Junebug, USA 2005 • 106 Min • Regie: Phil Morrison • Mit: Embeth Davidtz, Alessandro Nivola, Amy Adams, Celia Weston • FSK: Ohne Altersbeschränkung • Kinostart: 01.03.2007 • Deutsche Website
Handlung
Madeleine (Embeth Davidtz) ist erfolgreiche Galeristin in Chicago und fährt mit ihrem Mann George (Alessandro Nivola) nach North Carolina, um einen vielversprechenden, aber sehr skurrilen Künstler unter Vertrag zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit besuchen sie den kleinen Heimatort von George und verbringen einige Tage bei seiner Familie, die neben den Eltern Eugene (Scott Wilson) und Peg (Celia Weston) noch aus Georges Bruder Johnny (Ben McKenzie) und seiner schwangeren Frau Ashley (Amy Adams) besteht. Dieser auf den ersten Blick harmlose Besuch bringt jedoch die Familiendynamik gehörig durcheinander. Zwischen Madeleine und George auf der einen und den Familienmitgliedern auf der anderen Seite entspannt sich ein kompliziertes Geflecht aus Misstrauen, Unverständnis und Konflikten, das nur gelegentlich durch die unbekümmert freundliche Art von Georges Schwägerin Ashley durchbrochen wird. Die unterschiedlichen Wertvorstellungen spitzen sich zu, als Madeleine zu einem Geschäftstermin mit dem Künstler fährt, wohlwissend, dass sie damit der Familie in einem tragischen Moment nicht beistehen kann.
Kritik
Wenn Europäer an Amerika denken, so tauchen häufig Bilder auf, die typisch für die moderne Ost- und Westküste sind. Daneben existiert jedoch eine traditionellere Gesellschaft – nämlich jene der Südstaaten. Der Film kontrastiert den urban-intellektuellen Lebensstil der eleganten und weltgewandten Madeleine mit der christlich-konservativen Lebensweise einer einfachen Südstaaten-Familie. Hier treffen Welten aufeinander, die sonst selten in Kontakt geraten und wenig Berührungspunkte haben. Erfolgreich inszeniert Regisseur Phil Morrison die Begegnung unterschiedlicher Wertvorstellungen – man könnte auch sagen: das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturen, was besonders deutlich wird beim gemeinsamen Besuch des Gottesdienstes. Während George von den Gemeindemitgliedern herzlich empfangen wird und sich rasch in alten Gewohnheiten einfindet, stellen Gebet, Gesang und das offene Bekenntnis zu Jesus Christus für Madeleine eine herausfordernde Fremdheit dar. Andersherum sind die Gemeindemitglieder über ihren zärtlich-liebevollen, fast erotischen Umgang mit George irritiert und empfinden es schwer, sie als Gemeindemitglied zu akzeptieren.
Auch die Interaktionen innerhalb der Familie bleiben kompliziert. Trotz großer Bemühungen beider Seiten um Freundlichkeit und Gemeinsamkeit bestimmen doch während des gesamten Films Unverständnis und Misstrauen den Umgang. Als sich Madeleine eines Abends bereit erklärt, Johnny bei seinen Hausaufgaben zu helfen, interpretiert dieser ihren körperbetonten Habitus als einen Flirtversuch und reagiert seinerseits mit einer deutlichen Annäherung. Diese etwas plumpe, aber aus seiner Sicht durchaus angemessene Reaktion führt bei Madeleine wiederum zu sprachloser Verwirrung und Irritation. Hier wird auf verständnisvolle Weise dargestellt, wie unterschiedliche Vorstellungen von Kommunikation zu gravierenden Missverständnissen führen können.
Hinzu kommen familieninterne Konflikte und die komplexen Persönlichkeiten der Familienmitglieder, die unaufgeregt und wertneutral dargestellt werden und damit äußerst authentisch wirken. Der nervösen und permanent Kritik äußernden Mutter Peg steht ein gutmütiger, aber etwas passiver und auch ratloser Vater Eugene gegenüber. Traurig muss er mit ansehen, wie sein Sohn Johnny von der Aussicht auf Vaterschaft alles andere als begeistert ist und dies seine Frau Ashley des Öfteren deutlich spüren lässt. Johnny, der gerade den Highschool-Abschluss nachholt, sieht in seinem erfolgreichen Bruder George eine Bedrohung seines Selbstbewusstseins („Du musst nicht denken, dass du was Besseres bist, als wir“) und kann mit dieser Frustration äußerst schlecht umgehen. Mutter Peg wiederum kann ihre Eifersucht gegenüber Madeleine nicht verbergen. In wenigen Worten („Sie ist zu hübsch für George“) fast sie ihre Abneigung gegenüber der gebildeten Schwiegertochter zusammen. Bei all diesen Animositäten verliert der Film jedoch nicht seine neutrale Perspektive, sodass der Zuschauer in die Lage versetzt wird, für alle Seiten Verständnis aufzubringen. Einziger Hoffnungsstrahl in dieser bedrückend angespannten Atmosphäre ist Ashleys unbekümmerte Herzlichkeit. Amy Adams überzeugt durch ihre Fröhlichkeit nicht nur den Zuschauer, der gar nicht anders kann, als sie ins Herz zu schließen, sondern gewinnt auch das Vertrauen von Madeleine. Zwischen den beiden entsteht eine asymmetrische Freundschaft, bei der Madeleine ungewollt zum Vorbild für Ashley wird. Wenn Ashley die welterfahrene Madeleine an ihrem eher einfachen Alltagsleben teilhaben lässt, verlässt der Film die angestaute Anspannung und zeigt urig-witzige Momente. Das freundschaftliche Verhältnis zwischen beiden Frauen zieht sich wie ein roter Faden durch den Film – ein Faden, der gegen Ende jedoch abrupt abreißt. Als Madeleine vor dem Dilemma steht, entweder Ashleys Entbindung mitzuerleben oder den erfolgversprechenden Künstler unter Vertrag zu nehmen, entscheidet sie sich für den Künstler und damit gegen Ashley. Hier bringt der Film die unterschiedlichen Werthaltungen – Karriere vs. Familie – deutlich auf den Punkt.
Der Film stellt auf großartige Weise die Irritationen dar, welche beim Aufeinandertreffen unterschiedlicher Lebensweisen auftreten können. Dies geschieht jedoch nicht ohne Augenzwinkern, wie die Freundschaft zwischen den ungleichen Frauen zeigt. Wenngleich dem Zuschauer die Perspektive von Madeleine nahegelegt wird, dämonisiert er das einfachere Südstaaten-Leben nicht. An einigen Stellen wagt er sogar einen emischen Blick auf die Gesellschaft des Südens und offenbart Momente eines harmonischen Miteinanders. Ähnlich verständnisvoll zeigt er die komplizierte Familiendynamik ohne einzelne Familienmitglieder in ein schlechtes Licht zu rücken. Einer soliden schauspielerischen Leistung von Embeth Davidtz und einer großartigen Performance von Amy Adams steht jedoch ein mäßiges Auftreten von Alessandro Nivola gegenüber, was sich jedoch zum Teil durch seine eher passive Rolle erklären lässt.
Fazit
Alles in allem eine gelungene Tragikomödie mit starken Charakteren, die trotz wenig Handlung durchweg spannend bleibt.
Trailer
https://youtu.be/aB6bKHGikbw
Mein Kommentar ist zu: "Als Madeleine vor dem Dilemma steht, entweder Ashleys Entbindung mitzuerleben oder den erfolgversprechenden Künstler unter Vertrag zu nehmen, entscheidet sie sich für den Künstler und damit gegen Ashley. Hier bringt der Film die unterschiedlichen Werthaltungen – Karriere vs. Familie – deutlich auf den Punkt." und soll Madeleine Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Zuerst will Madeleine ausdrücklich mit in die Klinik fahren, wird dann aber von Ashleys Mutter zurückgewiesen. Sinngemäß sagt die Mutter, eine der vielen Abweisungen gegenüber Madeleine: "Du bleibst hier!" – wie zu einem Hund, der vor dem Supermarkt warten muß. Madeleine wirkt erschüttert, wie fassungslos, als sie allein vor dem Haus zurückbleibt. Auch in den Folgeszenen sehen wir deutlich, wie Madeleine aus der Fassung ist – auch wenn sie sich antrainiert hat, das weitgehend zu überspielen. Auch, wenn sie – halbwegs funktionierend in ihrer beruflichen Rolle – sich mit dem Maler einigen kann (sein Antisemitismus wird von ihr, halb bewusst, halb spontan, ausgenutzt, was er zugleich unangenehm ist). Aber erst als sie persönlich wird, vom Bild ihres Ehemanns auf einem der Bilder überrascht wird, und dann ihre persönliche Form von "Opfer" anbietet, kann sie zum Maler durchdringen (achja, und als sie das Geschütz "Jude" einsetzt).
NB: In einer zweiten Zurückweisung verweigert auch Ehemann George, dass Madeleine Ashley besucht. Er habe sich "um alles gekümmert". Es lässt sich vermuten, dass er dabei an die verstörend vertrauliche Szene mit Ashley im Krankenhausbett denkt, wovon er Madeleine sicherlich fernhalten möchte, dass er die Ablehnung seiner Familie übernommen hat, so bald er zu Hause ankam, und dass er möglichst bald vor dem Elternhaus fliehen will (wie froh er über die Rückfahrt ist, spricht er dann tatsächlich deutlich aus).