Quelle: Deadline
Neben Hans Zimmers bombastischen Interstellar-Score, Trent Reznors und Atticus Ross' schauriger musikalischer Untermalung von Gone Girl und Mica Levis hypnotischer Musik in Under the Skin, gehört die einzigartige Schlagzeug-Vertonung von Alejandro González Iñárritus Broadway-Satire Birdman zu den einprägsamsten Film-Scores von 2014. Nur mit Drums führt der mexikanische Jazz-Schlagzeuger Antonio Sánchez durch den Film und erzeugt dabei eine Art Filmmusik, wie man sie noch nie zuvor gehört hat. Dass die Musik des Films etwas ganz Besonderes ist, wurde bereits bei der Weltpremiere des Films im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig anerkannt, wo sie mit einem Preis ausgezeichnet wurde. Auch die Golden Globes und die Broadcast Film Critics Association nominierten Sánchez' Percussion-Klänge. Zahlreiche Filmkritikerverbände, darunter von Las Vegas und Phoenix, haben die Filmmusik als beste von 2014 ausgezeichnet; bei vielen weiteren Verbänden kam er in die engere Wahl. Doch bei einer Preisverleihung wird Sánchez' grandioser Einsatz definitiv nicht belohnt werden – den Oscars!
Als am 12. Dezember die Academy of Motion Picture Arts and Sciences die Liste von 117 für eine Nominierung theoretisch zulässigen Scores veröffentlicht hat – darunter mit Filmen wie Pompeii und Storm Hunters – entdeckte man schnell das Fehlen von Birdman auf der Liste. Das konnte doch nur ein Fehler sein, oder? Nichts dergleichen. Nach Academy-Regelungen für die Kategorie, sind Filme, dessen zentrale Musik zu viele bereits zuvor existierende Stücke verwendet (beispielsweise bekannte klassische Musik) und dadurch die Originalmusik in den Hintergrund treten lässt, für eine Nominierung in der Kategorie unzulässig. In Birdman bediente sich der Regisseur u. a. der Stücke von Tschaikowski und Rachmaninow, doch ich hatte dabei nie den Eindruck, dass die Originalmusik untergehen würde. Die Musik-Branche der Academy war da anderer Meinung.
Der Musiker, der Regisseur und das Studio Fox Searchlight reichten Widerspruch ein. Iñárritu betonte dabei, dass die klassische Musik in dem Film austauschbar sei und sich auf insgesamt 17 Minuten Spielzeit belaufe, während Sánchez zentral im Schaffensprozess dieses Films war. Doch das ausführende Komitee der Musikleute innerhalb der Academy ließ sich nicht beirren und beschloss nach einem Notfall-Meeting, dass die Disqualifikation bestehen bleiben würde. Damit bleibt Birdman eine zuvor als nahezu sicher geltende Oscarnominierung verwehrt, die möglicherweise sogar zu einem Sieg geführt hätte. Viele Insider munkeln nun, dass nicht nur der Einsatz der klassischen Musik der Grund für die Disqualifikation gewesen sei, sondern auch eine Ablehnung gewisser Academy-Mitglieder gegenüber der Vorstellung, dass ein Film-Score nur aus Schlagzeug-Musik bestehen kann. Bitter.
Das fand auch Sánchez, der nach der Aufrechterhaltung der Disqualifikation diesen offenen Brief veröffentlicht hat:
It was an honor to work on this wonderful film and collaborate with a brilliant director like Alejandro González Iñárritu on Birdman. I’m deeply disappointed that the music branch of the Academy did not recognize my score as eligible, even after receiving a detailed cue sheet, a letter from the president of music at Fox studios, and a description of the process from both Alejandro and myself. The disqualification seems to stem from the perception that my score was diluted by the incidental music on the film. I strongly disagree with this idea. The music that people remember after watching the movie is the sound, originality, character, and strength of my score, which seems to be the reason it continues to receive attention, nominations, and awards, which I’m deeply humbled by. Some of the finest composers are members of the Academy and I’m saddened my score didn’t resonate with the decision makers.”
Auch bei der letzten Oscarverleihung blieb die Musik-Branche innerhalb der Academy nicht von einem Skandal verschont, als bei den Oscars plötzlich der Song "Alone Yet Not Alone" aus dem gleichnamigen obskuren Film überraschend nominiert wurde, nur um später disqualifiziert zu werden, als herauskam, dass der Songwriter, selbst Academy-Mitglied der Musik-Branche, die Wähler zum Abstimmen beeinflusst hat.
Mit Birdman aus dem Rennen, wird vermutlich Alexandre Desplat nach sechs erfolglosen Nominierungen dieses Jahr entweder für Grand Budapest Hotel oder für The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben endlich seine Auszeichnung holen.