Quelle: NEON
Die Oscar-Saison dieses Jahr wird sicherlich die ungewöhnlichste in der Geschichte des renommiertesten Filmpreises der Welt. Allein schon dadurch, dass der Qualifikationszeitraum bis Ende Februar verlängert wurde, verändert sich das übliche Schema, aber auch dadurch, dass diverse Filmfestivals, bei denen spätere Oscarkandidaten häufig ihre Premiere feiern, wie South by Southwest, Tribeca, Telluride und vor allem Cannes abgesagt wurden. Viele als Oscar-Hoffnungsträger angedachte Filme werden auch nicht mehr rechtzeitig fertiggestellt werden können, doch vielleicht ermöglicht genau dieser Umstand, dass Filme und Performances berücksichtigt werden, die sonst keinen Zugang zu den Oscars gefunden hätten (beispielsweise Elisabeth Moss' Auftritt in Der Unsichtbare).
Mit den Filmfestspielen von Venedig und dem Toronto International Film Festival legt die Oscar-Saison 2020/2021 nächsten Monat los. Dort werden auch zahlreiche Filme Premiere feiern, die ursprünglich für Cannes vorgesehen waren, darunter auch ein Film, auf den ich mich schon seit der Ankündigung freue. Das historische Liebesdrama Ammonite mit Kate Winslet und Saoirse Ronan in den Hauptrollen wird in Toronto uraufgeführt werden. Winslet spielt in dem Film Mary Anning, eine Fossiliensammlerin und lange verkannte Vorreiterin der modernen Paläontologie. Die Handlung beginnt in den 1840ern an der englischen Südküste. Anning hat schon bessere Tage gesehen, doch sie findet ihre Lebenslust wieder, nachdem sie die Bekanntschaft von Charlotte Murchison (Ronan) macht. Charlotte ist eine junge, wohlhabende, aber kränkliche Londonerin, die aufgrund ihrer schwachen Gesundheit ans Meer zieht. Anning wird gegen gebeten, sich gegen Bezahlung um die verheiratete Charlotte zu kümmern und sie auf Fossiliensuche mitzunehmen. Mit der Zeit entbrennt eine leidenschaftliche und die Konventionen ihrer Zeit sprengende Affäre zwischen den beiden Frauen, die aus unterschiedlichen Welten kommen.
NEON, der kleine Independent-Verleih, der dieses Jahr mit Parasite den Hauptpreis bei den Oscars abräumte, wird Ammonite im November in die nordamerikanischen Kinos bringen, und hat kurz vor der Toronto-Premiere den offiziellen Trailer und das Poster zum Film veröffentlicht. In Deutschland wird der Film erst am 21.01.2021 im Verleih von Tobis erscheinen.
Die gesamte Ausgangssituation in dem Film erinnert mich an Céline Sciammas französische Filmperle Das Porträt einer jungen Frau in Flammen aus dem letzten Jahr (aktuell bei Amazon Prime zu sehen!). Auch darin geht eine freigeistige Frau eine Affäre mit einer anderen bereits versprochenen Frau ein, nachdem die beiden lange Spaziergänge am Strand miteinander unternehmen. Die Ähnlichkeit ist schon sehr groß, doch Ammomite war bereits in der Produktion bevor Das Porträt veröffentlicht wurde.
Ammonite-Regisseur Francis Lee beschäftigte sich bereits in seinem Regiedebüt God’s Own Country mit der gleichgeschlechtlichen Liebe (zwischen zwei Männern). Der Film brachte ihm viel Anerkennung ein, flog aber hauptsächlich unter dem Radar. Das wird Ammonite angesichts seiner Besetzung ganz sicher nicht passieren. Über das Talent der Oscargewinnerin Kate Winslet braucht man nicht lange diskutieren, und Saoirse Ronan ist für mich eine der besten jungen Schauspielerinnen ihrer Generation. Vier Oscarnominierungen hat die 26-jährige irische Schauspielerin bereits eingeheimst, zuletzt für Little Women. Nachdem im letzten Jahrzehnt bereits Jennifer Lawrence, Brie Larson und Emma Stone aus ihrer Generation jeweils mit einem Oscar ausgezeichnet worden sind, wird es langsam auch höchste Zeit für Ronan, diese verdiente Anerkennung zu bekommen. Vielleicht wird es ja mit Ammonite endlich klappen.