit Will Graham. Gemeinsam versuchen die beiden über ihren sogenannten "Mind Palace" in die Psyche von Francis Dolarhyde einzudringen und herauszufinden, was eine Person denkt, die auf solche skurrile Art bei ihren Morden vorgeht. Fast jede Einstellung dieser Gedankenszenen ist dabei wieder überragend in Szene gesetzt. Nichts anderes erwartet man ja auch von "Hannibal".
Doch nicht nur Abigail taucht wieder auf, auch Freddy Lounds (Lara Jean Chorostecki) ist wieder mit von der Partie, sogar in Fleisch und Blut. Sie ist gerade dabei, die kriminologische Kooperation von Will und Hannibal möglichst reißerisch für eine Zeitung zu gestalten. Sie bietet Will ihre Zusammenarbeit an, um "Die Zahnfee" zu ködern, doch Will ist nicht gut auf sie zu sprechen und lehnt es ab mit ihr zusammen zu arbeiten.
Kommen wir endlich zum Höhepunkt der Folge: Dem roten Drachen. Endlich gibt der Serienmörder mehr als ein paar grunzende Laute von sich und macht mit der blinden Reba McLane (Rutina Wesley) sogar eine höchst interessante neue Bekanntschaft. Immer weiter treten wir auch als Zuschauer in die Psyche dieses gestörten Menschen ein, genauso, wie ich es mir nach seiner Einführung in "The Great Red Dragon" gewünscht habe. Man merkt deutlich, wie Dolarhyde mit seinen Taten kämpft, als ihm der Schwanz des Drachen aus dem Leib wächst. Umso interessanter wird die Beziehung zwischen ihm und Reba langsam aufgebaut, als er merkt, dass sie trotz ihres nicht vorhandenen Augenlichts mehr in ihm zu sehen scheint. Doch als sie sein Gesicht fühlen möchte, scheint sie eine Grenze zu überschreiten, die ihm noch unangenehm ist.
Trust me, I’m smiling.
Schließlich gibt es auch endlich den ersten Wortwechsel zwischen Dr. Lecter und Dolarhyde, der sich an den Serienkiller wendet, weil er sich davor fürchtet, in was er sich verwandelt:
What are you becoming?
– The Great Red Dragon.
Diese hervorragende Staffel scheint bisher so ziemlich alles richtig zu machen. Wir können nur hoffen, dass die Story rund um den Red Dragon weiterhin so gut umgesetzt wird und spannend bleibt, doch da mach ich mir bei diesem hervorragenden Team überhaupt keine Sorgen. Wir bleiben auf jedem Fall weiterhin am Ball!