Historia del miedo, AR/D/FR/UY 2014 • 79 Min • Regie: Benjamín Naishtat • Mit: Jonathan de Rosa, Tatiana Giménez, Mirella Pascual, Francisco Lumerman • FSK: n. n. b. • Kinostart: n. n. b.
Das Gesicht der Furcht ist die letzte der minutiösen Stimmungsskizzen in Benjamin Naishtats allegorischem Ensemblestück. Die kriechende Aggression bringt mit den Figuren das Publikum an den Rand der Furcht: vor dem gähnenden Nichts vor ihren Augen.
Die Angstmiene im Gesicht des jungen Pola (Jonathan Da Rosa), mit der die unterentwickelte Verhaltensstudie schließt, ist nur aufgesetzt. Der etwa gleichaltrige Camilo (Francisco Lumerman) fordert in einer Art Sitzung Pola zum Grimassieren auf und stellt anderen Figuren einschüchternde Fragen. Im Hintergrund dokumentiert alles eine Kamera, was die Konstellation gleichnishaft der des Filmemachers zu seinen Darstellern gegenüberstellt. Furcht ist das übergreifende Thema von Naishtats kantigem Konstrukt. Handlung und Charakterentwicklung werden darin systematisch ausgespart. Stattdessen konzentriert sich der argentinische Regisseur und Drehbuchautor auf das Einfangen verschiedener Abstufungen der titelgebenden Emotion. Sie beginnt milde mit der Irritation, die ein über den Vororten von Buenos Aires kreisender Polizeihubschrauber auslöst. Per Lautsprecher versuchen die Beamten eine Sicherheitswarnung durchzugeben, aber technisches Versagen hindert sie daran. Von der Nachricht dringt gerade genug durch, um eine rätselhafte Gefahrenlage zu umreißen. Am Boden beobachten die Anwohner den über ihren Grundstücken kreisenden Hubschrauber ohne verstehen zu können, was sie bedrohen mag und wie sie dem begegnen könnten.
Ein Nachrichtenbeitrag zeigt fliehende Frauen und Kinder, gefilmt von einer Überwachungskamera. Was der Grund ihrer Panik ist, berichtet der Fernsehsprecher nicht, als setze er gezielt auf die dramatisierende Wirkung der Ahnungslosigkeit. Wenn dem so ist, verfolgt er eine ähnliche Taktik wie Naishtat. Dessen distanzierte Inszenierung unterminiert durch ihre Vagheit den sozialkritischen Subtext von materieller Verlustangst und Statusparanoia bis hin zu dessen Dekonstruktion. Der Alarm einer der vornehmen Stadtvillen geht ohne erkennbaren Grund los. Ein Polizist, der auf Drängen der jugendlichen Hausbewohner mit vorgehaltenem Gewehr das Grundstück absucht, findet nichts. Trotz der Entwarnung, es handle sich nur um einen nicht ungewöhnlichen blinden Alarm, bleibt ein Gefühl der Verunsicherung. Sie wächst zu klaustrophobischer Nervosität in einem Fahrstuhl, der unvermittelt aussetzt. Die alte und die junge Frau in der Aufzugkabine sind für einen Moment, der sich für die Figuren und ihre Beobachter im Kinosaal qualvoll in die Länge zieht, Gefangene des unverlässlichen Mechanismus. Die willkürlich allerorts versagende Technik fungiert als äußerer Katalysator der inneren Gereiztheit der Handelnden. Sie frisst sich in deren Psyche und verwandelt Familienzeit, Paarausflüge und freundschaftliche Treffen in verkappte Machtspiele.
Noch befremdlicher sind die psychosomatischen Symptome einer ubiquitären Destabilisierung. Eines Tages bricht die Haushälterin einer wohlhabenden Familie zusammen, als ersticke sie die unentrinnbare Atmosphäre der Furcht. In einem Fast-Food-Restaurant erleidet ein Kunde (Daniel Leguizamon) plötzlich einen bizarren Anfall. Mitten auf der Straße attackiert ein nackter Passant ein vorbeifahrendes Auto. Jungen aus der privilegierten Nachbarschaft werfen Knallkörper in den Pool und auf die um die Villen streunenden Hunde. Weder Drahtzäune um die Grundstücke, noch bezahltes Wachpersonal vermögen die bissigen Tiere abzuhalten. Ihre Silhouetten in der Dunkelheit und ihr Kläffen strapazieren zusätzlich die Nerven, die bei den Anwohnern so blank liegen, dass jedes Gespräch in Streit ausarten kann. History of Fear zeigt Angst als ein Perpetuum mobile, das langsam außer Kontrolle gerät. Ist die Ursache oder Art einer Bedrohung nicht festzulegen, kann umgekehrt jeder gefährlich sein. Misstrauisch beäugen die Menschen einander, kichern gezwungen oder schweigen verbissen. Die emotionale Abkapselung spiegelt ihre positionelle Abschottung von der Restgesellschaft und kreiert zugleich ein weiteres Verdachtsmoment.
Fazit
„Die Leute mögen die Stillen nicht.“, wird der wortkarge Pola gewarnt. „Sie wissen nie, was du denkst, was du willst.“ Die fragmentarische Parabel erzeugt die gleiche Art von Unklarheit und Unbehagen und am stärksten von allen: Unsympathie.
Trailer (OV)
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