Mr. Holmes, GB 2015 • 105 Min • Regie: Bill Condon • Drehbuch: Jeffrey Hatcher • Mit: Ian McKellen, Laura Linney, Milo Parker, Hiroyuki Sanada, Hattie Morahan, Thomas Kelmot • Kamera: Tobias Schliessler • Musik: Carter Burwell • FSK: n.n.b. • Verleih: Alamode Film • Kinostart: 24.12.2016 • Deutsche Website
Der Meisterdetektiv Sherlock Holmes ist mit Sicherheit eine der bekanntesten Romanfiguren aller Zeiten. Im späten 19. Jahrhundert schuf Sir Arthur Conan Doyle die ikonischen Kriminalgeschichten über den hochintelligenten Briten, die immer wieder aufs neue adaptiert wurden. Zuletzt erfreute sich der Ermittler aus der Londoner Baker Street durch die Guy Ritchie-Verfilmungen mit Robert Downey Jr. und die BBC-Serie mit Benedict Cumberbatch wieder an einem ganz neuen Bekanntheitsgrad, durch den auch junges Publikum den eigenwilligen Charakter erneut lieb gewann. In Mr. Holmes befinden wir uns im Jahr 1947, unser Protagonist ist inzwischen schon über 90 Jahre alt und hat sich längst aus seinem Geschäft zurückgezogen. Auf einem abgelegenen Landsitz verbringt er seine Zeit, einzig und allein von seiner Haushälterin Mrs. Munro, ihrem aufgeweckten Sohn Roger und seinen wohlgehüteten Zuchtbienen umgeben. Doch es gibt etwas, das dem Mastermind einfach keine Ruhe lassen will: Ein 30 Jahre alter Fall, dessen Aufklärung Holmes damals in den Ruhestand trieb, an den er sich jedoch einfach nicht mehr erinnern kann, ist es, der den alten Mann noch einmal dazu motiviert, sich mithilfe des neugierigen Roger in die Geschichten seiner Vergangenheit zu begeben.
Schon immer war die Figur des Sherlock Holmes hoch polarisierend. Allerdings ist das, was Regisseur Bill Condon mit diesem Film aus dem Mythos des Privatermittlers macht, so noch nie da gewesen. Er schafft es, dem altbekannten Charakter sowohl ganz neue Seiten abzugewinnen als auch die Romanfigur gewissermaßen zu demontieren. Mr. Holmes will sich dem Menschen hinter der Geschichte widmen, nicht nur über ihn erzählen, sondern sich in ihn hineinversetzen und auf seinen Emotionen eingehen. Die Frage danach, was von einem übrig bleibt, wenn einmal der Zahn der Zeit an einem nagt und man nicht mehr sein eigener Herr ist, überschattet die gesamte Geschichte, die sich mit einem Menschen beschäftigt, der trotz all seiner Auszeichnungen am Ende nur ein einsamer alter Mann bleibt. Sicher nicht der erste Film, der die Fassade des Sherlock Holmes zum Bröckeln bringen will, doch so gut ist es noch keinem zuvor gelungen.
Sehr feinfühlig geht der Film auf Themen wie die Verzerrung der eigenen Identität und das nahende Lebensende ein und lässt seinen eigenen Holmes clever und humorvoll mit der bekannten Fiktion kollidieren. Auf einem Trip nach Japan wird er mit seiner Berühmtheit konfrontiert sowie auch mit seinem Alter. Er muss akzeptieren, dass sich sein Verstand, und die Welt wie er sie einmal kannte, spürbar verändert haben. In Hiroshima besucht er die Ruinen der von der Atombombe zerstörten Häuser auf, sinnbildlich für sein eigenes Denkvermögen, um aus der Asche eine besondere Pfeffersorte zu bergen, die ihm dabei helfen soll, seine kognitiven Fähigkeiten zurückzugewinnen. Doch wie sich später herausstellt, ist es weniger die seltene Pflanze, die ihm dabei hilft seines Gedächtnisses Herr zu werden, als die Hilfe des elfjährigen Roger, der entgegen den Willen seiner Mutter immer mehr zum guten Freund des alten Mannes wird.
Der eigentliche Fall und die sich daraus ergebenden Erkenntnisse und Wendungen sind weniger überraschend, als sie der Film verkaufen will, doch Mr. Holmes begeistert vielmehr durch sein Porträt als durch eine spannende Geschichte. Aufrichtig und intelligent inszeniert Bill Condon seinen Holmes, der von einem großartigen Ian McKellen verkörpert wird. Der beigelieferte Score von Carter Burwell setzt sich angenehm melancholisch ins Ohr. Schon in Condons und McKellens erster Zusammenarbeit Gods and Monsters von 1998 beschäftigten sich die beiden mit den letzten Jahren einer einst berühmten Figur und ihren sehr schwierigen Beziehungen zu anderen Menschen. Damals war McKellen für einen Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert und Bill Condon konnte den Preis für das beste adaptierte Drehbuch einheimsen. Auch in Mr. Holmes gelingt es den beiden wieder sehr gut, das Näherrücken des Todes und die mit ihm kommende Verzweiflung zu behandeln. Ian McKellen sollte für seine aufmürbende Performance auf jeden Fall mit einer weiteren Nominierung rechnen dürfen.
Fazit
Ian McKellen brilliert in einem Film, der sich einer legendären Romanfigur von einem ganz neuen Blickwinkel annähert. Mr. Holmes ist ein interessantes und nachdenkliches Charakterbild, das sich mit dem Unterschied zwischen einem Menschen und wie er nach außen hin dargestellt wird beschäftigt.
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