Nachdem mittlerweile die New Yorker Filmkritiker und die National Board of Review traditionell die Oscar-Saison mit ihren Favoriten einläuten, sind es die Filmkritikerverbände von Los Angeles und Boston, die als nächste renommierte Kritikergruppen ihre Meinung in die Waagschale werfen. Es ist selten, dass die großen Kritikerverbände sich über den "Besten Film" einig sind, doch dieses Jahr ist genau das der Fall. Nachdem der New York Film Critics Circle Boyhood zum besten Streifen von 2014 gekürt hat, haben die Los Angeles Film Critics Association (LAFCA) und der Boston Society of Film Critics dem gleichgetan und ebenfalls Richard Linklaters Coming-of-Age-Drama als ihre Nummer 1 des zu Ende neigenden Jahres gewählt. Herrschten letztes Jahr noch große Diskrepanzen zwischen den drei Verbänden (New York wählte American Hustle, Los Angeles Gravity und Her und Boston entschied sich für 12 Years a Slave), sind die Kritikerlieblinge diesmal klar. Gemeinsam mit den Golden-Globe-Nominierungen und den Nominierungen der Schauspielergewerkschaft zeichnen sich damit schon sehr früh im Oscar-Rennen klare Favoriten ab – Boyhood, Grand Budapest Hotel und Birdman.
Schauen wir uns doch zunächst einmal die Gewinner der LAFCA-Awards genauer an. Die Filmkritiker von Los Angeles tendieren eigentlich dazu, nicht mit dem Strom zu schwimmen und haben in Vergangenheit bereits zahlreiche überraschende Entscheidungen getroffen, wie beispielsweise die Wahl von WALL-E als "Besten Film" von 2008 oder Sacha Baron Cohen als "Besten Hauptdarsteller" für Borat im Jahre 2006. Das Ergebnis ist allerdings eine sehr geringe Überschneidung mit den Oscars. Seit der Gründung dieser Preise im Jahre 1975 haben die LAFCA-Mitglieder lediglich achtmal den gleichen Film prämiert wie die Oscars. Seit 2000 ist das nur ein einziges Mal geschehen, 2009 mit Tödliches Kommando – The Hurt Locker. Eine so schlechte Vorhersagekraft kann kaum eine Kritikergruppe vorweisen. Dafür sagen die LAFCA Awards in der Regel die Nominees in der Kategorie "Bester Regisseur" gut vorher. Seit 1990 kam es lediglich in einem Jahr vor (2012 mit Paul Thomas Anderson für The Master), dass die LAFCA in der Kategorie "Beste Regie" nicht jemanden prämiert hat, der später auch für einen Oscar nominiert wurde. Allerdings erwartet ja sowieso kaum jemand, dass der diesjährige Gewinner Richard Linklater von der Academy übergangen werden könnte.
Kurios ist es, dass die LAFCA die Oscarfavoritin Patricia Arquette hier nicht als "Beste Nebendarstellerin" ausgezeichnet hat, sondern sie als "Hauptdarstellerin" kategorisiert und sie dort prämiert hat. Als "Beste Nebendarstellerin" wurde stattdessen überraschend die Polin Agata Kulesza für Ida prämiert. Es dürfte sich aber dabei um eine Ausnahmeerscheinung handeln. Bei den Oscars wird Arquette mit Sicherheit im Rennen um den "Nebendarstellerin"-Preis sein.
Obwohl Boyhood hier erwartungsgemäß mit vier Auszeichnungen gut abgeräumt hat, war Grand Budapest Hotel der noch größere Sieger. Der Film erhielt zwei Preise und kam in drei weiteren Kategorien auf Platz 3, darunter als "Bester Film" und für die "Beste Regie". Der Film hat definitiv eine bessere Oscar-Saison vor sich als Wes Andersons Moonrise Kingdom vor zwei Jahren.
Die vermutliche ungewöhnlichste Auszeichnung war in der Kategorie "Bester Hauptdarsteller", in der Tom Hardy für seine fesselnde One-Man-Show in No Turning Back prämiert wurde. Bei den Oscars dürfte er trotzdem nicht den Hauch einer Chance für seinen kaum bekannten Film haben.
Hier ist nun die komplette Liste der LAFCA-Gewinner und der Zweitplatzierten:
Bester Film
Boyhood
2. Platz – Grand Budapest Hotel
Beste Regie
Richard Linklater (Boyhood)
2. Platz – Wes Anderson (Grand Budapest Hotel)
Bester Hauptdarsteller
Tom Hardy (No Turning Back)
2. Platz – Michael Keaton (Birdman)
Beste Hauptdarstellerin
Patricia Arquette (Boyhood)
2. Platz – Julianne Moore (Still Alice)
Bester Nebendarsteller
J.K. Simmons (Whiplash)
2. Platz – Edward Norton (Birdman)
Beste Nebendarstellerin
Agata Kulesza (Ida)
2. Platz – Rene Russo (Nightcrawler)
Bestes Drehbuch
Wes Anderson (Grand Budapest Hotel)
2. Platz – Alejandro González Iñárritu, Nicolas Giacobone, Alexander Dinelaris Jr. und Armando Bo (Birdman)
Beste Kamera
Emmanuel Lubezki (Birdman)
2. Platz – Dick Pope (Mr. Turner – Meister des Lichts)
Bestes Szenenbild
Grand Budapest Hotel
2. Platz – Snowpiercer
Bester Schnitt
Boyhood
2. Platz – Grand Budapest Hotel
Beste Filmmusik
Inherent Vice – Natürliche Mängel und Under the Skin
Bester fremdsprachiger Film
Ida
2. Platz – Winterschlaf
Bester Dokumentarfilm
CitizenFour
2. Platz – Life Itself
Bester Animationsfilm
Die Legende der Prinzessin Kaguya
2. Platz – The LEGO Movie
Bester Nachwuchs
Ava DuVernay (Regisseurin von Selma)
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Im Gegensatz zum Filmkritikerverband von Los Angeles, stimmen die Kritiker des Boston Society of Film Critics deutlich häufiger mit den Oscars überein und gelten daher als "mainstreamiger". In den vergangenen zehn Jahren, wählten die Bostoner Filmkritiker und die Academy-Mitglieder sechsmal (!) den gleichen Film für den Hauptpreis. Das ist ein gutes Vorzeichen für Boyhood, doch man darf nicht vergessen, dass vor vier Jahren The Social Network ebenfalls die Hauptpreise in New York, Los Angeles und Boston abgeräumt hat, bei den Oscars jedoch gegen The King’s Speech keine Chance hatte.
Besonders auffällig an den BSFC-Awards ist die Nennung von Clint Eastwood (Der Scharfschütze) als Zweitplatzierten in der Kategorie "Bester Regisseur". Vielleicht war die Auszeichnung von der NBR ja keine einmalige Sache. Ferner ist auch Marion Cotillard im heiß umkämpften Rennen um den fünften Platz in der Kategorie "Beste Hauptdarstellerin" (nach Rosamund Pike, Reese Witherspoon, Felicity Jones und Julianne Moore, die so ziemlich feststehen) ein kleines Stück vorgerückt. Nach dem überraschenden Sieg in New York, wurde sie auch von der BSFC für Zwei Tage, eine Nacht und The Immigrant ausgezeichnet.
Die komplette Liste der BSFC-Gewinner und der Zweitplatzierten, könnt Ihr unten sehen:
Bester Film
Boyhood
2. Platz – Birdman
Beste Regie
Richard Linklater (Boyhood)
2. Platz – Clint Eastwood (Der Scharfschütze)
Bester Hauptdarsteller
Michael Keaton (Birdman)
2. Platz – Timothy Spall (Mr. Turner – Meister des Lichts)
Beste Hauptdarstellerin
Marion Cotillard (Zwei Tage, eine Nacht, The Immigrant)
2. Platz – Hilary Swank (The Homesman)
Bester Nebendarsteller
J.K. Simmons (Whiplash)
2. Platz – Edward Norton (Birdman)
Beste Nebendarstellerin
Emma Stone (Birdman)
2. Platz – Laura Dern (Wild – Der große Trip)
Bestes Ensemble
Boyhood
2. Platz – Birdman
Bestes Drehbuch
Alejandro González Iñárritu, Nicolás Giacobone, Alexander Dinelaris, Jr., Armando Bo (Birdman) und Richard Linklater (Boyhood)
3. Platz – Mike Leigh (Mr. Turner – Meister des Lichts)
Bester Schnitt
Boyhood
2. Platz – Der Scharfschütze
Beste Kamera
Emmanuel Lubezki (Birdman)
2. Platz – Dick Pope (Mr. Turner – Meister des Lichts)
Bester Einsatz von Musik im Film
Inherent Vice – Natürliche Mängel
2. Platz – Whiplash
Bester Dokumentarfilm
Citizen Four
2. Platz – Jodorowsky’s Dune
Bester Animationsfilm
Die Legende der Prinzessin Kaguya
2. Platz – The LEGO Movie
Bester fremdsprachiger Film
Zwei Tage, eine Nacht
2. Platz – Ida
Bester neuer Filmemacher
Dan Gilroy (Nightcrawler)
2. Platz – Gillian Robespierre (Obvious Child)
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Wir melden uns schon sehr bald wieder mit den Meldungen von weiteren Filmkritikerverbänden.