Jürgen Vogel bei der Schoßgebete-Premiere in Berlin © 2014 Constantin Film Verleih GmbH
Seit über 20 Jahren ist Jürgen Vogel ein fester Bestandteil der deutschen Film- und Fernsehindustrie und gehört zu den vielseitigsten Schauspielern, die das deutsche Kino zu bieten hat. Im Laufe seiner Karriere spielte er die unterschiedlichsten Rollen und ließ sich eigentlich nie in eine Schublade stecken. Vogel kann sowohl auf zahlreiche Kinderfilme (Emil und die Detektive, Paulas Geheimnis, TKKG) und Qualitätsdramen wie Nackt oder Gnade als auch auf Komödien wie Wo ist Fred? und schwere Kost wie Der freie Wille zurückblicken. Erst vergangenen Mai bewies er sogar Actionstar-Qualitäten im düsteren Psychothriller Stereo. Damals hatte ich bereits die Gelegenheit, Vogel und seinen Co-Star Moritz Bleibtreu zu interviewen, woraus eins meiner bislang schönsten Interviews entstanden ist (hier nachzulesen).
Etwa vier Monate später ist Jürgen Vogel wieder in einer ganz anderen Rolle zu sehen, mit der er wieser seine schauspielerische Bandbreite bezeugt. In der Verfilmung von Charlotte Roches zweitem Erfolgsroman "Schoßgebete" spielt er ungewohnt zurückhaltend und sanftmütig, jedoch nicht weniger überzeugend als in seinen "intensiveren" Rollen. Bei Schoßgebete arbeitete er seit über 15 Jahren erstmals wieder unter Sönke Wortmanns Regie, dessen Film Kleine Haie beiden den großen Durchbruch im deutschen Kino verschaffte.
Ich hatte das Glück, Vogel zu seinem neuen Film zu interviewen. Dabei sprach er, gewohnt offen, über seine Einstellung zu Nacktszenen, zur Klatschpresse und erzählte von seinem Wunsch, einmal auch auf dem Regiestuhl zu sitzen.
Filmfutter: Kanntest Du die Romanvorlage, bevor Du zu der Rolle gekommen bist?
Jürgen Vogel: Nicht wirklich. Meine Freundin hat „Schoßgebete“ gelesen, als der Roman herauskam und hat mir auch tagelang davon begeistert erzählt. Als das Drehbuch dann ankam, habe ich es gelesen. Wenn es eine Romanvorlage gibt, lese ich sowieso meistens erst das Drehbuch, weil ich manchmal auch nicht mehr wissen möchte als das, was im Drehbuch steht. Sonst läuft man Gefahr, Dinge da hineinzuinterpretieren, die im Drehbuch nicht drin sind. Wenn das Drehbuch nicht ausreicht, nützt der Roman einem auch nicht viel. Das Drehbuch muss schon alles bringen, was der Film auch bringen muss. Das Drehbuch fand ich toll, es hat mich sehr berührt, und ich fand es auch ausreichend, sodass ich den Roman dann nicht mehr zusätzlich gelesen habe.
FF: Was für ein Mann ist Georg?
JV: Er ist ein Mann, der noch viel kindliche Fantasie hat und Neugier, was Sexualität angeht. Letztendlich ist er auch wahnsinnig gutmütig, hält viel aus und trägt mit. Diesen Deal, den die beiden haben, was die Beziehung angeht, dass sie zusammenhalten, sich gegenseitig helfen, für einander da sind und jeder für den anderen auch bestimmte Dinge tut, das fand ich total charmant.
FF: Sind es diese Qualitäten, die Elizabeth an Georg anziehend findet? Man hat das Gefühl, dass er ihr Anker im Leben ist.
JV: Das glaube ich auch. Es ist eigentlich beides. Ich glaube, dass sie für ihn genau so wichtig ist. Sie scheint ja erstmal eine relativ neurotische und schwierige Frau zu sein. Aber sie ist auch sehr liebenswert, und sie braucht jemanden, der so geerdet ist, aber auch so etwas Kindliches hat, wie Georg.
FF: Elizabeth ist sicherlich keine einfache Frau zum Zusammenleben.
JV: Ich glaube, dass Georg und sie sich wahnsinnig gut ergänzen. Sie ist ja trotzdem auch eine ganz tolle Frau, grandios gespielt von Lavinia. Sie ist sehr intelligent, clever, mitfühlend, und sie ist sicherlich nicht langweilig.
FF: Ein wichtiges Thema im Film ist auch Elizabeths Hass gegen die Zeitungen, die ihre Tragödie ausgebeutet haben. Als einer von Deutschlands berühmtesten Schauspielern, kommst Du natürlich auch ständig mit Medien in Berührung. Wie ist Dein Umgang mit Medien und der Klatschpresse?
JV: Ich habe einfach keinen Umgang mit ihnen. Es gibt, wie in allen Branchen, tolle Journalisten und totale Vollidioten. Ich rede mit ihnen eben nicht. Ich mache keine Interviews mit den Zeitungen, die ich nicht gut finde. Das suche ich mir genau aus, und es gibt eine bestimmte Art der Boulevardpresse, die mich nicht interessiert. Das funktioniert jetzt seit über 30 Jahren super. Keiner zwingt einen dazu, mit den Leuten zu reden. Sie dürfen ja natürlich über einen schreiben, aber das interessiert ja nicht viele, über jemanden zu schreiben, der mit einem nicht selbst redet. Da ist ja auch eine große Eitelkeit. Diese Publikationen finden sich ja selbst sehr toll. Sollen sie auch ruhig tun, für bestimmte Leute sind sie ja auch wichtig, aber für mich eben nicht. Die Leute, die von der Presse ausgeschlachtet werden, haben meistens vorher schon selbst eine Beziehung mit dieser Presse angefangen und beendet. In dem Fall von unserer Figur war es anders. Da hat die Presse ihr Unglück wirklich brutal ausgeschlachtet. Ich finde es sehr humorvoll, wie ihre Fantasie mit ihr spielt, was ihre Rachegedanken angeht.
FF: Liest Du eigentlich Kritiken zu Deinen eigenen Filmen?
JV: Wenn man mir dann eine Kritik vor die Nase legt, lese ich sie durch, aber ich bin nicht jemand, der dann nach einem Film alle Kritiken durchforstet. Das ist irgendwie schwierig, finde ich. Die Leute, die versuchen, kreativ zu arbeiten, sollten davon eigentlich frei bleiben. Man sollte sich nicht so sehr mit der Sicht von der Außenwelt beschäftigen – weder als Schauspieler noch als Mensch generell noch als Film. Es ist etwas ganz Persönliches, was wir tun. Man muss sich das so vorstellen. Du hast ein Kind, und dann musst du dir jeden Tag anhören, wie andere Leute dein Kind finden. Aber du liebst dein Kind und du bist glücklich mit deinem Kind. Jeden Tag musst du dir dann anhören, wie andere dein Kind finden, und irgendwann verzichtest du darauf. Mit Filmen ist es ein bisschen ähnlich. Man hat einen Film gemacht, man wollte es, man war überzeugt davon, und man präsentiert es dann irgendwann der Welt. Man will aber nicht immer, dass andere es beurteilen.
FF: Til Schweiger hat das ja ähnlich beschrieben als Grund, weshalb er der breiten Presse seine Filme nicht vor dem Kinostart zeigt.
JV: Ja, so weit würde ich nicht gehen. Die Presse soll es sehen, sie muss darüber schreiben. Ein Film ist ein Produkt, über welches die Presse berichten muss. Sie haben ja auch ihre Leser, die informiert werden wollen. Die Frage ist, wie wichtig einem selbst die Meinung anderer ist. Was der eine ganz doof findet, findet der andere ganz toll. Was ist so eine Meinung für deine Arbeit eigentlich wert? Man muss selber den Weg finden, wie man Dinge beurteilt.
FF: Schaust Du Dir Deine eigenen Filme nochmal an, oder gehörst Du zu den Schauspielern, die das lieber nicht tun?
JV: Ja, doch. Gerade bevor man mit der Presse spricht, sollte man den Film vielleicht noch mal sehen, um zu wissen, wie der Film geschnitten ist, wie die Musik wirkt usw. Aber danach eigentlich nicht mehr. Jahre später dann vielleicht. Manchmal bleibe ich durch Zufall bei der Wiederholung eines alten Films hängen und bin total überrascht, weil ich manche Dinge vergessen habe (lacht).
FF: Denkst Du dann manchmal „Oje, das hätte ich heutzutage anders gemacht“?
JV: Klar, aber man macht es immer anders. Mit jedem Tag, an dem man älter wird, interpretiert man Sachen auch anders. Das ist ganz normal. Das garantiert ja auch, dass wir uns verändern und Sachen anders spielen.
FF: Sönke Wortmann hat zu der Dreier-Szene im Film gesagt, dass Du da beim Dreh völlig schmerzfrei bist und keine Probleme im Umgang mit Deinem Körper hast. Das sieht man ja auch in einigen anderen Filmen. Ist das etwas, das für Dich natürlich kam, oder musstest Du Dir das erst aneignen?
JV: Ich glaube, dass in unserem Job diese äußerliche Art von Nacktheit noch das geringste Problem ist. Uns beschäftigen als Schauspieler ja Zustände, Emotionen, Gefühlswelten. An diese seelische Entblößung ist es schwieriger dranzukommen. Nackt zu sein, ist keine Arbeit, keine Hürde. Einen Gefühlszustand zu finden oder zu erzeugen, das ist die Herausforderung. Komischerweise wird mehr über Nacktheit bei diesem Film geredet als über das, was innerlich gefühlt wird. Das ist natürlich viel intimer. Mein Körper ist in dem Sinne nicht intim. Wenn ich im Urlaub mit der Badehose ausgehe, oder wenn ich auf Ibiza am FKK-Strand bin, dann ist es ja auch egal. Dann ist man auch nackt. Aber ich heule nicht vor jedem, und ich zeige nicht allen meine Gefühle. Beim Film tust du das aber schon.
FF: Also ist das für Dich die größte Herausforderung?
JV: Ja, finde ich schon. Das sind ja echte Gefühle. Wenn man weint, traurig ist, sauer ist… alle Emotionen, die man hat, sind ja sehr privat und persönlich. Das ist etwas, das man nicht so gerne mit Millionen von Leuten teilt, aber das verlangt eben unser Job.
FF: In SCHOSSGEBETE sind Sex und Gefühle untrennbar miteinander verbunden. Würdest Du sagen, dass Sex in der Geschichte eine paartherapeutische Wirkung hat?
JV: Sex ist eine Art Verabredung für die beiden, ein Deal. Es ist eine Begegnungsstätte für sie, eine Ebene, die sie verbindet und sie zusammenhält. Bei jedem Menschen ist Sexualität sehr wichtig. Die beiden schenken sich darüber Dinge. Er gibt ihr die Sicherheit und das Vertrauen, dass er immer für sie da ist, auch wenn sie schwierig und kompliziert ist, und sie ermöglicht ihm dafür die Erfüllung seiner Fantasien. Sie geht mit ihm auf diese Reise. Die Sexualität wird als Spielplatz betrachtet, und jedes Karussell will auch gerutscht werden. Sie macht es mit ihm mit, und das finde ich toll.
FF: Du hast mit Sönke vor über 20 Jahren bei Kleine Haie zusammengearbeitet. Das war der große Durchbruch für Euch beide, und mit der Ausnahme eines Gastauftritts in Charleys Tante, ist SCHOSSGEBETE Eure erste Zusammenarbeit seitdem. Wie haben sich Eure Zusammenarbeit und seine Arbeit als Regisseur verändert?
JV: Das ist lustig. Wir waren ja damals wahnsinnig jung. Ich war Anfang 20, und ich war auch ein Chaot. Ich kann mich nicht an alle Sachen erinnern, aber ich weiß, dass ich nicht unanstrengend war. Ich fand es witzig, ihn wiederzutreffen. Sönke ist ein sehr angenehmer Regisseur, der auch eine große Ruhe und Gelassenheit verbreitet. Er hat aber auch einen großen Hang zu Humor und nimmt nicht alles so wahnsinnig ernst. SCHOSSGEBETE ist natürlich auch ein Film, der trotzdem ein ernstes Thema behandelt. Ich finde, Sönke hat einen sehr guten Weg gefunden, die Geschichte zu erzählen, ohne dass es die ganze Zeit nur eine große Tragödie ist. Wir sind beide sehr gereift seit Kleine Haie. Aber es war auch richtig toll, mit Lavinia zusammenzuarbeiten.
FF: Du hast ja mit vielen namhaften deutschen Regisseuren zusammengearbeitet – Sönke Wortmann, Matthias Glasner, Doris Dörrie und anderen. Gibt es jemanden unter den Regisseuren, mit dem Du sehr gerne zusammenarbeiten würdest?
JV: Ich würde sehr gerne wieder mit Dominik Graf drehen. Ich habe ihn vor 1-2 Jahren getroffen und habe ihm das dann auch gesagt. Wir haben ja schon zusammengearbeitet, haben zusammen zwei Folgen von „Der Fahnder“ gedreht. Ich war 17 bei meinem ersten „Fahnder“ mit ihm, und allein schon deswegen, aus der Historie heraus, würde ich sehr gerne wieder mit ihm zusammenarbeiten. Ich mag Dominik sehr. Ich mag, wie er Filme macht und wie er mit den Schauspielern arbeitet. Sonst bin ich sehr offen. Ich mag Leute, die sehr viel gemacht haben, aber auch ganz neue Regisseure, die wenig gemacht haben.
FF: Deine Rollen decken eine sehr große Bandbreite an unterschiedlichsten Charakteren ab. Alleine dieses Jahr mit Stereo, Hin und weg und SCHOSSGEBETE hast Du drei sehr unterschiedliche Figuren gespielt. Welche Figur kommt am ehesten dem echten Jürgen Vogel nahe?
JV: (lacht) Werde ich nicht verraten. Es ist in jeder Rolle ein wenig von mir drin.
FF: Sogar in Der freie Wille?
JV: Sogar da. Ich muss mich von meinen Figuren nie distanzieren, es ist immer ein Teil von mir drin.
FF: Welche Herausforderungen siehst Du für Dich noch in der Zukunft als Schauspieler?
JV: Je älter ich werde, und je mehr Filme ich gemacht habe, desto weniger denke ich über die einzelnen Rollen nach und mehr über den gesamten Film. Am Anfang waren die verschiedenen Rollen wichtig, weil man sich darüber definiert hat, was man noch nicht gespielt hat und was man gerne spielen würde. Aber heutzutage will ich einfach gute Filme machen. Ich finde es auch okay, nur vier oder fünf Drehtage bei einem Film zu haben, wenn ich den Film interessant finde.
FF: Hast Du Dir je überlegt, es als Regisseur zu versuchen, oder reizt Dich das nicht?
JV: Doch, es reizt mich sehr. Man Problem sind die Drehbücher. Ich kann einfach nicht schreiben. Ich bin abhängig von Autoren. Ich habe schon drei Jahre an einem Drehbuch gearbeitet, aber letztendlich kam ich nie weiter. Ich bin immer irgendwo steckengeblieben. Ich kann es einfach nicht. Man darf nicht denken, dass es jeder kann. Es ist ein richtiges Talent. Nicht jeder kann ja auch Kamera machen oder ein guter Pianist sein. Das Talent kann man sich nicht erzwingen. Du brauchst jemanden, der diese Welten erfinden kann. Es weiß aber vermutlich auch keiner, dass ich gerne Regie führen würde, ich bekomme also nicht ein Drehbuch nach dem anderen als Regisseur auf den Tisch.
FF: Wäre eine Rolle als „Tatort“-Kommissar etwas, das Du Dir in der Zukunft vorstellen könntest?
JV: Ich mag „Tatort“, ich gucke es gerne. Aber ich mache gerade mit Matthias Glasner eine Serie für das ZDF, „Die Lebenden und die Toten“, und da sind wir einfach viel freier. „Tatort“ ist schon etwas festgelegt in dem, was man machen darf. Mit unserer Serie sind wir wesentlich freier. Ich spiele da übrigens auch einen Polizisten.
FF: Ist das Dein nächstes Projekt?
JV: Wir drehen die Serie gerade noch, bis zum 17.09., und dann haben wir vier Folgen abgedreht. Den Pilotfilm haben wir letztes Jahr schon gedreht, er lief aber noch nicht. Die Serie wird wahrscheinlich nächstes Jahr ins Fernsehen kommen. Das wird extrem toll. Da gehen wir so weit, wie das ZDF noch nie gegangen ist. Ich glaube, dass die größte Möglichkeit der Entwicklung, was Figuren und Dramaturgie angeht, momentan im Fernsehen liegt.
FF: Vielen Dank für das Interview, Jürgen.
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Schoßgebete läuft ab dem 18.09. in den deutschen Kinos.
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Szenenbilder © 2014 Constantin Film Verleih GmbH / Tom Trambow