Joker, USA 2019 • 122 Min • Regie: Todd Phillips • Produktion: Todd Phillips, Bradley Cooper, Emma Tillinger Koskoff • Drehbuch: Todd Philipps, Scott Silver • Mit: Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Frances Conroy, Brett Cullen, Shea Whigham, Bill Camp • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 10.10.2019 • Website
Was hat man nicht für Luftsprünge gemacht, als bekannt wurde, dass Charakterdarsteller Joaquin Phoenix (Walk the Line, Her) einen der faszinierendsten (Comic)Bösewichte verkörpern wird, noch dazu als Hauptfigur. Die Nachricht war eine erlösende Verheißung. Endlich werden wir wieder einen tollen Joker sehen. Endlich werden wir wieder einen ernsthaft guten DC-Film sehen! Heath Ledgers einzigartige und posthum oscarprämierte Verkörperung des mordenden Clowns in Christopher Nolans The Dark Knight (2008) blieb nach dessen tragischen Tod leider auch die einzige und Jared Letos (Requiem for a Dream, Blade Runner 2049) mehr als eigenwilliger Joker im unterirdisch schlechten Suicide Squad (2016) (unsere Kritik) führte zu Ernüchterung: Das war es dann wohl. Nur zwei Joker, die man sich in nur zwei guten Filmen immer wieder ansehen kann: Jack Nicholson in Batman (1989) und Heath Ledger. Aber jetzt haben uns Regisseur Todd Phillips (Road Trip, Hangover) und Joaquin Phoenix einen dritten beschert! Und der ist fast perfekt…
Mit Joker tritt Todd Phillips in die Fußstapfen von Alan Moore und geht der Frage nach, wie man zum gleichnamigen Schurken wird. In dessen Comic Batman: The Killing Joke von 1988 – klare Leseempfehlung an dieser Stelle – fasst es Mastermind Moore mit den Worten „Alles, was es braucht, ist ein schlechter Tag.“ zusammen. Wenn man einen niederschlagenden Lebenslauf vorweisen kann, ist das nachvollziehbar und damit guter (Zünd)Stoff, mit dem wir uns als Leser beziehungsweise Zuschauer identifizieren können. Na, dann wollen wir mal!
Der einsame Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) sucht im verrußten und sozial unausgeglichenen Gotham City nach Anschluss. In dieser feindseligen Stadt schlägt er sich als Clown durch und bringt mit seinem Verdienst mehr schlecht als recht auch seine bettlägerige Mutter Penny (Frances Conroy) über die Runden. In seiner Freizeit träumt Arthur seinem Idol, dem Comedian und Fernsehstar Murray Franklin (Robert De Niro), nach. Doch Arthurs Anstrengungen, es ihm gleichzutun, scheitern und so entfernt sich der soziale Außenseiter weiter von seinen Mitmenschen…
Gleich zu Beginn steht Arthur Fleck, der sich gerade für seinen Job als Verkaufsclown schminkt, im Fokus und zieht die Kamera langsam an sich heran, bis es nicht noch näher geht. Und dann wird ohne ein Wort alles gesagt, was man über diesen Mann wissen muss. „My mother always tells me to smile and put on a happy face…“, erklärt er später. Doch vor dem Schminkspiegel sehen wir, dass dieses Credo ihm mehr Bauchschmerzen bereitet, als motiviert. Er zwingt sich ein Lächeln auf und überlebt gerade so einen weiteren unglücklichen Tag. An diesem wird er auch noch von Jugendlichen verprügelt, ehe er seiner Sozialarbeiterin klar macht, dass es rein gar nichts in seinem Leben gebe außer negativen Gedanken.
Es gibt nichts zu lachen und doch ist das erste, was der Zuschauer nach der Titeleinblendung sieht, ein Lachkrampf der Titelfigur. In den nächsten Momenten hatte ich gleich mehrere Ideen, warum Arthur sich nicht mehr einkriegt. Allmählich wirkt es eher verkrampft, dann schneidet man zur ernst dreinblickenden Frau gegenüber, bis Arthur sich wehleidig beruhigt und schließlich in fast schon philosophischer Reflektion fragt, wer hier eigentlich verrückt sei. Als würde er für eine Rolle vorsprechen – tut er aber nicht. Kurz darauf entpuppt sich sein Lachen als Krankheit und tragisches Handicap. Die Einführung seiner Figur ist eine lakonische Antithese und spiegelt die Essenz seiner zerrissenen Persönlichkeit sowie dessen Problematik, sich in die Gesellschaft zu integrieren, wider.
Joker ist eine eingehende Charakterstudie und keine Präsentation der berühmt berüchtigten Mordspiele des verrückten Clowns, auch nicht mit voranschreitender Spielzeit. Das heißt beileibe nicht, dass wir keine Gewaltausbrüche serviert bekommen, doch sind diese wohl bedacht portioniert und im Grunde auch nicht mehr als eben genau das. Grausame Taten eines unberechenbaren Mannes, der sich gegen eine scheinbar gegen ihn gewandte Gesellschaft wehrt.
Im Kern handelt der Film von der Suche nach Anerkennung. Und was freut jemanden mehr, als wenn andere über unsere eigenen Witze lachen? Das ist eine wunderbare Bestätigung. Arthurs traurige Erfahrung jedoch ist, dass wirklich niemand ihn lustig findet und daran verzweifelt er. Dass er nicht begreift, weshalb er nicht witzig ist, lässt uns wiederum im Kino verzweifelt mitfühlen. Es geht einen ziemlich nahe, wenn dieser ohnehin schon labile, aber stets bemühte Mensch immer und immer wieder enttäuscht und getäuscht, gescholten und geschlagen, ausgegrenzt und ausgelacht wird. Solange Arthur nicht erkennt, dass er auch durch akribisches Hinarbeiten nicht zu einem Stand-up-Comedian werden kann, bleibt er unglücklich. Das ist einfach nicht er. Aber wie soll man zu jemand anderen werden, wenn man nicht einmal weiß, wer man überhaupt ist? Eine schwierige Frage, der im Film behutsam nachgegangen wird. Manchmal wird man vermutlich die Augen weit aufreißen, wenn gewisse Fässer aufgemacht werden – zumindest haben diverse Andeutungen mich und andere Gäste im Kinosaal zwischenzeitlich laut einatmen lassen.
Hier funktioniert also einiges verdammt gut. Und dass es so gut funktioniert, ist natürlich auch der abermals phänomenalen Schauspielleistung von Joaquin Phoenix zu verdanken! So intensiv und so menschlich hat man den Joker noch nicht gesehen. Dieser Aspekt macht seine Figur trotz ihrer Gräueltaten sympathisch. Eine blutige Szene in der zweiten Hälfte des Films macht das auf besonders (pechschwarze) lustige Weise deutlich.
Nein, an Mark Hamills (Star Wars) ikonische Synchronisation des Jokers mit dem völlig wahnsinnig klingenden Lachen kommt Joaquins Phoenix‘ Art nicht heran. Natürlich nicht. Warum auch? Er hat eine gänzlich andere Herangehensweise, die auch dem Umstand der krankhaften Lachkrämpfe geschuldet ist. So ist sein Lachen ebenso einzigartig wie entfremdend und damit die ideale Unterstreichung seiner kaputten Psyche.
In die lässt uns Regisseur, Co-Autor und Produzent Todd Phillips‘ tief blicken. Er erschafft zahlreiche Bilder, die uns seine Hauptfigur näherbringen und an die Leinwand kleben. Mit welcher Kreativität Phillips das tut, ist schlicht faszinierend. Er arrangiert die gesamte Szenerie so souverän, dass die Erzählung wie ein Fluss voranschreitet. Langsam, ruhig und mit gewaltiger Kraft, die sich in einem Finale entlädt, das nicht nur Arthur Fleck wie in Trance erlebt. Sein Weg ist voller falscher Fährten und falschen Hoffnungen. Seine Tortur vermittelt Phillips in eindrücklichen, ungeschönten Bildern, die offenkundig auf Martin Scorseses Taxi Driver (1976) und King of Comedy (1982) anspielen. Der Regisseur macht auch in Interviews keinen Hehl daraus, dass ihm diese Filme als Vorbilder dienten und natürlich hat Oscar-Preisträger Robert De Niro (Wie ein wilder Stier, Der Pate: Teil II) zu Recht seinen Platz im Cast von Joker eingenommen. Auf mich wirkt der Film wie eine Ansage an Hollywood, sich auch mit Super- oder, besser gesagt, Antihelden auf eine Art auseinanderzusetzen, die in Opposition zum Blockbuster-Bombast der letzten Jahre steht. Matt Reeves‘ für 2021 angekündigter The Batman soll ja in eine ähnliche Richtung gehen – bitte, gerne!
Warum wird Arthur Fleck zum Joker? Todd Phillips gibt uns zwar eine Antwort darauf, die sich im Grunde ganz allein bei der Hauptfigur finden lässt, aber er sucht auch immer wieder in äußeren Umständen nach den Auslösern für Jokers Genese. Allerdings werden hier immer wieder soziale und politische Themen angesprochen, die nie analysiert oder zumindest diskutiert werden. Immer dann, wenn beispielsweise der gärende Hass der armen Unterschicht gegen das wohlhabende Establishment gezeigt wird und wir als Zuschauer gebannt auf den größeren Zusammenhang warten, der uns vielleicht Antworten auf unsere Probleme im realen Hier und Jetzt geben könnte, geht der Film wieder einen Schritt zurück.
Natürlich ist uns Todd Phillips keine Antworten schuldig, falls er sie denn hätte, aber zum dritten Akt hin erlebt man als Zuschauer eine etwas unbefriedigende Auf- und Abfahrt. Wir sehen ein Problem, das Arthur Fleck zu schaffen macht, dann wenden wir den Blick wieder ab und so weiter und so fort. Auf der einen Seite überzeugt der Film mit seiner Konzentration auf seine Titelfigur und wie diese die Probleme in Gotham City betrachtet und interpretiert, aber auf der anderen Seite wiederum schmachtet man bei diesem Anfüttern vergeblich nach einem Charakter, der so groß ist wie etwa die Schurken in Christopher Nolans The Dark Knight. Dort sind der Joker und Two-Face Personifikationen gesellschaftlicher Probleme, die wir durch ihren Auftritt vorgeführt bekommen und schmerzlich gut verstehen können. Hier verpufft das Potential, Joker geht nicht weit genug.
Die Figur selbst und Schauspieler Joaquin Phoenix gehen über das, was man erwarten kann, locker hinaus und liefern ein grandioses Schauspiel ab. Nur der Film insgesamt weigert sich, seinen freigehaltenen Platz in der Reihe der wirklich ganz großen Streifen einzunehmen. Freigehalten deshalb, weil der Hype um Todd Philipps Werk im Vorfeld so groß und die Hoffnung auf einen genialen und erwachsenen Film riesig war, nicht nur bei mir.
Fazit
Dieser Kritikunkt soll aber nur einen halben Stern Abzug geben, denn die Charakterstudie des Arthur Fleck ist in der Summe eine der besten, die man sich wünschen kann. Der Film ist klasse! Todd Phillips‘ Ursprungsgeschichte entspringt der traditionsreichen Mythologie des Jokers und ist doch ganz eigen. Damit ist für jeden etwas dabei, auch für diejenigen, die mit der Figur oder anderen Comicverfilmungen aus dem Superhelden-Milieu nicht viel anfangen mögen. Ganz gleich, was nach Joker kommt, dieser Film ist ein in sich abgeschlossenes Werk ohne aktivem Franchise Building. Im Zweifel lohnt sich das Kinoticket alleine für Joaquin Phoenix‘ Schauspiel!