Nach dem Eröffnungsfilm am Mittwoch ging das Japan-Filmfest am Donnerstag richtig in die Vollen. Ich hatte das Vergnügen, drei Filmen sehen zu können, die alle einem anderen Genre zuzurechnen sind. Aber eine Gemeinsamkeit hatten sie dann doch: Es waren alles internationale Premieren. Los ging es mit dem stark künstlerisch geprägten Drama Tokyo Shutter Girl (Tôkyô shattâ gâru), gefolgt vom zweiten Teil der Manga-Comedy-Verfilmung Nana to Kaoru 2 (Nana to Kaoru dainishô), und in der letzten Vorführung gab es dann den Psychothriller Judge (Jujji) zu sehen. Der Tag startete gemächlich, wurde zum Abend hin aber immer vielversprechender.
Tokyo Shutter Girl (2013)
(Tôkyô shattâ gâru)Hinter dem Titel verstecken sich drei eigenständige Filme, die von drei verschiedenen Regisseuren aus drei verschiedenen Blickwinkel inszeniert wurden. Was allen gleich ist, ist die zentrale Leitfrage, nach dem Sinn der Fotografie und ihrer Auswirkungen auf den Menschen und seine Umgebung. Die Suche nach einer Antwort wird dabei auf höchst unterschiedliche Art und Weise bestritten.
Der erste Teil wurde von Macoto Tezka inszeniert. Das Besondere seiner Version ist, dass sie nur schwer verdaulich für Freunde des bewegten Bildes ist. Es wird sehr viel mit Fotos/Standbildern gearbeitet, die Wichtigkeit der Handlung geht gegen null. Seine Version sieht sich vielmehr wie eine Dokumentation, in deren Vordergrund allein das Fotografieren steht. Für mich persönlich war es von allem zu wenig. Tezka hat in einer sehr verschlüsselten Bildersprache gesprochen, die nicht jeder Zuschauer verstanden haben dürfte. Ich muss zugeben, dass ich nicht viel mit Fotografie zu tun habe, wenngleich ich auch Fotos etwas Ästhetisches abgewinnen kann. Aber dem Auftakt des Dreigespanns konnte ich schlicht und ergreifend nichts abgewinnen. Und genau daran schließt auch der folgende Teil an.
Im zweiten Teil führte Motoyuki Kobayashi Regie. Hier wird zwar mehr gesprochen, aber es wird philosophischer. Denn sämtliche Dialoge und vor allem Monologe haben nur die zentrale Frage „Was ist ein Foto?“ beziehungsweise die Suche nach deren Antwort zum Ziel. Die Sinnsuche beginnt beim Foto und endet im Leben selbst. Es wird viel mit expressiven Bildern gearbeitet, auch hier spielt die Handlung nur eine untergeordnete Rolle. Es ist ein Versuch, eine Definition für die Leidenschaft des Fotografierens zu finden. Am Ende steht jedoch keine Antwort, sondern die Bestätigung für die Komplexität der Frage. Der Bezug zu den Protagonisten fehlt nahezu komplett, sodass man an seiner eigenen Empathie zu zweifeln beginnt. Die Charaktere leben in ihrer Traumwelt und sind nur schwer nahbar. Doch wahrscheinlich soll man nur beobachten, wie es das Objektiv einer Kamera vorgibt. Wir sollen die Hauptcharakterin bei ihrer Sinnsuche begleiten und daraus für uns selbst einen Schluss ziehen. Das funktioniert aber nicht wirklich, da die der Interaktivität, die das Medium Film bieten kann, nicht genutzt wird. So bleibt einem nur das Abwarten auf den Abspann, der weitere mögliche Antworten auf die zentrale Frage präsentiert.
Der dritte Teil stammt von Kotaro Terauchi und ist der Lichtblick des Dreigespanns. Umsetzungstechnisch ist er auch für Fotolaien wie mich verständlich. Er setzt sich etwas von der rein künstlerischen Ebene ab, ohne weniger tiefgründig nach einer Antwort zu suchen. Er nähert sich dem Thema jedoch auf eine humoreske Weise und macht ihn dadurch nahbarer. Die Handlung beschränkt sich auf ein sehr schmales Fenster, in dem nur wenige Charaktere eine Rolle spielen. Aber sie ist spürbar vorhanden und wird auch bewegter dargestellt. Wobei sich bewegter nicht nur auf die witzigen Einlagen bezieht, sondern auch auf die Szenenbilder. Es ist spürbar mehr Dynamik vorhanden als in den ersten beiden Parts. Das hätte den anderen beiden Teile auch gut gestanden.
Insgesamt konnte der Dreiteiler Tokyo Shutter Girl nicht überzeugen. Das stark Künstlerische dürfte nur echte Fotokenner und vor allem Fotoliebhaber in ihren Bann ziehen. Für alle anderen ist es schwer, die Sinnsuche über eineinhalb Stunden mitzuverfolgen.
1,5/5 Sterne
Nana to Kaoru 2 (2012)
(Nana to Kaoru dainishô)Passend zum Herrentag habe ich mich für einen leicht pervers anmutenden Film entschieden. Auch wenn ich den ersten Teil der Serie nicht gesehen habe, reizte mich zu sehen, wie es gelungen ist, die Manga-Vorlage von so einem Stoff in einen „echten“ Film umzuwandeln. Und was soll ich sagen: Es funktioniert – zumindest am Anfang.
Kaoru (Rakuto Tochihara) ist ein Außenseiter, der nicht viel zu bieten hat und auch mit seinen Mitmenschen nicht sonderlich „normal“ umgeht. Das brachte ihm an der Schule schnell den Ruf des Perversen (hentai) ein. Niemand will etwas mit ihm zu tun. Außer eine: Nana (Miko Aono). Sie ist das komplette Gegenteil von Kaoru. Sie ist eine Einserschülerin und bei allen beliebt. Doch ihre Beliebtheit bedeutet vor allem eins für sie: Stress. Und da kommt Kaoru ins Spiel. Denn er weiß, wie sie diesen Stress abbauen kann. Mithilfe von SM-Praktiken entführt er Nana in eine gefühlsmäßige Parallelwelt. Sie wirkt anfangs immer etwas verschreckt, gibt sich dann aber ohne Einschränkungen Kaorus Fantasien hin. Dabei kommen sich die beiden jedoch nie zu nahe, sehr zu Kaorus Leidwesen. Es steht vor allem der Stressabbau von Nana im Vordergrund. Aber als die beiden durch einen Zufall in einer Waldhütte zusammen nächtigen müssen, scheinen sie sich besonders nahe zu kommen. Ein neuer Höhepunkt für die beiden ist in greifbarer Nähe.
Nana to Kaoru 2 bietet vor allem am Anfang eine frische Idee und setzt diese auch gekonnt um. Ich bin der festen Überzeugung: Den ersten Teil kann man getrost ignorieren. Ziemlich schnell wird klar, worum es geht und wer die Hauptpersonen sind. Der Witz des Films lebt vor allem von den perversen Fantasien Kaorus, die immer wieder die Situation ins Lächerliche abgleiten lassen. Und das funktioniert wirklich großartig, besonders am Anfang. Vor allem seine Nachhilfe im Sexshop ist höchst amüsant. Die Idee ist spritzig und neu, die Charaktere sind passend. Der Film sieht sich in der Tat so, wie man sich die Manga-Vorlage von Ryûta Amazume dazu vorstellt. Besonders in der ersten Hälfte sind die plötzlich ins Komische gleitende Situationen extrem unterhaltsam. Zum Ende hin nervt es jedoch etwas, dass es immer nur auf einer freundschaftlichen – wenn auch gedanklich sehr intimen – Ebene bleibt. Vielleicht leidet man als Mann auch einfach mehr mit, da man sich mitfühlend fragt, wie Kaoru sich nur so ausnutzen lassen kann.
Für Leute, die auf eine ausgefeilte Handlung hoffen, ist der Film nichts. Für alle anderen bietet er die Gelegenheit, einfach mal wieder ungezwungen zu lachen.
3,5/5 Sterne
Judge (2013)
(Jajji)Der letzte Film am Donnerstag war zugleich auch mein Tageshighlight. Der Psychothriller bildete einen netten Abschluss und entschädigte für einen mäßigen Einstieg in den Filmfesttag.
Sieben Personen wachen in einem karg eingerichteten Raum auf. Die Gesichter sind hinter Tiermasken versteckt. Sie sitzen festgekettet an einem Tisch und haben keine Ahnung, was mit ihnen geschieht. Sie wurden entführt, eingesperrt und befinden sich mit ihnen völlig fremden Personen in einem Raum. Doch so verschieden, wie sie anfangs glauben, sind sie nicht. Sie sind durch ihre Taten, die jeweils einer der sieben Todsünden entsprichen, verbunden. Ihre Aufgabe: Sie sollen abwägen, wessen Tat am schlimmsten war, um ihn schließlich exekutieren zu lassen. Dafür haben sie nur begrenzt Zeit. Entscheidend für die Verurteilung ist das Mehrheitsprinzip: Derjenige, der die meisten Stimmen hat, stirbt. Wer das letzte Urteil überlebt, ist frei. So die Regeln. Und ziemlich schnell wird klar, dass das Ganze von außen gesteuert wird und sie permanent durch die Videokameras beobachtet werden.
Wie man schon der Inhaltsbeschreibung entnehmen kann, ist Judge eine Mischung aus SAW, Cube und dem japanischen Psychothriller The Incite Mill (Inshite miru: 7-kakan no desu gêmu). Ein Schauplatz reicht für den gesamten Film: ein wenig ausgeleuchteter grauschwarzer Raum. In dieser Umgebung geht es nur ums Überleben. Doch das haben die anderen in der Hand. Das Vertrauen von sieben sehr unterschiedlichen Menschen unter Zeitdruck und der Angst vor dem eigenen Tod ist dabei verständlicherweise nicht besonders stark untereinander. Die Situation ist also extrem angespannt, das spürt auch der Zuschauer. Diese Spannung wird von Anfang bis Ende aufrechterhalten. So plötzlich, wie der Zuschauer sich in diesem Raum befindet, wird er auch wieder rausgeschmissen. Wenn man die drei oben genannten Filme kennt – allen voran den The Incite Mill –, bietet der Film kaum neue Elemente. Aber die Kombination aus Altbekanntem zu einer neuen Story funktioniert trotzdem. Und auch das Tempo und die Gesamtdauer tragen ihr Übriges zu einem unterhaltsamen Werk bei. Die knapp eineinhalb Stunden Spielzeit ziehen den Film nicht unnötig in die Länge und entlassen den Zuschauer gut unterhalten. Einzig die ungelöste Cube-Frage muss dieser mit nach Hause nehmen: Wer steckt hinter dem Ganzen?