Ein weiterer Tag auf dem JFFH ist vorbei. Diesmal ging er besonders schnell um, da ich für drei Filme, die kurz hintereinander liefen, in drei verschiedene Kinos musste. Dafür haben sich vor allem die ersten beiden Filme richtig gelohnt: der Scifi-Actioner mit Tiefgang Slum-Polis und der total abgedrehte Psychothriller Greatful Dead. Die Weltpremiere von Toyko Lovers am Abend hat mich trotz Stargast leider nicht überzeugen können. Doch lest selbst.
Slum-Polis (2014)
(Slum-Polis)Japan in den 2040er-Jahren: In einer vom Erdbeben zertrümmerten Stadt liegt als einer von drei Bezirken Slum-Polis. Dort herrscht das Gesetz des Stärken. Die meisten leben in bitterer Armut, sodass Schulden und Drogen den Alltag der Menschen bestimmen – und dadurch auch menschenverachtende Gewalt. Joe (Hôryû Nishimura) und Asu (Hidenobu Abera) versuchen gemeinsam irgendwie in dieser Welt zu überleben. Als sie die Prostituierte Anna (Ryôko Ono) treffen, beginnt ihr Leben sich endlich wieder mit Inhalt zu füllen. Sie haben Ziele, Pläne für die Zukunft, und sie haben sich. Doch kann eine solche Freundschaft in einer Welt wie Slum-Polis überhaupt Bestand haben? Spätestens wenn aus Freundschaft Liebe wird, kann Blindheit gefährlich werden. Die Sehnsucht nach einem besseren Leben wächst, und dafür legen sie sich sogar mit der Slum-Polis beherrschenden Mafia an. Ein nahezu aussichtsloses Unterfangen.
Es ist wirklich kaum zu glauben, dass Slum-Polis der Abschlussfilm eines Uni-Studenten ist. Regisseur Ken Ninomiya hat ein zweistündiges Werk geschaffen, dass an die Arbeiten einiger langjähriger Meister locker heranreicht. Man merkt, dass ihm die Kunst hinter seiner Arbeit enorm wichtig ist. So nutzt er Musik und Malerei als Möglichkeit, seine Protagonisten von ihrem grauen Alltag Abstand gewinnen und in ihren Werken aufblühen zu lassen. Aber, und das finde ich für einen Abschlussfilm einer Kunsthochschule enorm, der Film wirkt nicht übertrieben ambitioniert. Ninomiya hat tolle Charaktere geschaffen, die von tollen Schauspielern authentisch umgesetzt wurden. Auch technisch ist der Film – bis auf an zwei, drei Stellen mit nervigen Kamerafahrten – gelungen. Das Besondere an Slum-Polis ist jedoch die Atmosphäre. Dadurch, dass der Film an Originalschauplätzen von Fukushima, das durch das Erdbeben und den Tsunami nahezu komplett zerstört wurde, gedreht wurde, erhält der Film eine ganz eigene Stimmung.
Mit Slum-Polis hat Ken Ninomiya ein Start ins Regisseurleben geschafft, wie es nur den wenigsten gelingen dürfte. Es ist erfrischend zu sehen, wie er sich Dinge darzustellen wagt, die Hollywood sich nie trauen würde. Bis auf technische Kleinigkeiten und ein paar Längungen ein tolles Filmerlebnis und ein großartiger Start in den Festivaltag.
4/5 Sterne
Greatful Dead (2013)
(Gureitofuru deddo)Das Gefühl der Einsamkeit kennen in Japan viele, vor allem ältere Menschen. Die junge Nami (Kumi Takiuchi) freut sich über diese Tatsache umso mehr, seit sie ein außergewöhnliches Hobby für sich entdeckt hat. Sie beobachtet einsame Menschen. Das klingt schon recht ungewöhnlich, aber ihr Hobby ist weitaus umfassender. Denn noch mehr freut sie sich, wenn diese Menschen auch sterben. Dabei ist sie auch gern behilflich. Schnell wird klar, dass das Aufmerksamkeitsdefizit, dass ihre Familie ihr in frühester Kindheit entgegenbrachte, aus dem süßen Mädchen eine psychisch stark angeschlagene Killerin gemacht hat. Eines Tages trifft sie auf einen älteren Mann (Takashi Sasano), der zunächst das perfekte Opfer zu sein scheint: alt, verzweifelt, allein. Doch dann fasst dieser Mann mithilfe der Bibel neuen Lebensmut. Das passt Nami gar nicht. Schließlich greift sie ein und versucht beim Sterben nachzuhelfen. Dabei ist ihr jedes Mittel recht. Doch der Lebenswille des Mannes ist mittlerweile so sehr erstarkt, dass Nami schwer zu kämpfen hat, ihren Plan umzusetzen.
Aus amüsanter Heiterkeit lässt Regisseur Eiji Uchida im Laufe des Films ein perfides Psychospiel werden. Raffiniert lässt er den Zuschauer zunächst eine Beziehung zu der sympathischen Hauptdarstellerin aufbauen. Als man jedoch herausfindet, dass sich hinter ihrer unscheinbaren, unbeschwerten Fassade eine skrupellose Täterin befindet, gerät man gefühlsmäßig in Stocken. Das macht den größten Reiz dieses Films aus. Das Komische überwiegt dabei stets, die Ernsthaftigkeit des Themas versteckt sich eher im Hintergrund. So nimmt sich der Film nicht zu ernst, wirkt frisch und spannend zugleich und zudem extrem lustig. Die Entwicklungen der beiden Hauptcharaktere wurde perfekt in Szene gesetzt, auch schauspielerisch eine großartige Leistung. Die Genre Psychothriller und Komödie wurden auf sehr unterhaltsame Weise verwoben, was den den Film oft unfreiwillig komisch wirken lässt, auch wenn es im wahrsten Sinne des Wortes todernst wird.
Ich hätte bei dem Thema einen weitaus ruhigeren, ernsteren Film erwartet und bin umso besgeisterter, dass er so geworden ist, wie er ist. Greatful Dead ist verrückt, aber nicht übertrieben albern, lebt von seinen tollen Charakteren und der Spannung. Wäre das Ende nicht so sehr in die Länge gezogen, wäre es perfekt gewesen.
4,5/5 Sterne
Tokyo/Lovers (2013)
(Koibitotachi)Japan, 2011, nach der Katastrophe von Fukushima. Eine Englischlehrerin (Tomoko Hayakawa) und ein professioneller Tänzer (Takuya Ikeno) haben eine sehr eigenwillige Beziehung zueinander. Zunächst scheint alles perfekt, doch letztendlich zerbricht sie an trister Lieblosigkeit. Zeitgleich demonstrieren Menschen in Tokyo gegen die Atomkraft, sie fordern ein Ende und wollen ein weiteres Fukushima verhindern. Andere Menschen haben mit ganz persönlichen Problemen zu kämpfen, die direkt aus der Katastrophe resultieren. Einsamkeit, Alltag, Widerstand, Resignation, Angst. Ein positives Gefühl wie die Liebe ist schwerer zu erreichen als je zuvor in diesem grauen Tokyo nach dem 11. März 2011.
Neben der Tatsache, dass es sich um eine Weltpremiere handelte, war ich sehr gespannt, was der Regisseur Kôtarô Irakawa zu seinem Werk zu sagen hatte. Nach einem munteren „Moin, moin!“ und „Viel Spaß mit dem Kino!“ ging es erst mal mit dem Film los. Und schon die erste Szene schien nicht enden zu wollen und wurde dann von einem Lichtspiel abgelöst, das jedem Epileptiker und Nicht-Epileptiker zu schaffen macht. Tokyo/Lovers wurde nahezu komplett in Schwarz-Weiß-Optik gehalten, bei der man die Farben nur erahnen konnte. Sprache in Worten spielte nur eine untergeordnete Rolle, es wurde vielmehr über die Szenen und deren Bilder kommuniziert. Das ließ den Film wie ein Kunstwerk wirken, was auch gar nicht verwerflich klingen soll. Es hat auf eine passende Art die Einsamkeit und verzweifelte Suche der Menschen nach Glück in einer der einsamsten Städte der Welt dargestellt. Problematisch wurde es jedoch, wenn die Kamera zu stark ins Zittern abgeglitten ist und Szenen zu sehr aus ein und derselben Perspektive abgelaufen sind. Besonders Letzteres ließ den Film sehr langatmig und zäh wirken, sodass sich ein Blick auf die Uhr nicht mehr vermeiden ließ. Um Tokyo/Lovers vollends begreifen zu wollen, müsste man jede Szene einzeln analysieren, was in diesem Umfang jedoch eine Zumutung für den Zuschauer ist. Viele Szenen wirken dadurch wahllos und ohne Zusammenhang aneinandergereiht, viele Nebencharaktere werfen mehr Fragen auf als Antworten. Es passte einiges einfach nicht zusammen.
Irakawa bestätigte in der Diskussion nach dem Film, dass er an einigen Stellen selbst nicht erklären konnte, warum sie beispielsweise plötzlich farbig waren. Auch der Zeitablauf des Films war ihm irgendwann nicht mehr klar, sodass er sehr viel aus seinem Gefühl heraus entschieden hat. Entstanden ist dadurch ein Film, in dem er seine sehr persönlichen Erfahrungen mit der Katastrophe einbaute. Er wollte zeigen, dass Liebe und Fukushima jedem passieren können und dass die Menschen dadurch miteinander verbunden sind. Zweifellos eine sehr schöne Botschaft. Der Film, in dem diese verpackt wurde, ist aber zu schwer, um diese Botschaft auch an viele Menschen heranzutragen. Gern hätte ich mehr Punkte gegeben, aber leider hat mich der Film nicht so erreicht, wie es sich der Regisseur gewünscht hat. Und ich glaube nicht, dass ich mit diesem Gefühl der Einzige bin.