Midnight Special, USA 2016 • 111 Min • Regie & Drehbuch: Jeff Nichols • Mit: Michael Shannon, Joel Edgerton, Kirsten Dunst, Adam Driver, Sam Shepard, Jaeden Lieberher • Kamera: Adam Stone • Musik: David Wingo • FSK: ab 12 Jahren • Verleih: Warner Bros. • Kinostart: 18.02.2016 • Website
Mit "Take Shelter" (2011) und "Mud" (2012) hat Jeff Nichols zwei der feinsten Independent-Dramen der letzten Jahre abgeliefert. Das Science-Fiction-Abenteuer "Midnight Special" ist nun die erste von einem Major-Studio betreute Arbeit des Drehbuchautoren und Regisseurs. Selbst wenn ein Budget von rund 18 Millionen Dollar für heutige Verhältnisse eher Peanuts sind – für Nichols stellt dieses einen Quantensprung im Vergleich zu den vorherigen Produktionen dar. Doch bedingt mehr Geld auch eine größere Geschichte? "Midnight Special" präsentiert sich zunächst als offensichtliche Hommage an frühe Steven Spielberg-Klassiker wie "Unheimliche Begegnung der dritten Art" (1977) oder "E.T." (1982), jedoch mit dem Unterschied, dass Nichols seine Story gewohnt zurückhaltend ausrollt. Hier mag sich mancher Genrekenner an den Erzählstil eines John Carpenter erinnert fühlen, und in der Tat ist auch dessen gefühlvoller "Starman" (1984) ein angebrachtes Referenzwerk.
Zwei Männer und ein Kind in einem verbarrikadierten Motelzimmer: Der Fernseher läuft und in den Nachrichten wird die verzweifelte Suche nach dem achtjährigen Alton (Jaeden Lieberher) geschildert. Seine als Entführer bezichtigten Begleiter sind in Wahrheit seine Beschützer – sein Vater Roy (Michael Shannon) und dessen Gefährte Lucas (Joel Edgerton). Auf der Flucht aus den Fängen einer fanatischen Sekte wird das Trio auch vom gesamten FBI und dem NSA-Mann Sevier (Adam Driver) erbarmungslos verfolgt. Ihr Ziel ist Roys Ex-Frau Sarah (Kirsten Dunst) und ein geheimer Ort, den das mit übersinnlichen Kräften ausgestattete Kind in Form von Koordinaten vermittelt hat. Doch was genau steckt hinter der Mission? Stellt Alton womöglich einen Erlöser oder vielleicht gar eine große Gefahr für die Menschheit dar?
Der besondere Trick von "Midnight Special" ist der Punkt, an dem Jeff Nichols in seine Geschichte einsteigt. Für eine ausführliche Exposition bleibt keine Zeit, und so erfahren wir langsam mehr über die Protagonisten und ihre Hintergründe, während die Verfolgungsjagd bereits auf vollen Touren läuft. Ohne sich jedoch in aufbrausenden Actionspitzen zu verlieren, setzt das Werk auf sich gemächlich steigernde Spannung und zwischenmenschliches Drama. Auch wenn die filmischen Referenzen nahezu identisch sind, wählt Nichols einen ganz anderen Ansatz als beispielsweise J.J. Abrams' blockbustertaugliche Spielberg-Kollaboration "Super 8" von 2011. In beiden Arbeiten geht es um mysteriöse Ereignisse und eine Gruppe Menschen, die ins enge Feld zwischen diesen und der aggressiv in Aktion tretenden Regierung geraten. Während Abrams in seinem liebevoll in Szene gesetzten Abenteuer nicht nur sehr offensichtlich aus den Vorbildern zitiert, sondern auch die Auflösung des großen Geheimnisses mehr oder weniger aus den Archiven plündert, beendet Nichols "Midnight Special" mit einer kleinen Variation. Der Versuch, der eigentlich altbekannten Story einen Twist zu verleihen, mag ja prinzipiell löblich sein, hat aber bei mir nach dem zuvor reizvollen Thrill einen unangenehmen Beigeschmack hinterlassen.
Ohne nun zu viel vorwegnehmen zu wollen: Der Vorgang des Sehens ist ein wichtiges Motiv im Film. Da ist etwas mit Altons Augen, aus denen gelegentlich blaue Lichtstrahlen schießen und die andere Protagonisten in ihren Bann ziehen. Alton nimmt außerdem sein Umfeld anders wahr. Die Möglichkeit, dass der Junge – wie die ominöse Sekte glaubt – die Kraft in sich trägt, die Menschen in eine bessere Welt zu führen, scheint nach diversen Vorfällen nicht ganz abwegig. Ich bin mir nur leider nicht sicher, ob Jeff Nichols' mit Spezialeffekten beladenes Finale nun einfach einen naiven Zauber oder vielleicht gar eine fragwürdige Ideologie transportieren soll. Zumal auch der konsequente Pragmatismus (ein Polizist wird kurzerhand niedergeschossen, weil er die Lokalisation des Wunderkindes preisgeben könnte), den die Gruppe zum Erreichen ihres Ziels anwendet, letztlich in keinem Maßstab mehr zu stehen scheint. Irgendwie verpufft die vorherige Erzählenergie während des audiovisuell durchaus beeindruckenden Endes, und man gewinnt den Eindruck, dass das ansonsten sympathische Vater-Sohn-Drama entweder hastig-pompös aufgelöst werden musste oder die Macher den Zuschauern hier doch unterschwellig etwas verkaufen wollten. Ersteres wäre ärgerlich, letzteres eine Schande.
Kehrt man nun aber an die Oberfläche zurück, so hält "Midnight Special" zu 80% genau die kleine Sci-Fi-Verfolgungsjagd parat, die der Regisseur wohl in erster Linie auch im Sinn gehabt hat. Nichols hat schon bei seinen zwei Vorgängern bewiesen, dass er vor allem ein Profi mit dichten Stimmungen und dem Umgang mit seinem auch hier durchweg großartigen Cast ist. Dass seine neueste Arbeit dennoch gegenüber "Take Shelter" und "Mud" ein Stück abfällt, ist wohl der Tatsache geschuldet, dass das Grundgerüst einfach zu vertraut ist und es der netten Retro-Story vergleichsweise an echter Tiefe fehlt. Stört man sich nicht an dem Ende, so bekommt man ein bewusst entschleunigtes Stück Genrekino in stilvollem Gewand geboten.
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