Quellen: LAFCA, Boston Society of Film Critics
Der Weg zu den Oscars geht weiter und mit jedem Tag kommt ein bisschen mehr Klarheit in das Ganze. Wie bereits erwähnt, haben die Filmkritikerpreise im Großen und Ganzen gar keinen Einfluss auf die Oscars, da die Filmkritiker, die eben diese Preise verleihen, nicht in der Academy of Motion Picture Arts and Sciences sind und somit auch nicht zu den Wählern bei den Oscars gehören. Dass diese Kritikerpreise deshalb irreführend sein können, wurde uns in den letzten Jahren immer wieder aufs Neue bewiesen, wie mit The Social Network, der im Vorfeld jeden erdenklichen Kritikerpreis abgeräumt hat, bei den Oscars aber gegen The King’s Speech im großen Stil verloren hat. Aber auch letztes Jahr, als die Kritiker Drive und insbesondere Albert Brooks als Besten Nebendarsteller mit Preisen überschüttet haben, der Film aber letztendlich nur eine armselige Sound-Nominierung bei den Oscars ergatterte.
Und dennoch können die Kritikerpreise eine Richtung weisen. Es kann durchaus sein, dass insbesondere die "großen" Kritikerpreise (New York, Los Angeles, Broadcast Film Crtiics Association, Golden Globes) das Denken und die Entscheidungen einiger Oscar-Wähler beeinflussen. Vor allen Dingen geben diese Preise aber eine grobe Richtung vor, bezüglich dessen, was dieses Jahr in Sachen Film beliebt ist. Wenn ein Film in einer Kategorie bei den Kritikerpreisen alles abräumt, so garantiert das zwar keinen Oscar-Sieg, der Film bleibt aber mit Sicherheit ein ernsthafter Kandidat in dieser Kategorie.
Nachdem also das New York Film Critics Circle und das National Board of Review die ersten Filmpreise des Jahres verteilt haben (und sich dabei einig waren, dass Zero Dark Thirty der beste Film des Jahres sei), stoßen nun die Filmkritikerverbände aus Los Angeles und Boston hinzu und erlauben ein differenzierteres Bild.
Zunächst zu Los Angeles. Die Filmkritiker von Los Angeles und New York sind sich bei den Preisen generell selten einig. Während die New Yorker generell eher Mainstream-Filme und wahrscheinliche Oscar-Kandidaten bevorzugen, geht Los Angeles einen eher alternativen Weg. Mainstream-Filme gewinnen hier selten. Seit 1990 wurden zwar nur sechs Filme, die von der Los Angeles Film Critics Association den Preis für den Besten Film erhielten, nicht für diesen bei den Oscars nominiert. Allerdings lagen die Kritiker aus Los Angeles in diesem Zeitraum nur zweimal richtig mit dem Sieger (Tödliches Kommando – The Hurt Locker und Schindlers Liste). Der letzte Film, den LAFCA als Besten Film ausgezeichnet hat, der aber eine Oscarnominierung in dieser Kategorie verpasst hat, war WALL-E. Dazu muss man aber anmerken, dass bei mehr als fünf Plätzen in der "Bester Film"-Kategorie WALL-E sicherlich mit dabei gewesen wäre.
Eine erstaunlich gute Trefferquote hat LAFCA bei der Kategorie Bester Regisseur bewiesen. Seit 1990 wurde jeder einzelne Regisseur, der von den Kritikern aus Los Angeles als Bester Regisseur des Jahres gekürt wurde auch für den Oscar nominiert. Eine Ausnahme stellt Olivier Assayas für Carlos dar, aber in dem Jahr gab es zwei Gewnner und neben Assayas gewann auch David Fincher (The Social Network), der bekanntlich auch für den Oscar nominiert wurde. Dabei wurden auch Regisseure von der LAFCA ausgezeichnet, dessen spätere Nominierung bei den Oscars für die meisten eine große Überrashung war. Damit hat dieser Kritikerverband also erfolgreiche überraschende Nominierungen in der Kategorie "Beste Regie" vorhergesagt. Beispiele sind Pedro Almodóvar für Sprich mit ihr und David Lynch für Mullholland Drive.
Interessant ist die Vorhersagekraft in der Kategorie Bester Hauptdarsteller. Letztes Jahr prämierte LAFCA Michael Fassbender (u.a. für Shame), der aber bei den Oscars keine Nominierung bekam. In den sechs Jahren davor hat Los Angeles aber jedes Jahr den Oscar-Sieger in der Kategorie richtig getippt. Sehr viel schlechter steht es um Beste Hauptdarstellerin. Die letzter vier Gewinnerinnen wurden nicht für den Oscar nominiert. In der Regel waren es sehr alternative Entscheidungen aus dem fremdsprachigen Kino (wie auch dieses Jahr). Hier nun ein Blick auf die diesjährigen Preisträger:
Bester Film
Liebe
2. Platz – The Master
Beste Regie
Paul Thomas Anderson (The Master)
2. Platz – Kathryn Bigelow (Zero Dark Thirty)
Bester Hauptdarsteller
Joaquin Phoenix (The Master)
2. Platz – Denis Lavant (Holy Motors)
Beste Hauptdarstellerin
Jennifer Lawrence (Silver Linings) und Emmanuelle Riva (Liebe)
Bester Nebendarsteller
Dwight Henry (Beasts of the Southern Wild)
2. Platz – Christoph Waltz (Django Unchained)
Beste Nebendarstellerin
Amy Adams (The Master)
2. Platz – Anne Hathaway (Les Misérables und The Dark Knight Rises)
Bestes Drehbuch
Chris Terrio (Argo)
2. Platz – David O. Russell (Silver Linings)
Beste Kamera
Roger Deakins (Skyfall)
2. Platz – Mihai Malaimare Jr. (The Master)
Bestes Szenenbild
The Master
2. Platz – Moonrise Kingdom
Bester Schnitt
Zero Dark Thirty
2. Platz – Argo
Beste Filmmusik
Beasts of the Southern Wild
2. Platz – The Master
Bester fremdsprachiger Film
Holy Motors
2. Platz – Footnote
Bester Dokumentarfilm
The Gatekeepers
2. Platz – Searchuing for Sugar Man
Bester Animationsfilm
Frankenweenie
2. Platz – It’s Such a Beautiful Day
Bester Nachwuchs
Benh Zeitlin (Beasts of the Southern Wild)
Preis für das Lebenswerk
Frederick Wiseman
Die Peise der Boston Society of Film Critics entsprechen dafür in der Regel deutlich mehr dem Mainstream und den Erwartungen bezüglich der Oscars. Zu den vergangenen Bester Film-Gewinnern gehören The Departed, Tödliches Kommando – The Hurt Locker, No Country for Old Men, The Artist, Brokeback Mountain, Mystic River und Sideways – allesamt Filme, die in deren jeweiligen Jahren die ganze Zeit zu den Top 3 Favoriten gehört haben. Ende der 1990er bis Anfang der 2000er haben die Bostoner Kritiker noch mit außergewöhnlichen Entscheidungen wie Three Kings, Out of Sight oder Mullholland Drive für den Besten Film überrascht. Heutzutage entsprechen sie deutlich mehr dem allgemeinen Konsenz. Die Gewinner von 2012 sind:
Bester Film
Zero Dark Thirty
Beste Regie
Kathryn Bigelow (Zero Dark Thirty)
Bester Hauptdarsteller
Daniel Day-Lewis (Lincoln)
Beste Hauptdarstellerin
Emmanuelle Riva (Liebe)
Bester Nebendarszeller
Ezra Miller (Vielleicht lieber Morgen)
Beste Nebendarstellerin
Sally Field (Lincoln)
Bestes Ensemble
7 Psychos
Bestes Drehbuch
Tony Kushner (Lincoln)
Bester Schnitt
Zero Dark Thirty
Beste Kamera
The Master
Bester Einsatz von Musik im Film
Moonrise Kindom
Bester Dokumentarfilm
How to Survive a Plague
Bester Animationsfilm
Frankenweenie
Bester fremdsprachiger Film
Liebe
Bester neuer Filmemacher
David France (How to Survive a Plague)
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Was kann man sich daraus als Fazit ziehen?
Zunächst hat vor allem Michael Hanekes Liebe sich sehr stark profiliert. Neben dem Bester Film-Sieg in Los Angeles, stechen vor allem die beiden Preise für Emmanuelle Riva in der heiß umkämpften Kategorie "Beste Hauptdarstellerin" heraus. Auch wenn ich es immer noch für schwierig halte, muss man sie nun als eine ernstzunehmende Kandidatin für eine Nominierung betrachten. Bloß wen kickt sie aus dem Rennen? Helen Mirren (Hitchcock)? Oder etwa Marion Cotilard (Der Geschmack von Rost und Knochen)?
Auch The Master hat einen lange nötigen Push erhalten. An den Kinokassen gefloppt und von Argo, Silver Linings und Lincoln überschattet, geriet der Film etwas in Vergessenheit. In Los Angeles gewann er nun vier Preise.
Interessant ist auch, dass der eigentliche Favorit für Bester Nebendarsteller, Tommy Lee Jones (Lincoln) bei den beiden Verleihungen leer ausging.
Absoluter Kritkerliebling bleibt weiterhin Zero Dark Thirty. Wie stark sich das in den Oscars niederschlagen wird, ist noch nicht abzusehen.
Schlecht läuft es momentan dafür für Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger. Dieser ist bislang kaum irgendwo aufgetaucht und hat es ja nicht einmal in die Jahres-Top 10 des National Board of Review geschafft. Hier ruht die Hoffnung auf den Golden Globes, um wieder etwas Leben in die Oscar-Chancen des Films zu bringen.