Quelle: American Cinema Editors
Willkommen im neuen Jahr und in der neuen Phase der Oscar-Saison! Während die meisten Filmkritikerverbände ihre Preise bereits herausgegeben haben, kommt jetzt die Zeit der Industriepreise – und damit der Auszeichnungen, die im Hinblick auf das Oscar-Rennen wirklich zählen, denn hier stimmen zum Teil auch Leute ab, die der Academy angehören.
Die erste "Gilde" (wie man zusammenfassend die Industrie-Verbände und -Gewerkschaften im Oscar-Fachjargon nennt), die ihre Nominierungen im neuen Jahr bekanntgegeben hat, ist die ACE, die American Cinema Editors, ein 1950 gegründeter Verband von Film-Cuttern, der in den ersten 12 Jahren seiner Existenz die Oscargewinner in der Kategorie "Bester Schnitt" ehrte und seit 1962 eigene Preise, genannt Eddies, für die am besten geschnittenen Filme des vorangegangenen Jahres vergibt. Die Anzahl der Nominees wuchs in den Neunzigern von drei auf fünf und seit 2000 gar auf zehn, denn seitdem wird zwischen den Kategorien "Drama" und "Komödie/Musical" unterschieden. Zudem wurde 2010 eine Kategorie für die am besten geschnittenen Animationsfilme ins Leben gerufen, die seitdem von Oben, Toy Story 3, Rango, Merida – Legende der Highlands und Die Eiskönigin – Völlig unverfroren (allesamt spätere Gewinner des Animationsoscars) gewonnen wurde.
Dieses Jahr wurden erst zum zweiten Mal in der Geschichte der Eddies sechs Filme in einer Kategorie nominiert, denn in der Unterkategorie "Drama" kam es zu einem Gleichstand zwischen zwei Filmen.
Unten könnt Ihr die Nominierungen auf einen Blick sehen:
Bester Schnitt in einem Drama
Der Scharfschütze
Boyhood
Gone Girl
The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben
Nightcrawler
Whiplash
Bester Schnitt in einer Komödie/einem Musical
Birdman
Guardians of the Galaxy
Into the Woods
Inherent Vice – Natürliche Mängel
Grand Budapest Hotel
Bester Schnitt in einem Dokumentarfilm
CitizenFour
Glen Campbell: I’ll Be Me
Finding Vivian Maier
Bester Schnitt in einem Animationsfilm
Baymax – Riesiges Robowabohu
The LEGO Movie
Die Boxtrolls
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Die Relevanz dieser Industriepreise in Bezug auf das gesamte Oscar-Rennen darf man nicht unterschätzen. Kein anderer technischer Aspekt korreliert so sehr mit der "Bester Film"-Kategorie bei den Oscars, wie der Schnitt. Ein Film, der keine Nominierung für seinen Schnitt bei den Oscars erhält, hat nur sehr geringe Chancen auf den Sieg in der Königsklasse. Der letzte Film, der den Hauptpreis ohne eine Schnitt-Nominierung gewonnen hat, war Eine ganz normale Familie aus dem Jahre 1980. Der letzte Film, der bei den Oscars als "Bester Film" gewann, ohne zuvor von der ACE nominiert zu werden, war Miss Daisy und ihr Chauffeur – allerdings erhielt der Film eine "Bester Schnitt"-Nom bei den Oscars. Es war auch noch zu der Zeit, als nur drei Filme bei den Eddies nominiert wurden und nicht 11 wie dieses Jahr.
Eine weitere Statistik: in den letzten 20 Jahren wurde der Eddie-Gewinner 13 mal als "Bester Film" bei den Oscars ausgezeichnet. Ein absoluter Überraschungssieg für Captain Phillips in der Dramakategorie letztes Jahr, ist eine Rarität. Es kam in den letzten 20 Jahren nur viermal vor, dass der Oscargewinner in der Schnittkategorie zuvor keinen Eddie gewonnen hat: bei Apollo 13, Traffic, Verblendung und Captain Phillips. Wer also hier gewinnt, rückt direkt unter die Oscarfavoriten.
Was bedeutet das für dieses Jahr? Die meisten der üblichen Verdächtigen sind dabei. Christopher Nolans Interstellar hat es nicht geschafft, doch angesichts der lauwarmen Reaktionen gegenüber dem Film aus Hollywood überrascht das wenig. Es sieht immer mehr danach aus, als würde das Sci-Fi-Epos am Ende mit 4-5 technischen Nominierungen abgespeist werden. Deutlich überraschender und gravierender ist, dass Martin Luther King – Der Marsch von Selma (so der deutsche Titel von Selma) hier keine Nominierung erhalten hat, gilt der Film jedoch als größter Oscaranwärter neben Boyhood. Seine letzte Chance besteht darin, zumindest bei den Oscars eine Nominierung für seinen Schnitt zu ergattern. Eine Überraschung im kleineren Rahmen ist das Fehlen von Drachenzähmen leicht gemacht 2 in der Animationskategorie.
Die größten Gewinner der Eddie-Nominierungen sind zweifellos Clint Eastwoods Der Scharfschütze, der Sundance-Gewinner Whiplash und die düstere Satire Nightcrawler. Besonders bei den letzten beiden steigen die Oscarchancen immer weiter. Mich persönlich freut außerdem die Nominierung für Guardians of the Galaxy, auch wenn sie für die Oscars keine Bedeutung haben wird.
Die Gewinner der Eddies werden am 30.01. bekanntgegeben werden.