In einem Monat wird in Cannes die 78. Ausgabe des prestigeträchtigsten Filmfestivals der Welt ausgetragen. Nachdem die Geschmäcker der Academy und der Cannes-Jury jahrzehntelang auseinandergegangen waren und zwischen 1946 und 2018 lediglich zwei Filme den Hauptpreis in Cannes und den Oscar als bester Film gewonnen hatten, genießen Cannes-Titel seit der Erweiterung der Academy-Wählerschaft um viele internationale Mitglieder deutlich größere Popularität bei den Oscars. Parasite wurde 2020 zum ersten Goldene-Palme-Sieger seit Marty in den Fünfzigern, der ebenfalls als bester Film bei den Oscars ausgezeichnet wurde. Mit Triangle of Sadness und Anatomie eines Falls wurden zwei weitere Palme-D’Or-Preisträger für den "Bester Film"-Oscar nominiert und schließlich hat letztjähriger Cannes-Sieger Anora den Oscar dieses Jahr wieder gewonnen. Auch Oscarkandidaten The Substance, Emilia Pérez und Flow feierten ihre Weltpremieren letztes Jahr in Cannes.
Aus diesem Grund gelten die Filmfestspiele von Cannes inzwischen als eins der ersten Sprungbretter für die potenziellen Oscaranwärter des Jahres. Mit großem Interesse verfolgten Cineasten vergangene Woche die Ankündigung der 19 Wettbewerbstitel, die dieses Jahr um die Goldene Palme und weitere Preise in Cannes miteinander konkurrieren werden. Darunter waren neue Filme von renommierten Regisseuren wie Wes Anderson (Der Phönizische Meisterstreich), Kelly Reichardt (The Mastermind), Richard Linklater (Nouvelle Vague) und den zweifachen Palme-Gewinnern Jean-Pierre und Luc Dardenne (Jeunes mères).
Der diesjährige Cannes-Film, auf den ich mich am meisten freue, ist zugleich auch die einzige rein US-amerikanische Produktion, die im Wettbewerb ist. Eddington, der vierte Film des polarisierenden Filmemachers Ari Aster und sein erster Cannes-Beitrag, gibt uns viele Gründe, neugierig auf den Film zu sein. Mit Hereditary – Das Vermächtnis und Midsommar etablierte sich Aster als einer der interessantesten Horrorregisseure Hollywoods. Mit seinem dritten Film, dem dreistündigen surrealen Genremix Beau Is Afraid, hat er sich in den Augen vieler etwas übernommen, doch man kann ihm auch bei dem Film ganz sicher keinen Mangel an Ambitionen und Originalität vorwerfen. Beau Is Afraid ist definitiv der Aster-Film, der mir bislang am wenigsten gefallen hat, doch das Erlebnis, ihn gesehen zu haben, möchte ich auch nicht missen. Nur wiederholen würde ich es vermutlich auch nicht.
Alle von Asters bisherigen Filmen und sogar seine verstörenden Kurzfilme hatten im Kern mit zutiefst kaputten Familienstrukturen zu tun. Mit seinem neusten Film schlägt er zumindest auf dem ersten Blick eine andere Richtung ein und nimmt den Höhepunkt der Covid-Pandemie 2020 als Aufhänger für eine schwarze Western-Komödie in einer Kleinstadt in New Mexico, wobei die Bezeichnung "Komödie" im Hinblick auf den bitterbösen Humor in Asters bisherigen Filmen mit Vorsicht genossen werden sollte.
In Eddington spielt Oscargewinner Joaquin Phoenix, den Aster bereits in Beau Is Afraid zu schauspielerischen Höchstleistungen angetrieben hat, Eddingtons Sheriff Sheriff Joe Cross, der sich im Mai 2020 weigert, in einem Geschäft die vorgeschriebene Schutzmaske anzuziehen. Das bringt ihn in direkten Konflikt mit Eddingtons Bürgermeister Ted Garcia, gespielt von Pedro Pascal ("The Last of Us"), sodass Joe zu Teds Herausforderer bei der anstehenden Bürgermeisterwahl wird. Die zweifache Oscarpreisträgerin Emma Stone, die bereits in Woody Allens Irrational Man neben Phoenix mitgespielt hat, spielt Teds Ehefrau Louise. Austin Butler (Elvis), Luke Grimes ("Yellowstone") und Clifton Collins Jr. ("Westworld") spielen weitere Rollen in dem Film.
Wie Asters alle bisherigen Filme, wurde auch Eddington vom gefeierten Indie-Studio A24 produziert. Nach der Ankündigung des Films im Cannes-Wettbewerb hat A24 keine Zeit verschwendet und den ersten Teaser-Trailer veröffentlicht, der Phoenix' Charakter beim exzessiven Konsum von Social Media zeigt und auf diese Weise einen kurzen Blick auf die anderen Darsteller des Films erhaschen lässt.
Emma Stone alleine ist eigentlich schon Grund genug für mich, einen Film im Blick zu behalten. In Kombination mit A24, Aster und den anderen Stars ist Eddington jedoch weit oben auf meiner "Muss sehen"-Liste für dieses Jahr. Leider hat er in Deutschland noch keinen Verleih und damit auch keinen offiziellen Starttermin. Das dürfte sich jedoch spätestens nach Cannes ändern. In den USA wird Eddington am 18. Juli regulär in die Kinos kommen.
Hier noch das kryptische Teaser-Poster zum Film: