John Wick: Kapitel 4 (2023) Kritik

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John Wick: Chapter 4, USA 2023 • 169 Min • Regie: Chad Stahelski • Mit: Keanu Reeves, Donnie Yen, Ian McShane, Shamier Anderson, Bill Skarsgård, Hiroyuki Sanada, Rina Sawayama, Scott Adkins, Clancy Brown, Marko Zaror • FSK: ab 18 Jahren • Kinostart: 23.03.2023 • Deutsche Website

Handlung

John Wick (Keanu Reeves) kümmert sich wieder mit einem unerschöpflichen Waffenarsenal im Alleingang um das Problem der Überbevölkerung.

Kritik

Eine Faustregel unter Filmfans besagt, dass Fortsetzungen meist nicht so gut sind wie die Originale. Natürlich gibt es berühmte Ausnahmen, doch es gibt auch einen nachvollziehbaren Grund, weshalb Sequels und Prequels es nicht leicht haben. Colin Firth hat das mir gegenüber in einem Interview zum ersten Kingsman-Film gut auf den Punkt gebracht: Die Fans wollen bei einer Fortsetzung einerseits wieder das erleben, was sie am ersten Film mochten, und andererseits wollen sie nicht dessen exakte Kopie sehen. Es ist eine schwierige Gratwanderung zwischen Innovation und Originaltreue für die Filmemacher.

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Letztlich funktionieren Franchises nach einer bewährten Formel. Denn bei aller Kritik an mangelnder Originalität haben viele Fans konkrete Erwartungen, wenn sie den neusten Star-Wars-, James-Bond-, Scream– oder Marvel-Film sehen. Weichen Filmemacher zu sehr von dieser Formel ab, riskieren sie es, die unbändige Wut der eingefleischten Fans auf sich zu ziehen, wie David Gordon Green mit Halloween Ends und Rian Johnson mit Star Wars – Die letzten Jedi erlebt haben.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 1Manche Franchises finden ihr Erfolgsrezept nicht schon mit dem ersten Film, sondern mit einer der Fortsetzungen. Fast & Furious ist ein Paradebeispiel dafür, denn niemand hat den ersten Teil gesehen und dabei gedacht, dass die aufgemotzten Autos irgendwann in den Weltraum fliegen würden, und doch scheint dies ab dem fünften Teil eine durchaus natürliche Weiterentwicklung zu sein. Auch die John-Wick-Reihe mit Keanu Reeves funktioniert nach einer Formel, die erst mit dem zweiten Film wirklich finalisiert wurde. War der erste Film noch die simple Geschichte eines Profikillers im Ruhestand, der 77 Menschen tötet, um den Mord an dem Hund seiner verstorbenen Ehefrau zu rächen, handelt die Reihe ab ihrem zweiten Kapitel von Johns Konflikt mit dem geheimnisvollen und allmächtigen Verbrechersyndikat Hohe Kammer, dessen heilige Regeln er bricht und dafür regelrechte Armeen von Profikillern effizient und gelegentlich auch kreativ aus dem Weg räumen muss.

Um sich auf das Universum von John Wick einzulassen, muss man als Zuschauer akzeptieren, dass diese Filme, wie auch die neuen Fast-&-Furious-Teile, in einer Parallelwelt existieren, in der eigene Gesetze der Physik und der Widerstandsfähigkeit des menschlichen Körpers herrschen. Große Faszination übt die John-Wick-Reihe auch durch ihr Worldbuilding aus, das eine massive kriminelle Unterwelt mit eigenen Regeln, Mechanismen, kuriosen Begriffen und alten Traditionen entwirft, die von Film zu Film komplexer wird. Im Mittelpunkt des Ganzen steht Keanu Reeves. Reeves wird vermutlich nie einen Oscar gewinnen, doch als stoischer Actionstar sucht der 58-Jährige Seinesgleichen. Als souveräne Killermaschine John Wick, die keinen anderen Weg vorwärts mehr sieht, als alle und jeden, die sich ihm in den Weg stellen, zu töten, wurde Reeves vielleicht die Rolle seines Lebens auf den Leib geschrieben, die inzwischen so synonym mit einer unaufhaltsamen Actionikone geworden ist wie Rambo es in den Achtzigern war.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 2Weil Kritiker und Zuschauer die bisherige Formel der zunehmend erfolgreicheren Filme lieben, wird von dieser nicht abgewichen. Stattdessen bedient sich Regisseur Chad Stahelski der anderen inoffiziellen Hollywood-Regel, die besagt, dass Sequels in jeder Hinsicht größer als ihre Vorgänger ein müssen. Das ist der Grund, weshalb Fortsetzungen heutzutage immer ausschweifendere Laufzeiten haben und in diesen Trend fügt sich John Wick: Kapitel 4 nahtlos ein. Über fast drei Stunden dezimiert John Wick wieder Horden meist gesichtsloser und austauschbarer Gegner, häufig mit präzisen Kopfschüssen in bester Egoshooter-Manier, aber auch mit Messern, Nunchakus und bloßen Fäusten. Auch ein Bleistift hat wieder einen Gastauftritt als Waffe, wird zur Abwechslung jedoch nicht von John Wick verwendet.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 3Neu ist der Einsatz fahrender Autos als Waffen, gegen die Gegner geworfen werden. Das sieht einerseits verdammt cool aus, andererseits hat der Zusammenstoß eines menschlichen Körpers mit einem schnell fahrenden Auto zumindest für größere Figuren des Films die Wirkung eines lästigen Mückenstichs oder bestenfalls eines gestoßenen Knöchels. Dasselbe gilt auch, wenn man mehrere Stockwerke tief stürzt und gegen einen Müllcontainer prallt oder eine sehr lange Steintreppe herunterpurzelt. Mit der realen Welt hat die Action von John Wick: Kapitel 4 längst nichts mehr zu tun. Ob in der japanischen Version des Continental-Hotels, in den dunklen Gassen von Paris oder zu Pferd mitten in der Wüste ist John Wick immer adrett mit einem maßgeschneiderten und maximal kugelsicheren Anzug bekleidet, auf den seine Gegner auch immer brav zielen, jedoch nie auf seinen Kopf. Überhaupt lässt die Treffsicherheit der vermeintlichen Superkiller sogar aus nächster Nähe zu wünschen übrig, wenn es dem Drehbuch gerade passt.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 4Doch man geht nicht in John Wick, um bodenständige, realistische Action zu sehen. Man will virtuose Choreografie, stylische Inszenierung und immer wieder neue, kreative Wege, wie John Wick seine Widersacher erledigt und auch brenzligsten Situationen verletzt, aber lebend davonkommt. Kapitel 4 ist sehr darum bemüht, all das zu bieten und neue Maßstäbe der Reihe in puncto Action zu setzen. Gerade anfangs sind die Szenen wirklich atemberaubend. Doch in seinen epischen Ambitionen überstrapaziert der Film die Aufnahmefähigkeit der Zuschauer bei ausgedehnten Nonstop-Actionsequenzen und wenn John Wick dann seinem 80. Gegner in 15 Minuten mehrfach in den Kopf schießt, ist das irgendwann ermüdend und abstumpfend. Hatten die letzten Filme noch genau das richtige Maß an Over-the-Top-Action, treibt es das vierte Kapitel etwas zu weit, um auf Teufel komm raus ein Magnum Opus des Genres zu sein.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 5Es sind jedoch nicht nur die Actionszenen in John Wick: Kapitel 4, die bleibenden Eindruck hinterlassen, sondern auch einige der neuen Charaktere, allen voran Donnie Yen als blinder Profikiller Caine, der von Bill Skarsgårds herrlich unangenehmem, arrogantem Antagonisten Marquis de Gramont mit einer Drohung gegen seine Tochter dazu erpresst wird, seinen alten Freund John zu jagen. Der Konflikt zwischen Wick und Caine ist einer der interessantesten Aspekte des Films, denn erstmals steht John nicht nur einem wirklich ebenbürtigen Gegner gegenüber, sondern auch jemandem, dessen Versagen tödliche Konsequenzen für eine unschuldige Person haben. Yen stiehlt in allen seinen Szenen mühelos die Show und beweist auch mit fast 60 Jahren, dass er vermutlich der größte Martial-Arts-Star seiner Generation ist. Der Film findet kreative Wege zu zeigen, wie Caine seine Sehbehinderung im Kampf ausgleichen oder sogar zum Vorteil nutzen kann, sodass man wirklich das Gefühl bekommt, dass John Wick diesmal einen würdigen Widersacher hat.

John Wick Kapitel 4 (2023) Filmbild 6Erwartet man von Donnie Yen als Genrekenner von vornherein einen starken Auftritt, überrascht inmitten des großen Ensembles ausgerechnet Newcomerin Rina Sawayama als Akira, Tochter des Managers (Hiroyuki Sanada) des Osaka Continental. In ihrer allerersten Filmrolle ist die Sängerin eine wahre Naturgewalt, die in Actionszenen sehr überzeugend ist, John Wick aber auch mit Verbitterung daran erinnert, welche gravierenden Konsequenzen seine Entscheidungen für seine wenigen Freunde und Verbündeten nach sich ziehen. Mit dieser Wahrheit wird John Wick wiederholt im Laufe des Films konfrontiert. Auf diese Weise rechnet Kapitel 4 mit den Ereignissen seiner Vorgänger ab und führt die bisherige zentrale Handlung der Reihe zu einem konsequenten, versöhnlichen Abschluss. Wüsste man nicht, dass John Wick 5 mehr oder weniger offiziell angekündigt wurde, könnte man Kapitel 4 auch als großes, versöhnliches Finale der Reihe betrachten, das Keanu Reeves als John Wick endgültig in das Pantheon der ganz großen Actionhelden erhebt.

Fazit

John Wick: Kapitel 4 setzt alles daran, um das Vermächtnis der Reihe als eins der spektakulärsten Action-Franchises aller Zeiten mit einem fast dreistündigen Magnum Opus zu zementieren. Dabei entfernt sich der Film noch weiter von jeglichem Anschein einer realen Welt und macht keinen Hehl daraus, absurder und unterhaltsamer FSK-18-Action-Slapstick zu sein. Keanu Reeves ist in Topform als Stehaufmännchen John Wick, während Donnie Yen als blinder Killer die Show stiehlt und Newcomerin Rina Sawayama sich als Naturgewalt entpuppt, von der man nicht genug bekommen kann. Die ausgedehnten, virtuosen Actionsequenzen des Films sind kreativ, sehr stylisch inszeniert, strapazieren jedoch unweigerlich die Sinne und die Geduld und wirken ermüdend. Immerhin nutzt der Film seine ausufernde Laufzeit auch dazu, die Handlungsstränge der ersten drei Filme zu einem konsequenten, versöhnlichen (und vorläufigen?) Abschluss zu führen und Reeves als John Wick endgültig ein Denkmal zu setzen.

Trailer

https://youtu.be/I04tlU7CRPA

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