Spieltrieb-Spezial: Jannik Schümann im Interview

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Nachwuchsschauspieler Jannick Schümann spielt in dem Jugenddrama Spieltrieb den extrovertierten Alev, der basierend auf seiner Theorie vom Spieltrieb eine Mitschülerin dazu anstiftet, ihren Lehrer zu verführen. Wir hatten Gelegenheit, mit ihm zu sprechen.

Filmfutter: Seit jeher war der Mensch Spieler. Was ist die Faszination des Spiels?

Jannik Schümann: Ich würde sagen, größte Faszination und zugleich größtes Risiko am Spielen ist, dass man sich relativ schnell verlieren kann. Ich glaube, dass man Menschen leicht manipulieren kann, nach den eigenen Regeln mit einem zu spielen – sogar ohne dass die andere Person zwingend bemerkt, dass das, was gerade geschieht, gar nicht der Weg ist, den sie selbst gewählt hat. Das Leben hat immer etwas mit Bewunderung und Verliebtheit zu tun und sobald man einer Person verfällt, fängt man plötzlich an, Dinge zu mögen, die man vorher gar nicht mochte oder über die man sich zuvor nie Gedanken gemacht hat. Dadurch, dass die "bewunderte" Person etwas mag, verfällt man dem plötzlich auch und spielt mit. Letztlich ändert man dabei sein Leben und ich finde das unfassbar, weil es eine große Illusion ist. Sobald die Person von der Bildfläche verschwunden ist, kommen neue Personen und mit diesen neuen Personen verändern sich die eigenen Spielregeln wieder. Das ganze Leben ist also ein Spiel und man spielt jeden Tag miteinander.

FF: Die Medien werden größte Manipulationsquelle unserer Zeit genannt. Ständig prasselt etwas auf uns ein, sodass wir schwer erkennen, welche Gedanken von uns stammen und welche von außen. Kennst du das?

JS: Ich persönlich wurde bisher nie so sehr von den Medien manipuliert, dass ich nicht mehr mein eigener Herr war. Dennoch stimmt es natürlich, dass Meinungen unfassbar schnell veränderbar sind. Liest man zum Beispiel eine Kritik zu einem Film, dann geht man schon voreingenommen in diesen Film hinein und kann damit nicht mehr auf seine eigenen Gedanken hören. Manchmal finde ich das ein bisschen traurig.

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FF: Wie kann man sich solch einer Manipulation erwehren? Sollte man kontinuierlich infrage stellen, was "das Eigene" und "das Andere" ist?

JS: Ich denke, dass diese Frage auf jeden Fall sinnvoll ist. Kritiken zu lesen oder Meinungen von Freunden zu hören, kann man ja kaum vermeiden, weil man sich jeden Tag austauscht. Wenn dein bester Freund z.B. einen Film blöd findet, dann gehst du wahrscheinlich nicht mehr offen in diesen Film. Völlig ausschalten lässt sich das nicht, aber trotzdem sollte man sich zumindest bewusst machen, dass man über solche Situationen manipuliert wird. Ist dieses Bewusstsein da, dann kann man sich zumindest bemühen, die "fremde" Meinung abzuschütteln und weniger voreingenommen auf Dinge zu gehen. Wenn man in dieser Art und Weise darüber reflektiert und sich das immer wieder klar macht, dann kann man gewinnen.

FF: Manipulation wird oft in einem eher reichen Milieu abgebildet. Woran liegt das?

JS: Ich glaube, oft denkt man im Sinne der Korruption daran, dass mit Geld vieles erkauft werden kann, wobei das für Spieltrieb keine Rolle spielt – Alev kauft Ada ja keine Dinge, um sie zu manipulieren. Dass hier ein reiches Milieu gewählt wurde, hat also nichts mit der Korruptions-Thematik zu tun. Warum auch immer scheint es ja schon vor Jahrhunderten so gewesen zu sein, dass man vom "Reichen" angezogen wurde. Sogar dann, wenn man es gar nicht will, schaut man oft zum "Reichtum" auf, weil man an Kostbarkeit denkt. Ein reiches Milieu kann auch magisch wirken, weil es meist ein anderes Milieu ist, als das, mit dem man sich vielleicht auskennt. Ich glaube, dass eine Filmhandlung in dieses Milieu versetzt wird, hat viel damit zu tun, dass man den Zuschauer das fremde Milieu spüren und erträumen lassen will. Wenn man dieselbe Geschichte in ein Ghetto versetzt, dann wünscht man sich als Zuschauer nicht, auch dort zu sein. Bei Spieltrieb wünscht man sich dagegen für einige Zeit in das Milieu hinein. Bevor man erkennt, dass das, was die Alev und Ada tun, falsch ist, entführt er sie in ein faszinierendes Leben – die beiden fahren mit dem Motorboot und gehen in Nachclubs. All das sind Dinge, die man als Zuschauer miterleben möchte, weil man sie toll findet.

FF: Spieltrieb wird relativ oft mit Eiskalte Engel verglichen. Zurecht?

JS: Ich bin mir nicht sicher, ob man Spieltrieb mit irgendeinem anderen Film vergleichen kann, aber natürlich hat Eiskalte Engel definitiv etwas mit Manipulation zu tun, sodass ich den Vergleich zumindest nicht ganz verkehrt finde. Ich kann also verstehen, wenn andere meinen, die beiden Filme vergleichen zu müssen, wobei ich selbst sie nicht gerne miteinander vergleichen würde, weil ich Spieltrieb als eigenständigen Film stehen sehen möchte.

FF: Ist der Schulalltag in Spieltrieb ein eher stilisierter, als realistischer?

JS: Es ist nicht der tatsächliche Schulalltag, den wir zeigen. Ich glaube, viele Leute werden denken: Hoffentlich ist das in der Schule meines Kindes nicht der Fall! Die Antwort ist: Es ist nicht der deutsche Schulalltag, den wir widerspiegeln. Was Juli Zeh sich da ausgedacht hat, ist ein Experiment. Sie hätte es in jeden anderen Kosmos setzen können, aber hat sich für die Schule entschieden, wobei das Sujet im Sinne einer Metapher für die Gesellschaft und deren Hierarchie zu verstehen ist.

FF: Wenn du an deine Schulzeit zurück denkst – wie hast du Schule erlebt?

JS: Ich hatte sehr viel Glück, weil mir die Schule sehr leicht gefallen ist. Ich habe Abitur gemacht und das Lernen fiel mir nie schwer. Während all der Zeit hatte ich selten Tage, an denen ich nicht zur Schule gehen wollte. Ich bin zwar nicht aufgestanden und habe der Schule entgegen gejubelt, aber ich mochte Schule 12 Jahre lang relativ gerne. Ich hatte also eine tolle Schulzeit, auf die ich gerne zurück blicke. Trotzdem lernt man all die wichtigen Dinge des Lebens wohl erst später. Dann ist man endlich in der Lage, für sich zu entscheiden, was einem wichtig ist. In der Schule wird dir beigebracht, was damals bei den Ägyptern passierte, oder dir wird beigebracht, was während der Französischen Revolution geschah, aber ein Jahr später weißt du es wahrscheinlich nicht mehr. Wenn einem nach der Schulzeit aber selbst einfällt, dass man auf einmal etwas über Geschichte wissen möchte, dann kauft man sich ein Geschichtsbuch und es liest sich wie ein spannender Roman.

FF: Hast du während der Schulzeit Systemprobleme bemerken können?

JS: Viele Probleme hatte ich nicht, aber ich denke, ein großes Problem deutscher Schule ist es, dass soziales Verhalten nicht "gelehrt" wird. Dass es Eliteschulen gibt, finde ich zum Beispiel verwerflich. Ich weiß nicht, ob das nur in Deutschland ein Problem ist, aber das, was einem Schulen hier nicht beibringen, ist es, mit Menschen umzugehen. Ich halte sehr viel von Stadtteilschulen, weil ich finde, dass man von klein auf mit Leuten aus anderen Schichten agieren sollte, um Menschen egal welcher Schicht in Zukunft mit Respekt zu behandeln, denn respektvoller Umgang miteinander ist der wohl größte Schatz, den man besitzen kann.

FF: Konkurrenz und Leistungsdruck werden in Spieltrieb als 2 Probleme unserer Zeit impliziert. Dein Beruf ist einer, für den Konkurrenz und Druck Alltag sind. Wie gehst du damit um?

JS: Das Absurde ist, dass ich zu Castings gehe und immer dieselben Gesichter sehe. Ich kenne meine Kollegen und privat sind einige meine Freunde. Ich bin also mit diesen Menschen befreundet und trotzdem "kämpfen" wir um den nächsten Job. Von Konkurrenzdenken und Neid halte ich aber nichts. Ich möchte, dass man sich für andere freuen kann. Wenn es mit einem Projekt für einen selbst nichts wird, dann hat das immer einen Grund – dann kommt etwas Neues oder es hat aus anderen Gründen eben nicht sein sollen.

FF: Ehrgeizig bist du also, aber nicht im konventionellen Sinne?!

JS: Ja. Ich weiß nicht einmal genau, inwieweit ich bewusst ehrgeizig bin. Eher ist es unterbewusst, ich habe es wohl irgendwo in mir. Ich habe ein ziemlich starkes Selbstvertrauen – vielleicht auch in meinem Auftreten, aber ich stelle mich nicht in einen Raum und denke: Hier bin ich! Auf viele Arten bin ich sogar sehr schüchtern. Trotz alledem habe ich tiefes Vertrauen darin, von der Schauspielerei leben zu können. Dieser Wunsch ist so tief in mir verankert, dass eigentlich gar nichts schief gehen kann. Ich bin überzeugt, dass ich diesen Traum leben kann – und in diesem Moment lebe ich ihn ja gerade.

FF: Alev ist sehr arrogant. Man geht davon aus, Arroganz entsteht meist, um Unsicherheit zu überspielen. Spielt das für Alev eine Rolle?

JS: Alev ist ein wirklich abgefahrener Charakter. Der Film verzichtet auf die Geschichte seiner Eltern und fokussiert die Geschehnisse zwischen Smutek und Ada, schließlich kann man ja nicht alle Aspekte des Buches in den Film packen. Dementsprechend hatte ich komplette Freiheit, mir eine Vergangenheit für Alev zu überlegen. Ich konnte mir als Rollenbiografie etwas ausdenken, was auch im Roman nicht erklärt wird – beispielsweise etwas, das passiert ist, als Alev noch ein Kind war. Diese Gefühlskälte und Stärke die er hat, lässt sich nur aufbauen, wenn man einmal am Tiefpunkt war. Ich habe also überlegt, was in Alevs Kindheit so dermaßen schief gegangen sein könnte, dass er angefangen hat, so zu sein. Was ich mir dazu ausgedacht habe, bleibt mein Geheimnis. Was ich aber sagen kann ist, dass er zur Zeit der Filmhandlung an einem Punkt angekommen ist, an dem Unsicherheit für ihn keine Rolle mehr spielt. Er weiß genau, was er zu tun hat und setzt seine Mittel gekonnt ein. Wer sagt denn zum Beispiel, dass er wirklich impotent ist, wie er behauptet? Er nutzt Sex als Hauptmachtmittel, was ihm gelingt, weil es wirklich wertvoll ist. Im Film gibt es 2 Momente, in denen er die Kontrolle kurz verliert. Dann kommt durch, dass er doch ein Mensch ist und kein Roboter, aber er fängt sich schnell wieder. Dass er ein unsicherer Mensch ist, würde ich also nicht unterschreiben. Er ist vollständig durchgeplant.

FF: Trotz dessen findet Alevs "Spiel" aus eher tragischen Gründen statt. Macht sein Hintergrund sein Verhalten leichter verzeihbar?

JS: Man könnte wohl Nächte damit verbringen, sich mit der Frage danach auseinander zu setzen, was gerechtfertigt ist und was nicht. Ich finde nicht, dass sein Verhalten gerechtfertigt ist. Nicht alles lässt sich darüber rechtfertigen, dass Alev eine tragische Figur ist. Er handelt bestialisch und böse. Das Problem ist, dass man als Mensch durchaus vom Diabolischen angezogen wird. Alev betritt diese Klasse und alle – ob Junge oder Mädchen – bemerken, dass er irgendetwas hat. Er setzt sich durch seine Sprache und sein Auftreten unmittelbar von anderen ab und ob man es nun toll findet, oder nicht, fühlt man sich von ihm angezogen, ohne dass man sich dem erwehren kann. Zu Anfang empfindet man ihn als coolen Typen und wenn es auch verkehrt ist, möchte man ihn so mögen, obwohl man weiß, dass er nur böse Dinge tut.

FF: Befreiung und Belebung spielen für den Film eine große Rolle. Was wirkt befreiend auf dich?

JS: Grundsätzlich empfinde ich es als befreiend, mein eigener Gott zu sein. Was Alev vorgibt bezwecken zu wollen ist, nicht nach den Regeln der Gesellschaft zu leben, die irgendwann beschlossen hat: erst Schule, dann Studium, danach Karriere. Auch ich finde es befreiend, für sich selbst herauszufinden, was richtig ist. Vielleicht möchte man beispielsweise die Freiheit haben, selbst zu entscheiden. Vielleicht möchte man reisen und die Welt erkunden und erst mit Mitte 20 studieren. Wer sagt denn, dass es nicht möglich ist, erst mit 30 ein Studium anzufangen? Natürlich lebe ich nach Werten und Normen – ich bin kein Nihilist – aber ich finde es wichtig, sich wenigstens etwas von den konservativen Gedanken der Gesellschaft zu lösen.

FF: Nach einer solchen Selbstbestimmtheit und Selbstständigkeit sehnt sich jeder. Von Natur aus sehnt der Mensch sich aber auch nach Gemeinschaft. Wie lässt sich das vereinen?

JS: Noch in der Schule findet man sich in fremdbestimmt festgelegten Gruppen wieder. Man wird zusammengewürfelt und muss die nächsten Jahre miteinander verbringen. Privat findet man seine Freunde schwerer. Sobald man aber auszieht, vielleicht auch in eine andere Stadt, ist man sein eigener Herr und sucht sich den Freundeskreis aus. Jeder sucht ja unbewusst Menschen als Freunde aus, die so ticken, wie man selbst. Ich habe Freunde, die genau die gleichen Gedanken haben, wie ich. Mit solchen Leuten findet man immer wieder zu einander. So lässt es sich vereinen, der eigene Herr zu bleiben und trotz dessen in Gemeinschaft und Gesellschaft zu leben.

FF: Ein paar der Szenen und Thematiken von "Spieltrieb" können leicht unangenehm werden. Wie wurde dem am Set entgegen gewirkt?

JS: Das Impotenz-Thema spielte ja beim Spielen keine Rolle. Um mit den Sexszenen in der Turnhalle umzugehen, gab es auf dem Set bestimmte Mittel. Bei solchen Szenen sind nicht alle Mitarbeiter dabei, sondern nur ein kleineres Team – das nennt sich dann "Closed Set". Ich hatte es leichter, als Michelle, weil ich die ganze Zeit über den Anzug getragen habe. Michelle hatte da das große Los gezogen, aber sie wurde sehr gut behandelt und es wurde immer darauf geachtet, dass sie behütet ist.

FF: Spieltrieb und auch Barbara, von dem du Teil warst, sind alles andere als reine Unterhaltungsfilme. Stellst du an Filme diesen Anspruch, oder sind dir Unterhaltungsfilme genauso recht?

JS: Ja. Würde ich das verneinen, dann würde ich lügen. Wenn man mit Kopfschmerzen im Bett liegt, dann möchte man wohl einfach nur einen Film sehen, der einem gut tut. Dennoch bevorzuge ich Filme, die mit mir etwas anstellen, mich zum Denken anregen und im besten Falle etwas in mir verändern. Bei der Rollenwahl achte ich darauf, wobei ich denke, dass das Miteinander und Gleichgewicht der Filme es ausmacht.

von Sima Moussavian

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