Der Artikel enthält einige "Hannibal"-SPOILER zur besprochenen Folge!
WOW! Zunächst einmal, dieser Text entsteht direkt nach meiner Sichtung der finalen "Hannibal"-Folge "The Wrath of the Lamb". Bedauerlicherweise wird diese Folge nicht nur die letzte der 3. Staffel, sondern auch der ganzen Serie sein (sind wir ehrlich, die Rettungschancen sind inzwischen nahezu bei null Prozent angekommen). Aufgrund all dieser Tatschen soll mir verziehen werden, dass ich im nun folgenden Text höchstwahrscheinlich in die ausschweifendsten und langwierigsten Lobeshymnen verfallen werde, die ich je zu Papier (oder eben über die Tastatur) gebracht habe. Macht euch also bereit für das Folgenreview zum überragenden Finale von "Hannibal"!
Wir beginnen mit der ikonischen Szene, auf die die Romanleser, zu denen ich mich zählen darf, sicher schon gewartet haben. Dolarhyde (Richard Armitage) macht Reba (Rutina Wesley) klar, wie ernst seine Lage ist. Da er sich allerdings nicht mit dem Gedanken anfreunden kann, sie dem Drachen zu überlassen, hat er sich einen ausgefeilten Plan zurechtgelegt, mit dem er sie und auch sich selbst retten kann. Er täuscht seinen Tod vor und lässt alle in dem Glauben, er hätte sich aus Liebe zu ihr selbst umgebracht, um das Monster tief in sich selbst zu zerstören. Die verstörte Reba kann den Flammen gerade noch entkommen und wird nach dem schockierenden Ereignis von Will (Hugh Dancy) getröstet in Bezug auf ihre Anziehungskräfte für Dolarhyde. Wenn jemand versteht, wie es ist eine dunkle Seite mit sich zu tragen, dann ist es Will Graham.
You didn’t draw a freak. You drew a man with a freak on his back.
Nachdem sich der Rote Drache also scheinbar als Geschichte erwiesen hat, macht sich Will auf zu Hannibals (Mads Mikkelsen) Zelle, um ihm mitzuteilen, dass es aus und vorbei ist. Mal wieder erscheint uns das Glasgefängnis allerdings nicht in seiner eigentlichen Form, sondern als italienische Kirche, in der Hannibal schick angezogen ein Kerzenlicht auslöscht. Diese Momente werden mir fehlen. Doch Will hat nicht nur vor mit dem Fall abzuschließen, sondern auch ein für alle Mal mit Hannibal Lecter, und so verabschiedet er sich auf fast schon spöttische Art von seinem "Mentor", der genau weiß, dass Will sich nicht so leicht von ihm trennen kann, wie er es gerne tun würde.
The unspoken knowledge will live with you like unwanted company in the house.
Beruhigt von den vorangegangenen Ereignissen verzieht sich Will in sein Hotelzimmer, um sich auszuruhen. Jetzt wo der Killer tot ist, und er mit Hannibal abgeschlossen hat, sollte ja alles in Ordnung sein oder etwa nicht? Falsch gedacht! Dolarhyde ist nämlich noch am Leben und sucht den Ermittler in seiner derzeitigen Bleibe auf um ihn an seinen Stuhl zu fesseln und sich endlich von Angesicht zu Angesicht mit ihm zu unterhalten. Seine Motivation in der Serie ist, dass er Hannibal Lecter wahrhaftig gegenüberstehen will. Im Buch war Dolarhyde zum Schluss nur noch auf Rache aus, was in einem extrem unbefriedigenden Finale eskalierte, Bryan Fuller schafft es die Geschichte neu und besser zu einem versöhnlichen Ende zu führen.
Kurz darauf wird uns Dolarhydes genialer Plan von den Gerichtsmedizinern genauer erklärt, während Jack und Will sich darüber unterhalten, wie sie den Killer anlocken könnten. Will hat eine fatale Idee: Er will Hannibal in Polizeigewahrsam überführen, sodass Dolarhyde leichter an ihn herankommen kann. Was wie der absurdeste Plan aller Zeiten klingt, wird von Jack erst einmal so hingenommen, der denkt, dass Will dieselben Absichten hat wie er, nämlich Dolarhyde und Hannibal zu töten. Die einzige Person, die etwas einzuwenden hat, ist Bedelia Du Maurier (Gillian Anderson). Sie scheint die einzige vernünftige Person zu sein, die das Ausmaß dieser Entscheidung begreift. Sie kritisiert Will aufs Schärfste und blickt hinter seine Fassade, etwas, dass er sich möglicherweise nicht einmal selbst traut.
You just found religion. Nothing more dangerous than that.
Dr. Chilton (Raúl Esparza), der durch Alana Blooms (Caroline Dhavernas) Besuch von dem Vorhaben des FBI erfährt, hält den Plan zwar auch für höchst fragwürdig, hat aber keine Angst, nein er macht sich lustig darüber, wie einfältig die Verantwortlichen handeln, ohne auch nur an die möglichen Konsequenzen zu denken. Alana werden diese Konsequenzen noch einmal sehr persöhnlich vor Augen geführt, als sie Hannibal die Botschaft überbringt, dass man ihn als Köder benutzen will. Es ist unglaublich, wie bedrohlich Mads Mikkelsen in seiner Verkörperung des Hannibal Lecter ist, selbst jetzt noch, wo er hinter einer dicken Glasscheibe steht, die schiere Autorität in seinen Worten gepaart mit seiner Mimik ist teuflisch. Da bekommt man schon Mal Gänsehaut, als er Alana droht:
You died in my kitchen Alana when you chose to be brave. Every moment since is borrowed.
Es dauert nicht lange, da kommt auch der treue Will wieder angelaufen und Hannibal genießt seinen Triumph, die letzte Begegnung mit seinem "Schützling" doch gar nicht so endgültig gestaltet zu haben. Die beiden unterhalten sich noch kurz, danach beginnt auch schon die waghalsige Aktion. Natürlich ist die Überführung von Hannibal in einem Polizeiwagen voller unfähiger Schießbudenfiguren weniger als realistisch anzusehen, als ganz einfach als ein Plotinstrument von Bryan Fuller, doch darüber hinaus funktionieren die Szenen. Dolarhyde ermordet alle Wachmänner, worauf Hannibal und Will sich gemeinsam in einem Polizeiwagen auf den Weg zu einem von Hannibals Anwesen machen. Während Will zunächst noch etwas unsicher wirkt, merkt man schnell, dass er anfängt, sich wohlzufühlen.
Für die letzten Szenen der Staffel und der Serie beschränkt sich die Folge auf das Essenzielle: Will Graham und Hannibal Lecter und die Beziehung der beiden zueinander. In Hannibals Anwesen angekommen wird erst einmal ein teurer Wein aufgemacht und sich unterhalten, bevor wenige Augenblicke später ein Schuss die Stille der Dunkelheit zerbricht. Unsere beiden Protagonisten (ja durchaus eine gewagte Bezeichnung) gingen zwar bereits davon aus, dass sie unter Beobachtung von Dolarhyde waren, doch die Überraschung kam nicht zu kurz, als er schließlich durch die Scheibe schlägt. Der Drache beugt sich über den am Boden liegenden Hannibal Lecter und macht sich daran zu filmen, wie er sein Idol verzehrt. Doch er hat die Rechnung ohne Will Graham gemacht.
Jener Kampf, in den die gerade angerissene Szene eskaliert, gehört sicherlich zu den schönsten aller "Hannibal"-Momenten und wird sich auf ewig in die Gedanken der Zuschauer brennen. Künstlerisch wunderschön aufgenommen bezwingen Hannibal und Will in grandios blutiger Teamarbeit den Roten Drachen, der um sich schlagen kann, soviel er will, am Ende muss er sich der schieren Stärke der beiden geschlagen geben und sinkt sterbend zu Boden. In seinem eigenen Blut sehen wir, wie die Flügel des Drachen sich ausbreiten: Ein würdiges Ende für einen fantastischen Antagonisten.
Nach dem aufmürbenden und brutalen Kampf stolpern Will und Hannibal aneinander, Körper an Körper, Kopf an Kopf. Die Verbindung wird spürbar, die Luft ist elektrisiert von den vorigen Ereignissen und die beiden Männer liegen sich in den Armen und scheinen in der schwarzen Farbe des Blutes im Mondschein förmlich miteinander zu verschmelzen. Es ist die Bindung, zwischen den beiden, die die Serie seit je her vorangetrieben hatte, die den besonderen Reiz dieser Erfahrung ausmachte. In der dritten Staffel wurde diese Bindung zum ersten Mal auch mit dem Wort Liebe bezeichnet. Auf eine schräge Art romantisch ist der Abschluss alle Mal. Umeinandergeschlungen stürzen Will und Hannibal die Klippen hinunter und wir sehen die Credits laufen. Fantastisch!
See, this is all I ever wanted for you Will. For both of us.
– It’s beautiful.
Doch das war nicht alles, wie schon beim verheerenden Finale der zweiten Staffel bekommen wir auch hier eine Post-Credit-Scene geschenkt, in der wir Bedelia an einem Tisch sitzen sehen. Ihr Bein liegt abgetrennt und köstlich zubereitet auf dem Esstisch und sie sieht nicht gerade sehr glücklich darüber aus. Wir sehen, wie sie eine Gabel vom Tisch nimmt. Scheinbar steht sie unter Drogen und ist sich der kommenden Gefahr bewusst. Die Kamera setzt zurück und zwei weitere Stühle an dem Tisch fallen ins Blickfeld des Zuschauers, allerdings leer, für einen der beiden Stühle liegt aber auf jeden Fall noch Gedeck bereit…
Doch was genau ist nun passiert? Hat Will sich geopfert, um Hannibal aufzuhalten? Sind die beiden geflohen und nun zusammen auf Kannibalen-Hochzeitsreise? Was ist mit Bedelia? Es steht in den Sternen, ob wir das je genau erfahren werden, und das Finale lässt so einige Interpretationsmöglichkeiten offen, also gehen wir doch einfach etwas genauer darauf ein. Wir sehen wie Will und Hannibal sich in den Armen liegen und Hannibal Will anspricht mit "See". Ein Wort, so simpel und zur gleichen Zeit doch auch so bedeutungsschwanger in "Hannibal". Bereits in der Pilotfolge der ersten Staffel ist es dieses Wort, dass der sterbende Garret Jacob Hobbs (Vladimir Jon Cubrt) dem verzweifelten Will Graham mit seinen letzten Atemzügen noch zukeucht. Es ist dieses kleine Wort, das sich durch die ganze Serie zieht.
Hannibal beabsichtigt Will damit klar machen, dass er ihm seine wahre, seine dunkle Seite zeigt. Wills inneres Monster, dem er sich jederzeit bewusst war, das er sich aber bisher weigerte zu sehen. Gewissermaßen brechen Wills Mauern, die er sich über die Jahre angeeignet hat, im Kampf mit Dolarhyde ein und die Dunkelheit, gemeinhin als das Böse bekannt, offenbart sich ihm. Genau das ist es, was Hannibal in Will schon immer zum Vorschein bringen wollte. Will sieht ein, wie wunderschön diese Seite ist, bemerkt aber gleichzeitig, wie fatal sie für die Menschen sein kann die er liebt und, dass er sich von nun an nie wieder unter Kontrolle haben wird. Gewissermaßen ist er jetzt Hannibal. In einer der vorigen Folgen (mir sei verziehen, dass ich nicht mehr genau weiß welche) wird Will klar, dass er Hannibal töten muss, um nicht selbst zu Hannibal zu werden. Dazu ist es jetzt zu spät.
It really does look black in the moonlight.
Allerdings ist Wills menschliche Seite noch nicht tot. Sie weiß zwar, dass sie verloren hat, doch sie sieht noch einen letzten Ausweg, um zumindest verhindern zu können, dass seine dunkel Seite noch mehr Schaden anrichtet und so stürzt sich Will mit Hannibal die Klippen hinunter. Dieser Ausweg beinhaltet zwar auch den Tod von Wills guter Seite, doch wissend, dass diese keine Chance mehr gegen Hannibal hat, ist Will bereit sich komplett hinzugeben und zu opfern. Was danach geschieht, bleibt Spekulation. Doch eines ist sicher, egal was aus den Wellen des Meeres aufsteigt, sei es in Form von Hannibal Lecter, sei es in Form von Will Graham oder sogar von beiden: Der Will Graham, den wir einmal glaubten zu kennen, liegt für immer auf dem Meeresgrund.
Save yourself. Kill them all.
– I don’t know if I can save myself. Maybe that’s just fine.
Die folgende Bedelia-Szene impliziert auf jeden Fall, dass mindestens einer der beiden, wenn nicht beide wegen den drei Stühlen, noch am Leben sind und sich der Jagd hingeben. Im Grunde bestehen nur die Möglichkeiten, dass Hannibal allein überlebt hat, oder er nun zusammen mit Will, endlich vereint, seiner Tätigkeit nachgeht. Ich halte es für ein perfektes Ende sowohl für die Staffel als auch für die Serie selbst, was mich weniger traurig um ihr so frühes Ende macht. Es wäre durchaus interessant die "Das Schweigen der Lämmer"-Story noch neu aufgelegt zu sehen, doch zwingend nötig ist es nicht, jetzt nach diesem grandiosen Knall von einem Finale. Möge "Hannibal" in Frieden ruhen und für immer in unserem DVD-Regal stehen. Ich hoffe die Ausführung meiner Interpretation hat euch gefallen und ihr seid ähnlicher Meinung, wenn nicht, könnt ihr das sehr gerne in die Kommentare schreiben.