Jeune & jolie, F 2013 • 95 Min • Regie: François Ozon • Drehbuch: François Ozon • Mit: Marine Vacth, Géraldine Pailhas, Frédéric Pierrot, Fantine Ravat, Charlotte Rampling • FSK: ab 16 Jahren • Kinostart: 14.11.2013 • Deutsche Website
Handlung
Mit 16 Jahren hat Isabelle (Marine Vacth) ihr erstes Mal. Sie freute sich darauf, wollte es von sich aus endlich probieren. Doch als es so weit ist, ist es alles andere als besonders für sie. Trotz malerisch romantischer Kulisse am Meer wirkt sie apathisch und lässt das einseitige Lustspiel über sich ergehen, ohne jegliche Empfindungen. Mit Beginn der Schulzeit fängt sie an, sich über das Internet mit Männern zu verabreden – gegen Bezahlung. Während sie bei den ersten Treffen noch verschüchtert und hilflos wirkt, entwickelt sie sich im Verlauf eines Jahres zu einer professionellen Prostituierten. Ihre Mutter (Géraldine Pailhas) merkt von alldem nichts. Erst als es bei einer von Isabelles Verabredungen zu einem Zwischenfall kommt, wird die Mutter von der Polizei mit den Vorwürfen gegen ihre Tochter konfrontiert und verfällt in Selbstzweifel. Isabelle äußert sich nicht zu ihrem Doppelleben, und so treibt die Frage nach dem Warum vor allem ihre Mutter dazu, besondere Maßnahmen einzuleiten.
Kritik
„Jung & Schön“ ist ein französischer Film. Das ist jedoch alles andere als negativ gemeint. Der französische Film ist schließlich seit Jahrzehnten nicht mehr so extrem experimentierfreudig und schwer zugänglich für den gemeinen Zuschauer. Und dennoch bewahrt er seine typisch französische Fasson: teils sehr ruhige Bilder, die auf den Zuschauer länger wirken als gewöhnlich, und eine Handlung, die kaum von musikalischer Untermalung mitgetragen wird. Außerdem gibt es viel nackte Haut zu sehen, und die Suche nach der wahren Liebe ist auch hier eines der Schlüsselthemen.
Man muss zugeben: Die Idee des Films ist nicht neuartig. Prostitution bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist ein Thema, das sich vor allem in europäischen Filmen häufig finden lässt. Und dennoch bietet „Jung & Schön“ keinen Platz zum gelangweilten Gähnen. François Ozon inszeniert den zunächst schwer erscheinenden Stoff auf eine sehr nahbare Art und Weise. Er stellt ein 17-jähriges Mädchen in den Mittelpunkt des Geschehens und lässt den Zuschauer sie ein Jahr lang begleiten. Dieser wird zu einem stillen Beobachter, der selbst über moralische Schlüsse nachdenken muss. Denn Ozon beurteilt nicht, und er verurteilt auch nicht. Er lässt die Protagonistin weder als überglückliche Nebenjobberin noch als gesellschaftlich Abgestürzte erscheinen. Stereotypen werden ausgeklammert, es geht nicht um Drogen, Gewalt und Missbrauch. Es geht einzig und allein um ein Mädchen, das irgendwie in die Figur der Prostituierten gerät. Die zentrale Frage, die sich auch die Mutter immer wieder stellt, nach dem Warum, bleibt weitestgehend unbeantwortet. Genau diese eben genannten Punkte machen den Film so nahbar und nicht so schwer verdaulich, wie man es aus vielen älteren französischen Filmen kennt.
Die Geschichte wird in insgesamt vier Teile gegliedert: Sommer, Herbst, Winter, Frühling. Die Jahreszeiten stellen die Entwicklungsstufen der Protagonistin chronologisch dar. Die Übergänge zwischen diesen Teilen werden musikalisch untermalt mit Stückender vor allem in den 60er-Jahren aktiven Chansonnière Françoise Hardy. Mithilfe ihrer Songtexte werden die Übergänge zwischen den Stufen kommentiert. Sie wurden sehr bewusst von Ozon gewählt und tragen die Handlung zu einem Großteil mit, sie resümieren, verbinden aber auch die einzelnen Phasen. In den Handlungsteilen selbst wird viel mit unterschwelligem Humor gespielt, der viele Situationen auflockert, anstatt sie unnötig zu verkomplizieren. Das bekommt dem Film zusätzlich und lässt ihn noch weniger als trockene Charakterstudie wirken.
Dass der Film überzeugen kann, hängt nicht nur mit der Leistung Ozons zusammen, sondern auch mit der Darstellung der Charaktere. Vor allem die 22-jährige Marine Vacth zieht einen buchstäblich in ihren Bann. Sie ist hübsch, kann naiv wirken, aber auch erwachsen und verführerisch. Die Entwicklung von einem verschüchterten Teenager zu einer jungen Erwachsenen setzt sie äußerst nachvollziehbar in Szene. So leidet der Zuschauer vor allem mit ihrer Mutter: Wird sie es wirklich schaffen, aus diesem Milieu zu entfliehen, oder ist es schon zu spät für sie? Vacth schafft es, den Zuschauer nicht nur zum Zuschauen, sondern auch zum Mitdenken und Mitfühlen zu bewegen.
Fazit
François Ozon ist es wieder gelungen, einen französischen Film zu schaffen, der auch dem Mainstream-Publikum goutieren kann. Er gibt weder einen echten Grund für die Entscheidung zur Prostitution vor, noch zwingt er dem Film ein rundes Ende auf. Der Zuschauer muss bzw. darf selbst deuten, warum es so ist, wie es eben ist. Freunde des in sich geschlossenen Films werden daher ihre Probleme mit „Jung & Schön“ haben. Insgesamt ist ein gelungener Film entstanden, der zeigt, dass französischer Film längst nicht mehr so kompliziert sein muss wie einst. Einzig und allein die folgende Frage bleibt für den deutschen männlichen Zuschauer quälend im Raum stehen: Ist der Deutsche schuld daran, dass sie sich letztlich für die Prostitution entschieden hat?