Quelle: Directors Guild of America
Die Schauspielergewekschaft SAG, die Produzentengewerkschaft PGA, die Autorengewerkschaft WGA und die Regiegewerkschaft DGA bilden das Quartett der wichtigsten Vorläufer der Oscars und geben einen guten Überblick darüber, welche Schauspieler, Drehbuchautoren, Regisseure und Filme im jeweiligen Jahr die besten Chancen auf eine goldene Statue haben. Im Gegensatz zu Kritikerpreisen, wie den Critics' Choice Awards aber auch den Golden Globes (die letztlich auch von Journalisten verliehen werden), gehört ein Teil der Wähler bei den vier "Gilden" auch zur Wählerschaft der Academy, sodass es Überschneidungen gibt. Jede dieser Organisationen vergibt jährlich die Preise in ihren Kategorien und jede ist überzufällig häufig richtig, was die späteren Oscargewinner angeht, wobei auch keine eine 100%-ige Genauigkeit vorweisen kann.
Nachdem die PGA und die SAG ihre Awards bereits vergeben haben und mit einem etwas überraschenden Doppelsieg die Position von Birdman gegenüber dem Kritikerliebling und Golden-Globe-Gewinner Boyhood gestärkt haben, hat jetzt auch die Directors Guild of America ihren Senf dazugegeben und das Ergebnis war sehr überraschend. Nicht Richard Linklater wurde für die 12 Jahre, die er in sein Herzensprojekt Boyhood investiert und dafür bereits zahllose Preise gewonnen hat, ausgezeichnet, sondern Alejandro González Iñárritu für seine ungewöhnliche und Konventionen trotzende Regie bei Birdman. Bereits Birdmans Sieg bei der Produzentengewerkschaft war eine Überraschung, doch Iñárritus Triumph gegenüber Linklater unter Regisseuren hat wirklich kaum jemand kommen sehen, auch wenn ich diese Wendung der Ereignisse persönlich sehr begrüße.
Unten könnt Ihr die diesjährigen DGA-Nominierungen und -Gewinner in den wichtigsten Kategorien sehen:
Beste Regie bei einem Kinofilm
Alejandro González Iñárritu (Birdman)
Richard Linklater (Boyhood)
Clint Eastwood (American Sniper)
Morten Tyldum (The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben)
Wes Anderson (Grand Budapest Hotel)
Beste Regie bei einem Dokumentarfilm
Dan Krauss (The Kill Team)
Jon Maloof, Charlie Siskel (Finding Vivian Maier)
Jesse Moss (The Overnighters)
Laura Poitras (CitizenFour)
Orlando von Einsiedel (Virunga)
Beste Regie bei einer Dramaserie
Dan Attias ("Homeland", Folge "13 Hours in Islamabad")
Jodie Foster ("House of Cards", Folge "Kapitel 22")
Cary Joji Fukunaga ("True Detective", "Folge "Wer ist da?")
Lesli Linka Glatter ("Homeland", Folge "From A to B and Back Again")
Alex Graves ("Game of Thrones", Folge "Die Kinder")
Beste Regie bei einer Comedyserie
Louis C.K. ("Louie", Folge "Elevator: Part 6")
Jodie Foster ("Orange is the New Black", Folge "Durstiger Vogel")
Mike Judge ("Silicon Valley", Folge "Minimum Viable Product")
Gail Mancuso ("Modern Famlily", Folge "Vegas")
Jill Soloway ("Transparent", Folge "Best New Girl")
Beste Regie bei einem TV-Film oder einer Miniserie
Rob Ashford, Glenn Weiss ("Peter Pan Live!")
Lisa Cholodenko ("Olive Kitteridge")
Uli Edel ("Houdini")
Ryan Murphy ("The Normal Heart")
Michael Wilson ("The Trip to Bountiful")
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Vermutlich der größte Schock ist, dass Cary Fukunaga für seine Emmy-prämierte Regie bei "True Detective" verloren hat. Wie ist das überhaupt möglich? Die Episode war auf höchstem Kino-Niveau inszeniert!
Doch zurück zum Oscar-Rennen und Birdman vs. Boyhood: was bedeutet der Sieg von Birdman gegen Boyhood hier? Eine ganze Menge! Die Situation erinnert mich stark an die 2010/2011-Oscar-Saison als The Social Network im Dezember der riesige Favorit war und nahezu alle Kritikerpreise abgestaubt hat samt der Golden Globes, die Industriepreise aber nahezu gänzlich an The King’s Speech gingen. Das Oscar-Rennen wurde innerhalb von zwei Wochen komplett auf den Kopf gestellt. Der große Unterschied ist jedoch, dass The King’s Speech eben die typische Oscar-Ware war, die Birdman nicht ist, was die aktuelle Wendung der Ereignisse umso überraschender macht.
Birdman wurde jetzt vom großen Triumvirat ausgezeichnet: der DGA, der PGA und der SAG für "Bestes Ensemble". Wisst Ihr wie viele Filme es überhaupt gibt, die diese drei Auszeichnungen gewonnen, den Oscar als "Bester Film" aber verloren haben? Nur einen einzigen: Apollo 13, der bei den Oscars gegen Braveheart den Kürzeren zog. Apollo 13 wurde bei den Oscars aber nicht einmal für seine Regie nominiert und hatte daher einen größeren Nachteil als Birdman. Es gibt neben Apollo 13 auch nur einen weiteren Film, der diese drei Auszeichnungen gewonnen, aber den Oscar für seine Regie verloren hat – Chicago, gegen Roman Polanski für Der Pianist. Es gibt also Präzedenzfälle, aber sie sind sehr rar. Birdman ist jetzt unerwarteter, aber nicht unverdienter Favorit, den es zu schlagen gilt.
Doch auch Birdman hat eine merkliche Schwachstelle – der Film wurde bei den Oscars nicht für seinen Schnitt nominiert. Für Unwissende ein unwichtiges Details, doch der Schnitt korreliert sehr stark mit dem "Bester Film"-Oscar. Der letzte Film, der den Hauptpreis bei den Oscars gewonnen hat ohne eine Schnitt-Nominierung war Robert Redfords Eine ganz normale Familie – vor 34 Jahren! Boyhood gilt nach seinem Sieg beim Verband der Cutter als Favorit in der Schnitt-Kategorie. Das Rennen ist also noch lange nicht vorüber, ist aber dafür spannender geworden als in den letzten fünf Jahren.
Welcher Film wäre Euch als Sieger lieber – Birdman oder Boyhood?